Auf einer Industriebrache soll in Oberstenfeld (Kreis Ludwigsburg) das wahrscheinlich größte Neubaugebiet der Region für weit mehr als 1000 Bewohner entstehen. In den Planungen ist sogar ein Hotel vorgesehen.
Welche Dimensionen das frühere Werksgelände von Werzalit in Oberstenfeld hat, lässt sich alleine schon daran ablesen, dass die Straßenzüge zur besseren Orientierung mit Namen und Schildern versehen sind. Auf dem langen Weg über das Areal spaziert man durch die „Fensterbankstraße“ oder biegt an der „Sperrholzstraße“ ab. Zumindest, wenn man die Tore passieren darf. Die Industriebrache ist abgesperrt. Doch bald schon werden die Barrieren fallen. Auf der rund 12,3 Hektar großen Fläche soll ein Baugebiet für rund 1300 Menschen entstehen. „Mir ist aktuell in der Region Stuttgart kein größeres bekannt“, sagt der Oberstenfelder Bürgermeister Markus Kleemann.
Möglich macht diesen Neubeginn ein bitterer Umstand aus der Vergangenheit: der schleichende Niedergang der einstigen Oberstenfelder Vorzeigefirma Werzalit. Das Unternehmen war in eine finanzielle Schieflage geschlittert. Die Levkas GmbH, eine Tochter der Volksbank Backnang, habe das Gelände dann vor einigen Jahren vom Insolvenzverwalter gekauft, sagt Kleemann. „Wir wollten etwas für die Gemeinde Oberstenfeld entwickeln. Da gehört insbesondere Wohnbebauung dazu, aber auch ein gemischtes Gebiet, in dem etwas mehr möglich ist“, ergänzt Levkas-Chef Wolfgang Matt.
Ziel sei nun, einen bunten Mix aus verschiedenen Gebäudetypen zu realisieren, vom Geschosswohnungsbau bis zum Einzelhaus. Zu den Hauptverkehrsachsen hin sind zudem Grundstücke für geräuscharmes Gewerbe angedacht. Ferner wolle man mindestens zwei Kinderhäuser errichten lassen, betont der Bürgermeister. Überdies seien Angebote für Senioren geplant. „Vielleicht kommt sogar ein Hotel“, sagt Kleemann.
Schon fix ist, dass in dem Gebiet mit dem Namen Bottwarwiesen ein Supermarkt angesiedelt werden soll. Die Genehmigung dafür habe man bereits in der Tasche, betont Wolfgang Matt. Entstehen wird der Laden in einer bestehenden Sheddachhalle, die herausgeputzt werden soll. Es handelt sich um das voraussichtlich einzige Gebäude auf dem gesamten Gelände, das erhalten bleibt. Aus der Bevölkerung sei der Wunsch aufgekommen, zumindest einen kleinen Teil des Werzalit-Erbes zu bewahren, erklärt die stellvertretende Bauamtsleiter Elena Filipp. Markus Kleemann kündigt an, dass der Bau des Supermarkts vorgezogen werde. Schließlich gebe es dafür unabhängig von dem neuen Gebiet Bedarf im Ort.
Waren können dort auf einer üppigen Fläche von rund 2500 Quadratmetern ausgelegt und bevorratet werden. Auf weiteren 350 Quadratmetern kann eine Apotheke untergebracht werden. Man führe derzeit Gespräche mit Interessenten für den Supermarkt, sagt Wolfgang Matt. „Sobald wir einen Betreiber haben, werden wir loslegen. Das kann noch dieses Jahr sein“, erklärt das Vorstandsmitglied der Volksbank Backnang. Zugleich solle dann der Startschuss für die Errichtung einer Quartiersgarage mit insgesamt 195 Plätzen fallen – bei der auch die Energiezentrale etabliert wird und ein Mobility-Hub entstehen soll, also eine Verkehrsdrehscheibe inklusive Fahrradabstellplätzen und etlichen Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
Brücken über die Bottwar sind für Autos tabu
Rechts und links von der mitten durch das Gebiet fließenden Bottwar wird es jeweils eine spangenförmige Erschließungsstraße geben, die an die drumherum verlaufenden Hauptverkehrsrouten angedockt wird. An der Ecke Kreuzstraße/Lichtenbergstraße ist zudem eigens der Bau eines Kreisverkehrs geplant, von dem ein Ast in das Areal abzweigt. Innerhalb des Wohngebiets wird man per Pkw nicht vom einen in den anderen Teil gelangen können. Über die Bottwar führen zwar Brücken. Diese sollen aber für Autos tabu sein, damit kein Durchgangsverkehr heraufbeschworen wird.
Das Gewässer will man aber nicht nur als Barriere nutzen, sondern auch dafür, um in dem Quartier ein Ausrufezeichen in Sachen Aufenthaltsqualität zu setzen. „Die Bottwar wird freigelegt und zugänglich gemacht, und es wird einen Wasserspielplatz geben. Es entstehen zudem viele Grünflächen um die Bottwar herum und eine Art grünes Netz, das über das Gelände gelegt wird“, sagt Markus Kleemann. Mitgedacht wurde ferner, dass irgendwann die Bottwartalbahn an dem Areal vorbeiführen könnte. Eine Haltestelle ist in der Nähe eingeplant.
Markus Kleemann hält den Standort aber auch aus einem anderen Grund für prädestiniert für ein Wohngebiet. Der Ortskern liege quasi gleich um die Ecke. Ziel sei, diesen „auf das Bottwarwiesen-Gelände zu verlängern“, sagt er. Lediglich eine Straße trenne das Areal vom Zentrum. Die Verkehrsader könne per Ampel rasch überwunden werden. Zusätzlich soll noch eine Mittelinsel angelegt werden. Außerdem bringe die Umwandlung der Industriebrache in ein Wohngebiet einen ökologischen Mehrwert. „Wir entsiegeln ziemlich viel Fläche. Aktuell ist das eine Beton- und Asphaltwüste“, erklärt Kleemann.
2027 könnten die ersten Häuser gebaut werden
Allerdings ist bis dahin noch eine Menge Vorarbeit zu leisten. „Wir bereiten gerade den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan vor“, sagt Elena Filipp, die stellvertretende Bauamtsleiterin. 2026 soll das Werk in trockenen Tüchern sein. „Dann können wir Grundstücke verkaufen und ab 2027 könnten die ersten Häuser gebaut werden“, erklärt Wolfgang Matt. Wobei das Gebiet nicht in einem Rutsch, sondern in vier Abschnitten aufgesiedelt werden soll. „Bis das letzte Haus steht, vergehen mindestens zehn Jahre“, prognostiziert der Volksbank-Vorstand. Was die Umsetzung vor Ort anbelangt, sei vieles möglich. Man könne einzelne Grundstücke an Interessenten verkaufen, manche Gebäude vielleicht selbst erstellen. „Wir werden aber sicher eines nicht machen: den Großteil an einen Bauträger zu geben. Sonst kriegt man einen Einheitsbrei“, sagt Matt.
Hochwasserschutz auf dem Gelände
Hallen vermietet
Obwohl auf dem früheren Werzalit-Gelände nichts mehr produziert wird, geht es dort noch recht wuselig zu, fahren Autos ein und aus. Das liegt daran, dass alle noch bestehenden Hallen als Lager vermietet sind, erklärt Wolfgang Matt, Geschäftsführer der Levkas GmbH, Eigentümerin des Areals. Es laufen auch schon erste Abbrucharbeiten an der Stelle, an der die Quartiersgarage entstehen soll.
Becken fehlen
Ein Problem ist, dass wegen der Nähe zur Bottwar Überschwemmungen drohen. Und zwei schon länger geplante Rückhaltebecken am Oberlauf sind bis heute nicht umgesetzt. Davon will sich Wolfgang Matt aber nicht mehr bremsen lassen und trotzdem loslegen. Direkt am Gewässer würden zum Beispiel aber keine Kitas oder Seniorenanlagen errichtet, um eine Gefährdung vulnerabler Gruppen auszuschließen. Zudem werde im ersten und Teilen des zweiten Bauabschnitts in unmittelbarer Nähe des Flusses das Wohnen in die oberen Ebenen verlagert, unten Nebenräume angeordnet oder Parkflächen geschaffen.