Die Angeklagte Beate Zschäpe (rechts) kommt am 16. Januar 2014 in den Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München. Foto: dpa

Martin Arnold wäre beinahe ein weiteres Todesopfer des NSU geworden – Vor Gericht schildert der Polizist seine Erinnerungen an Heilbronner Anschlag auf Polizisten.

Martin Arnold wäre beinahe ein weiteres Todesopfer des NSU geworden – Vor Gericht schildert der Polizist seine Erinnerungen an Heilbronner Anschlag auf Polizisten.

München - Erschütterndes ist in den 58 Leitzordnern zu finden, in denen Polizisten und Staatsanwälte Fakten zum Fall Michèle Kiesewetter und Martin Arnold zusammengetragen haben. „Ich wollte schon als Kind Polizist werden, das war mein Lebenstraum“, erzählt der Mann, dem die mutmaßlichen Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) am 25. April 2007 in Heilbronn in den Kopf schossen.

Seine Stimme ist klar, Heiterkeit schwingt in ihr mit, als Arnold ein Stück weit den Vorhang von seiner Seele zieht. Vor dem Münchner Oberlandesgericht schildert er, wie er sein Studium der Wirtschaftsinformatik schmiss und sich bei der baden-württembergischen Polizei bewarb. Er schockierte seine Eltern, als er ihnen von der Bewerbung erzählte. Glücklich war er, als er seinen Ausbildungsplatz an der Polizeischule zugewiesen bekam: „Mir stand die Welt offen.“

Bis zu jenem sonnigen Mittwoch, als seine Kollegin Kiesewetter erschossen und ihm eine Kugel in den Kopf gefeuert wurde. Knapp fünf Meter sitzt Martin Arnold von der Frau entfernt, die die Staatsanwälte – außer den Rechtsextremisten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – für die Mörderin halten. Beate Zschäpe kreuzt die Arme vor ihrer Brust. Ab und zu beschäftigt sie sich mit dem Riegel Kinderschokolade auf dem Tisch, stopft sich ein Bonbon in den Mund.

Während Martin Arnold beschreibt, wie sich sein Leben seit dem Frühlingstag in Heilbronn verändert hat. Nachts wache er auf, sein Gleichgewichtssinn sei gestört, sein Kopf sehe vor lauter Narben aus „wie eine Landkarte“. Der 31 Jahre alte Kommissar macht sogar Witze über seinen Kampf mit den lebensgefährlichen Verletzungen. Als er nach vier, fünf Wochen aus dem Koma erwacht sei und die ganzen Schläuche in seinen Armen gesehen habe, habe er sie rausgerissen. Er habe das Ganze für einen Scherz seiner Kollegen von der Bereitschaftspolizei gehalten. „Die trainieren sehr realistisch.“ Die Richter und Anwälte lachen.

Die Spiegel in seinem Krankenzimmer sind abgehängt worden, damit er sich nicht selber sehen konnte. Von der Außenwelt ist er abgeschottet – 14 Tage lang, und niemand sagte ihm, was geschehen war. Seine Eltern, Ärzte, Pflegekräfte, alle sprachen nur von einem Unfall. „Ich dachte schon an einen Motorradunfall – bis mir bewusst wurde, dass ich ja gar keinen Motorradführerschein habe.“ Er weiß von nichts, bis die Polizisten der den Anschlag untersuchenden Sonderkommission Parkplatz kamen, um ihn zu befragen. Und ihm zu sagen, dass seine Streifenpartnerin Kiesewetter das Attentat nicht überlebt habe. Dem Ermittler, sagt Arnold, „habe ich in den Bauch geboxt“.

Freiwillig gemeldet für Einsatz in Heilbronn

Den Fahnder wird es nicht geschmerzt haben. Seine Oberschenkel, erzählt Arnold, „konnte ich mit einer Hand umfassen“. Von der Kugel in seinem Kopf haben die Ärzte nur zwei Stücke heraus operieren können. Ein drittes Teil steckt noch im Kopf. „Da wollen die Ärzte nicht ran, wenn sie nicht müssen.“ Und Arnold selber will sowieso nicht, dass „noch mal was an meinem Kopf gemacht wird“. Die rechte Seite konnte er kaum bewegen. Sie war wie gelähmt. „Das waren nicht wirklich meine Hände, meine Arme. Ich hatte das Gefühl, die sind angenäht.“ Immer wieder sei er gestürzt.

Für den Einsatz in Heilbronn hatte sich Arnold eine Woche zuvor freiwillig gemeldet. Er hatte nach seiner Ausbildung zum Schutzmann eine Spezialausbildung gemacht, hatte gelernt, Gewalttäter aus einer Menschenmenge herauszunehmen und festnehmen. Er war der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit 523 in Böblingen zugeteilt worden. Eigentlich hatte er Urlaub, als um den 18., 19. April Freiwillige für den Einsatz in Heilbronn gesucht wurden. Ein Einsatz, bei dem die jungen Polizisten durch die Straßen patrouillieren und Drogensüchtige kontrollieren sollten. Arnold meldete sich freiwillig – wie auch Kiesewetter.

Am Samstag oder Sonntag „hat die Michèle mich gefragt, ob wir zusammen im Streifenwagen fahren wollen“, erinnert sich Arnold noch. Die 22-Jährige war schon mehrfach zu den Einsätzen in Heilbronn abgestellt worden. Arnold war neu in der Einheit. „Für mich war der 25. April der erste und letzte Tag in Heilbronn.“

Die Täter hätten ihm, sagt Arnold mit trauriger Stimme, „die Waffe abgenommen. Ich werde nie wieder eine tragen – und will es auch nicht mehr“. Seitdem ist aus dem Berufswunsch Polizist im Streifendienst ein Job im Innendienst geworden.

Wie er es empfinde, dass es lange Zeit kein Ergebnis in den Ermittlungen gegeben habe, will Richter Manfred Götzl wissen. Einen Moment denkt Arnold nach: „Unzufrieden! Denn das Motiv fehlt, das ist nicht da.“