Ausländer in Stuttgart müssen monatelang auf ihre Aufenthaltserlaubnis warten, die sie zum Arbeiten berechtigt. Foto: Imago

Über die Klage eines Pflegers aus Brasilien, der wegen behördlichen Schwergangs nicht arbeiten durfte, ist immer noch nicht entschieden. Wo ist sein Antrag gelandet?

Die Stadt Stuttgart heißt Fachkräfte wie den aus Brasilien stammenden Krankenpfleger Edson P. „herzlich willkommen“, würden sie doch „in unserem Land dringend gebraucht“. Diese Behauptung findet sich nicht etwa im Manuskript einer Rede des Oberbürgermeisters, sondern in einer Erklärung für das Landgericht, dass die Ausländerbehörde „ihre Pflichten im Rahmen des Zumutbaren rechtmäßig und schuldlos“ erfüllt habe. Und das, obwohl sie der bereits mit einem Arbeitsvertrag ausgestatteten Fachkraft mehr als zwei Monate lang die Aufenthaltsgenehmigung vorenthalten und den Pfleger damit in wirtschaftliche Not gestürzt hat.

 

Ausführlicher Schriftsatz kurz vor dem Urteil

Auch dass der Vorfall „bedauert“ wird, steht in dem erst unmittelbar vor der geplanten Urteilsverkündigung eingereichten 45-seitigen Schriftsatz an die Adresse von Bernhard Schabel, Richter am Landgericht Stuttgart. Die umfangreiche Einlassung hat das Ziel, die Stadt davor zu bewahren, dem Krankenpfleger 3400 Euro Schadenersatz bezahlen zu müssen – und soll wohl ein deutliches Signal für viele andere in Stuttgart von behördlichem Schwergang betroffene Ausländer sein.

Zuvor hatte die Stadt einen in Aussicht gestellten Vergleich verworfen und es nun geschafft, dass die für den 27. Februar geplante Urteilsverkündung verschoben wurde. Dass in diesem Stadium nochmals „umfangreicher Vortrag gehalten werde“, sei „nicht ganz ungewöhnlich“, sagt ein Sprecher des Landgerichts. Der Richter sei dann zum Ergebnis gekommen, dass der Schriftsatz teilweise zu berücksichtigen sei, weshalb ein erneuter Verhandlungstermin für Mitte Mai bestimmt wurde.

„Fragwürdige Beweismittel“

Der Verteidiger des Krankenpflegers, Roland Kugler, sagt, er wundere sich, dass sich der Richter von der Vorgehensweise des städtischen Rechtsanwalts Florian Klei habe beeindrucken lassen. In der Hauptverhandlung hatte Schabel noch seiner „maßlosen Enttäuschung“ über die anfängliche Weigerung Kleis zu einem Vergleich Ausdruck verliehen. Er machte damals deutlich, dass er sich „relativ schwertun würde, die Klage vollständig abzuweisen“. Zügig sei der Antrag auf die Aufenthaltsgenehmigung für eine Beschäftigung jedenfalls nicht bearbeitet worden.

Roland Kugler betont, seine Genehmigung für eine Stellungnahme der Gegenseite habe sich auf „neues Vorbringen“ beschränkt, nicht auf „fragwürdige Beweismittel“, wie eine E-Mail des Krankenpflegers an die Ausländerbehörde mit Fragen zum Nachzug seines Ehepartners. Damit will die Stadt belegen, dass die Arbeitserlaubnis nicht korrekt beantragt worden sei und Verwirrung in der Behörde gestiftet habe. Der Krankenpfleger sei also selbst schuld, dass es so lange gedauert hat.

Der Stadt Organisationsversagen attestiert

Allerdings ist die Anfrage des Pflegers bisher kein Thema gewesen. „Weil er mit dem Verfahren auch gar nichts zu tun hat“, sagt Kugler und verweist stattdessen auf einen von der Jobvermittlerin von P. gleich an zwei Behördenadressen verschickten Antrag. Dessen Existenz war bisher unstrittig. Nun soll er nicht mehr auffindbar sein, obwohl die Stadt betont: „Ordnungsgemäß abgefasste und zugestellte Mails gehen nicht verloren.“ Kugler sieht sich dagegen in seinem Klagevorwurf eines „Organisationsversagens“ bestätigt. Die E-Mails würden anscheinend nicht, oder nur sehr unvollständig und fehlerhaft gelesen und den jeweiligen Fällen zugeordnet.

Damit nicht genug: Die Stadt informierte den Richter auch darüber, dass der Krankenpfleger durchaus Bürgergeld oder Grundsicherung für Arbeitssuchende hätte beantragen können, um die Zeit bis zur Arbeitsaufnahme zu überbrücken. „Für die Meldung fehlte ihm doch die Arbeitserlaubnis“, erinnerte Kugler die Gegenseite an den Kern der Klage. Und Bürgergeld zu kassieren, könne später für den Antrag auf eine Niederlassungserlaubnis oder eine Einbürgerung negativ ausgelegt werden. Dies könne dem „arbeitswilligen Kläger nicht ernsthaft zugemutet werden“.

Stadt wähnt die Fehler „im System“

Außer dem Krankenpfleger und dem – allein auf 17 Seiten ausführlichst beschriebenen Personalmangel – macht die Stadt einen „Fehler im System“ dafür verantwortlich, „dass zwangsläufig eine Einkommenslücke zwischen der Anerkennung der Berufsausbildung und dem Berufsstart entsteht“. Egal, wie schnell die Behörde entscheide, der Antragssteller müsse darauf warten. Aber doch nicht länger als zwei Monate, betont Kugler. Andere Kommunen arbeiteten nachweislich deutlich schneller.

Der Fall hat auf Antrag des Linksbündnisses auch schon den Gemeinderat beschäftigt. In nichtöffentlicher Sitzung soll Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) nach übereinstimmenden Aussagen von Teilnehmern Richterschelte betrieben und dessen Kompetenz in ausländerrechtlichen Themen angezweifelt haben. Die städtische Pressestelle hält die geäußerten Ansichten des Juristen Maier zur Qualifikation eines Richters in einem schwebenden Verfahren wegen der Nichtöffentlichkeit für unkritisch. Weisen wird sich das in der Verhandlung am 14. Mai.