Die Geothermieanlage in Insheim wirkt unscheinbar – der Wein, der oberhalb davon wächst, wird vom Unternehmen aufgekauft. Foto: Klaus Venus

Beim Lithium, dem wichtigsten Element für die Batterien von Elektroautos, ist Deutschland vom Ausland abhängig. Dabei schlummern unter dem Rhein die größten Vorkommen Europas – ein Unternehmen will sie jetzt heben. Es geht um sehr viel Geld.

Es hört sich an wie ein Märchen: Irgendwann, sagt der Gründer der Vulcan Energie Ressourcen, Horst Kreuter, werde sein Unternehmen so viel Lithium am Oberrhein gewinnen, dass es ausreicht für alle Batterien aller deutschen Elektroautos. Lithium ist das weiße Gold der Moderne, es wird in riesigen Mengen benötigt für die Produktion der Akkus von Computern, Handys und E-Autos. Derzeit wird es in bergmännischer Weise oder aus Salzseen fast ausschließlich in Australien, Chile und China geschürft – auch da ist Deutschland, wie beim Gas, ganz vom Ausland abhängig.

 

Noch fantastischer wirkt die Aussage von Horst Kreuter, wenn man bedenkt, dass seine Firma erst vor fünf Jahren allein von ihm und dem Australier Francis Wedin gegründet worden ist und dass es derzeit nur eine kleine Anlage in Insheim bei Landau in Rheinland-Pfalz gibt, die gerade einmal sechs Kilo Lithium im Jahr produziert. Im Herbst geht bei Landau ein Demo-Kraftwerk in Betrieb, das 40 Tonnen schafft. Aber in zwei Jahren soll eine große Anlage fertig sein, die dann 24 000 Tonnen herstellt – genug für 600 000 Elektroautos. Die Zahl der Mitarbeiter ist schon auf 320 gewachsen, in wenigen Jahren sollen es 1000 sein.

Strom und Wärme gibt es obendrein

Es hat sich eine Art seriöser Goldrausch am Oberrhein entwickelt. Tatsächlich ist schon länger bekannt, dass das Thermalwasser, das zwischen Basel und Frankfurt in mehreren Kilometern Tiefe schlummert, mit 150 bis 200 Milligramm Lithium pro Liter sehr ertragreich ist – es stellt die größte Lithiumquelle in Europa dar. Erst jetzt aber wird sie langsam angezapft. Dazu braucht man „lediglich“ ein ganz normales Geothermiekraftwerk, wie es auch in Baden-Württemberg schon einige gibt; bisher wird dort mit dem heißen Thermalwasser Wärme oder Strom produziert. Insheim war bisher ein solches ganz normales Geothermiekraftwerk und liefert Strom für 8000 Haushalte. Über ein Bohrrohr saugt man in der Tiefe Wasser an, treibt mit dem Wasserdampf eine Turbine an und leitet es über eine zweite Bohrung zurück in den Untergrund.

Jetzt aber wird in einem Zwischenschritt dem 163 Grad heißen Wasser zusätzlich Lithium entzogen. Dazu muss es sowieso auf rund 60 Grad abgekühlt werden, auch künftig wird also Strom produziert. Für die Gewinnung wird eine spezielle Materialmischung benötigt, Sorbent genannt: In dessen Poren setzt sich das Lithium fest und kann später herausgewaschen werden. Danach muss die wässrige Lösung noch veredelt werden, bis das gewünschte weiße Pulver namens Lithiumhydroxidmonohydrat entsteht. Vulcan Energie stellt den Sorbenten in seinem Labor in Karlsruhe selbst her und unterzieht sie zahlreichen Stresstests: „Wir wollen für jeden Ernstfall vorbereitet sein“, sagt die Chemikerin Iklima Oral.

Dieses weiße Pulver ist derzeit begehrt wie kaum ein anderer Stoff. Mit dem Fortschreiten der Verkehrswende hin zum Elektroauto könnte sich die Nachfrage bis zum Ende des Jahrzehnts verzehnfachen, aber selbst wenn alle angedachten europäischen Pläne zur Lithiumgewinnung verwirklicht würden, könnte sich Europa laut einer Studie der Deutschen Rohstoffagentur bis 2030 maximal zu einem Drittel selbst versorgen. Kein Wunder also, dass immer mehr Unternehmen auf den Lithiumzug aufspringen. Pläne gibt es auch im Erzgebirge, in der Auvergne oder in Cornwall – dort würde mangels Thermalwasser dann Bergbau betrieben. Eine Studie der RWTH Aachen träumt mit klarer Mathematik von einer besseren Zukunft: Sie kommt zu dem Schluss, dass 33 Anlagen am Oberrhein 70 Prozent des Lithiumbedarfs decken könnten für die zumindest derzeitige E-Autoproduktion in der ganzen EU.

Ganz so kühn sind die Pläne der Vulcan Energie also bei näherer Betrachtung nicht. Und jedenfalls ist sie bei dieser Entwicklung ganz vorne dran – sie plant konkret mehrere Geothermieanlagen, neben Landau gibt es auch Vororuntersuchungen für Flächen bei Kehl und bei Mannheim. Die Bohrungen werden durch eine eigene Tochterfirma erledigt, auch eine eigene Aufbereitungsanlage für das Lithium ist in Höchst bei Frankfurt geplant. „Wir wollen die ganze Wertschöpfungskette in der eigenen Hand haben“, sagt Kreuter.

Allein die Startphase kostet 1,5 Milliarden Euro

Angst vor großen Summen darf man dabei nicht haben. Allein die erste Phase in Insheim und Landau – die übrigens „Lionheart“ heißt, weil auf der nahen Burg Trifels einst Richard Löwenherz gefangengehalten wurde – kostet 1,5 Milliarden Euro. Ein Teil wurde über den Börsengang eingesammelt, vor allem aber sind mehrere große Autobauer direkt oder indirekt an Vulcan Energie Ressourcen beteiligt. Stellantis (Peugeot, Opel) hält acht Prozent der Anteile, auch Renault und Volkswagen sind im Geschäft.

Geologe und Gründer Horst Kreuter leitete zuvor eine Beratungsfirma für Geothermie – mit Anfang 60 ließ er sich dann auf dieses Milliardenwagnis ein. Man brauche Optimismus und Resilienz, sagt er, beispielsweise sei eine Bohrung in seiner früheren Firma fehlgeschlagen, acht Millionen Euro habe man buchstäblich in den Sand gesetzt. „Aber ich bin große Summen und große Schmerzen gewöhnt und schlafe deshalb sehr gut.“ Mittlerweile ist er 66 Jahre alt.

Es winken ordentliche Gewinnspannen

Tatsächlich ist das Wagnis relativ. Denn erstens hat das Unternehmen allein in Baden-Württemberg exklusive Lizenzen für knapp 1600 Quadratkilometer Fläche bei Mannheim und in der Ortenau vom Staat erhalten. Zweitens können vorerst gar nicht so viele Konkurrenzfirmen entstehen, damit der wachsenden Bedarf gedeckt werden könnte. Drittens ist die Produktion der ersten fünf Jahre bereits komplett an die Autobauer verkauft. Und viertens liegt der Weltmarktpreis gerade bei 30 000 Euro pro Tonne und war auch schon viel höher – bei Produktionskosten von knapp 5000 Euro pro Tonne ist die Gewinnspanne also sehr ordentlich, selbst wenn man die gewaltigen Anfangsinvestitionen berücksichtigt. „Für den Weltmarktpreis können wir nichts“, sagt Kreuter dazu lapidar.

Das Land erhält zehn Prozent des Absatzwertes als Förderabgabe, weil das Unternehmen eine Ressource nutzen darf, die letztlich allen gehört. Für Geothermie – und damit indirekt auch für Lithium – seien auf baden-württembergischer Seite zwischen Lörrach und Weinheim für nahezu alle Flächen die Lizenzen schon vergeben, so Claudia Hailfinger vom Umweltministerium.

Ärger muss man allerdings aushalten können. Nach den Erdbeben, die Geothermie-Bohrungen vor vier Jahren im elsässischen Vendenheim verursacht hatten, war die Stimmung in vielen Gemeinden, in denen Vulcan Energie aktiv werden will, am Boden. Es bildeten sich Bürgerinitiativen. Aber selbst Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sprach immer wieder davon, dass im Elsass unprofessionell gearbeitet worden sei. In Baden-Württemberg ist seither nur noch das sogenannte hydrothermale Bohrverfahren zulässig, bei dem nicht in Granit gebohrt werden darf, weshalb viel weniger Druck entsteht. Es sei deshalb sehr unwahrscheinlich, dass sich Erdbeben ereigneten, so das Ministerium.

Horst Kreuter wird daneben nicht müde zu betonen, dass diese Art der Lithiumgewinnung viel umweltfreundlicher sei als die bisherige Art, es in Bergwerken oder aus Salzseen zu fördern; bei letzteren etwa sinken die Grundwasserspiegel stark und verschärfen den Wassermangel.

EnBW steht bei Lithiumgewinnung noch am Anfang

Gibt es also gar keinen Haken an der Sache? Nein, sagt auch Thomas Kölbel, der Geothermieexperte der EnBW. Er könne sich auch keine Konstellation vorstellen, etwa bei einem Hochwasser, bei der Schadstoffe, etwa Heizöl, in die Bohrschächte und damit ins Thermalwasser in der Tiefe gelangen könnten. Das eigentliche Reservoir werde sowieso nicht angegriffen, weil das Wasser ja zurückgeleitet werde. Vertreter der Bürgerinitiative gegen Tiefengeothermie am südlichen Oberrhein sehen das anders: Über undichte Bohrstellen könnten Stoffe aus dem Thermalwasser, etwa Arsen, ins Grundwasser gelangen. Zudem sei das Thermalwasser schwach radioaktiv.

Wenn man berücksichtigt, dass die Stückzahlen an produzierten E-Autos stark steigen werden, dürfte Kreuters Vision der vollständigen deutschen Autarkie vielleicht Zukunftsmusik bleiben. Ein Weg hinaus aus der kompletten Abhängigkeit ist sie aber allemal.