Präsident Massud Peseschkian bei seiner Amtsbestätigungszeremonie Foto: Uncredited/Office of the Iranian/Uncredited

Im Iran tragen Politiker keinen Schlips, auch der künftige Präsident nicht. Der Binder gilt als verpöntes Symbol des Westens.

Im Westen gehört sie zur Kleidung jedes Politikers, im Iran ist sie tabu: die Krawatte. Wenn der Reformer Massud Peseschkian am Dienstag im Parlament von Teheran seinen Amtseid als Präsident ablegt, wird trotz des feierlichen Anlasses niemand im Plenum einen Schlips tragen. Reformer wie Hardliner tragen ihre Hemden entweder offen oder zugeknöpft bis zum Kragen – aber ohne Krawatte, denn die gilt in der Islamischen Republik seit der Revolution von 1979 als verpöntes Symbol des Westens.

 

Schlips vereitelt Karriere

Bei Klerikern wie Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei stellt sich die Krawatten-Frage ohnehin nicht, weil sie in der Öffentlichkeit immer in islamischen Gewändern auftreten. Auch die beiden letzten Präsidenten aus den Reihen der Geistlichkeit, Mohammad Khatami und Hassan Ruhani, hielten es so. Nicht-Kleriker im Präsidentenamt verzichten ebenfalls auf Krawatte oder Fliege. Der Berufspolitiker und Hardliner Mahmud Ahmadinedschad, Präsident von 2005 bis 2013, zeigte sich immer mit offenem Hemd. Auch der Herzchirurg Peseschkian, der Anfang des Monats die Präsidentenwahl als Hoffnungsträger der Reformer gewann, trägt keinen Schlips.

Das liegt zum Teil an der Erinnerung an die Pahlawi-Dynastie von 1925 bis 1979, als die Schahs eine säkulare Ordnung im Iran durchsetzen wollten. Das Schah-Regime verbot den Frauen das Kopftuch und verdonnerte die Männer, europäische Anzüge zu tragen. Die islamische Revolution setzte 1979 eine Gegenbewegung in Gang: Ajatollah Ruhollah Khomeini, Gründer der Islamischen Republik, ordnete den Kopftuchzwang für Frauen an und verbot die Krawatte.

Trotzdem haben manche Geschäfte Krawatten im Sortiment, doch die politische Klasse hält sich an das Tabu. Als Khomeinis Nachfolger hat Revolutionsführer Khamenei die Losung ausgegeben, dass westliche Kleidungsstücke nicht in Frage kämen, so Iran-Experte Arman Mahmoudian von der Universität Süd-Florida (USA). Hochrangige Politiker hielten sich daran, weil sie nicht den Verdacht wecken wollten, die kulturellen und sozialen Werte des Regimes abzulehnen, sagte Mahmoudian unserer Zeitung.

Wer gegen das Krawatten-Verbot verstößt, riskiert seine Karriere. Wer sich dennoch mit Krawatte zeigt, setzt ein Zeichen. Als Gymnasiast in Teheran habe er einen Lehrer gehabt, der immer im Schlips trug, erzählt der Iran-Experte Arash Azizi von der amerikanischen Clemont-Universität. Bei der Abitur-Feier seien dann mehrere Schüler demonstrativ mit Krawatte erschienen, berichtete Azizi unserer Zeitung.

Das Krawatten-Tabu erodiert

Bei Peseschkian ist keine Krawatte zu erwarten. Der 69-jährige gewann die Präsidentenwahl zwar mit dem Versprechen von innen- und außenpolitischen Veränderungen. Doch er stellte auch klar, dass er nicht auf einen Regimewechsel hinarbeitet. Peseschkian hat mehrmals seine Loyalität zu Khamenei und zur Islamischen Republik erklärt. Ihm geht es vor allem um eine Verbesserung der Wirtschaftslage. Um dieses Ziel zu erreichen, ist er zu neuen Gesprächen mit dem Westen über ein Abkommen zur Begrenzung des iranischen Atomprogramms im Gegenzug für einen Abbau von Wirtschaftssanktionen bereit.

Inzwischen erodiert das Krawatten-Tabu. Iran-Experte Mahmoudian beobachtet, dass der Schlips immer mehr akzeptiert wird. Auch Azizi sieht Anzeichen für ein Comeback der Krawatte. „Weil viele Iraner nicht mehr mit den Werten des Regimes einverstanden sind, tragen viele Männer eine Krawatte, zum Beispiel bei Hochzeiten“, sagt er. Selbst bei Hochzeitsfeiern frommer Familien sei es inzwischen üblich, dass die Freunde des Bräutigams mit Krawatte zum Fest kommen. Bis ein iranischer Präsident mit Schlips auftritt, dürfte es jedoch noch etwas dauern.