Betrunkener Jugendlicher schläft an einen Mülleimer gelehnt vor einem Bahnhof (Archivbild). Foto: Imago/momentphoto/Röhner

Obdachlosigkeit in Deutschland: Da denken viele zuerst an alkoholkranke Männer, Drogensüchtige und verschuldete Menschen. Doch immer mehr Jugendliche und selbst Kinder landen und leben auf der Straße. Experten schlagen deshalb Alarm.

Wohnungsnot ist nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) auch bei jungen Menschen ein Problem. Rund 16 Prozent der Menschen, die sich 2022 in Wohnungsnotfällen an freie Einrichtungen wandten, waren unter 25 Jahre alt, wie die BAGW in Berlin am Montag (9. September) mitteilte.

Wohnungslose in Deutschland

  • Fast 13 Prozent der akut wohnungslosen jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren verbrachten demnach die Nacht vor ihrer Hilfesuche auf der Straße.
  • Dieser Anteil stieg den Angaben zufolge bei den unter 18-Jährigen sogar auf 16 Prozent.
  • Auffällig sei zudem, dass unter den jungen Menschen in Wohnungsnot überdurchschnittlich viele Frauen waren. Jede vierte wohnungslose Frau war demnach unter 25 Jahre alt, während bei den Männern jeder sechste jünger als 25 war.
  • Jeder zweite wohnungslose junge Mensch komme zudem bei mehr oder weniger guten Freunden oder Bekannten unter.
Ein Streetkid liest in einer Illustrierten über die Glanzwelt der Models - Hoffnungen auf ein besseres Leben? (Archivbild). Foto: Imago/Imagebroker

Leben in Unsicherheit

„Was zunächst harmlos klingt, ist in der Realität oft geprägt von provisorischen, manchmal sehr kurzfristigen Behelfslösungen und einem Leben in Unsicherheit“, erklärt BAGW-Fachreferentin Sarah Lotties. Dabei bestünden Gefahren durch Abhängigkeitsverhältnisse, etwa wenn die Unterkunft „nur im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten bereitgestellt wird“, betont Lotties.

  • Unabhängig vom Alter waren laut dem Bericht insgesamt 71 Prozent der Menschen, die sich mit Wohnungsnotfällen an freie Hilfseinrichtungen oder Dienste wandten, akut ohne Wohnung.
  • Elf Prozent waren unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht. Knapp vier Prozent lebten in unzumutbaren Wohnverhältnissen.
Obdachloser Heranwachsender am Kölner Hauptbahnhof (Archivbild) Foto: Imago/epd

Rund zwei Drittel der Klienten waren männlich, ein Drittel war weiblich.

  • Nachdem der Anteil der Hilfesuchenden in Haushalten mit Kindern im Vorjahr 2021 mit elf Prozent einen neuen Höchststand erreicht hatte, stabilisierte sich der Wert 2022 den Angaben zufolge auf hohem Niveau – nämlich bei 10,4 Prozent.
  • Zudem konnte mit rund 39 Prozent weit mehr als jede dritte Familie, die eine Hilfseinrichtung aufsuchte, bei Hilfebeginn keine eigene Wohnung vorweisen, wie es in der BAGW-Studie weiter heißt.
  • Auch mit Blick auf die Staatsangehörigkeit der Klienten sei eine Stabilisierung festzustellen. Die Zahl der Menschen ohne deutsche Nationalität schwankte seit 2018 auf gleichbleibendem Niveau zwischen 30 und 34 Prozent.
  • Unter den akut wohnungslosen Menschen befand sich 2022 ein Drittel ohne deutsche Staatsangehörigkeit – oder 32 Prozent.
Jugendschicksal: Endstation Straße. Foto: Imago/Imagebroker

BAG: Kommunale Gesamtkonzepte notwendig

Im Zusammenhang mit der Wohnungsnot junger Menschen forderte die BAGW „niedrigschwellige und zielgerichtete Maßnahmen“. Unter anderem brauche es „kommunale Gesamtkonzepte“, um die Zuständigkeit und Finanzierung zu klären. Außerdem brauche es „unbedingt mehr bezahlbaren Wohnraum“, erklärte Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAGW. „Ohne diesen werden wir die Wohnungslosigkeit nicht eindämmen können.“

Der am Montag von der BAGW veröffentlichte Jahresbericht zur Lebenslage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen bezieht sich auf das aktuelle Berichtsjahr 2022. Für den Bericht wurden den Angaben zufolge Daten von über 38.200 Klienten aus 227 Einrichtungen und Diensten der freien Träger ausgewertet.