Neue Zahlen belegen: 78 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien studieren, bei den anderen sind es nur 25 von 100. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das Deutsche Studierendenwerk fordern Reformen.
Fast 400 Seiten umfasst der Nationale Bildungsbericht. In ihm sind zahlreiche schon bekannte Daten zusammengefasst. Aber versteckt zwischen all den Texten und Grafiken finden sich auch bislang unveröffentlichte Zahlen, die es in sich haben. Die Rede ist vom neuen Bildungstrichter des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung.
Der Bildungstrichter zeigt: Ob es jemand bis zur Hochschule schafft, hängt noch immer sehr stark davon ab, in welche Familie er geboren ist. 78 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien nehmen im Lauf ihres Lebens ein Studium auf. Haben die Eltern keinen Studienabschluss, schaffen es nur 25 von 100 Kindern. Arbeiterkinder haben also noch immer deutlich schlechtere Chancen. Das Deutsche Studierendenwerk und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) üben harte Kritik an der mangelnden Bildungsgerechtigkeit und fordern durchgreifende Reformen.
Die Erinnerung an den Pisa-Schock
Die Erkenntnisse dürften niemanden überraschen, sagt GEW-Chefin Maike Finnern mit Blick darauf, dass schon die erste Pisa-Studie aus dem Jahr 2000 aufgedeckt hat, wie stark in Deutschland der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängig ist. „Es ist eine erschreckende Erkenntnis, wie viel schlechter noch immer die Chancen von Kindern aus Nichtakademiker-Familien im Vergleich von zum Nachwuchs von Eltern mit Uni-Abschluss sind, an die Hochschule zu kommen“, sagte sie unserer Redaktion.
Die Kopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft habe in den letzten 20 Jahren offenbar sogar zugenommen, erklärte die Lehrergewerkschafterin mit Blick auf den Nationalen Bildungsbericht. „Das ist nicht nur ein bildungs-, sondern auch ein gesellschaftspolitischer Skandal“, betonte sie. „Der Anspruch der Politik, Aufstieg durch Bildung und gesellschaftliche Durchlässigkeit möglich zu machen, wird ad absurdum geführt.“
Finnern forderte: „Bildung muss endlich gut ausfinanziert werden.“ Sie ergänzte: „Das Geld muss da ankommen, wo es am dringendsten benötigt wird: in den Schulen in schwierigen sozialen Lagen, bei armen Kindern und ihren Familien.“ Sonst würden Bildungsferne und Armut weiterhin vererbt.
Auch der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks, Matthias Anbuhl, beklagte: „Die soziale Spaltung bleibt die klaffende Wunde des gesamten Bildungssystems.“ Beim Zugang zur Hochschule hätten sich „soziale Ungleichheiten zementiert“, sagte er unserer Redaktion. Deutschland brauche eine Bildungsreform, die gezielt für mehr Chancengleichheit sorge – von der Kita über die Hochschule bis zur Weiterbildung. „Akademische Bildung wird in Akademiker-Familien als kulturelles Kapital geradezu vererbt“, sagte er. „Der neue Bildungstrichter bestätigt das einmal mehr.“
Ruf nach Verbesserungen beim Bafög
Das Studierendenwerk fordert insbesondere Verbesserungen beim Bafög, um auch Kindern aus bildungsfernen, einkommensschwächeren Familien den Weg an die Unis und Fachhochschulen zu ermöglichen. Die aktuelle Bafög-Reform sieht eine Erhöhung von fünf Prozent vor, die letzte Erhöhung ist zwei Jahre her. Anders als etwa beim Bürgergeld gibt es beim Bafög keinen regelmäßigen Erhöhungstermin, weshalb die Sätze in der Vergangenheit teils über Jahre nicht angepasst wurden.
Einer der wichtigsten Faktoren für die Aufnahme eines Studiums sei eine frühe Sicherheit bei der Studienfinanzierung, so Anbuhl. „Hier könnte ein Bafög, das regelmäßig an die Entwicklung von Preisen, Mieten und Einkommen angepasst würde, seine volle Wirkung entfalten und noch viel mehr jungen Menschen den Weg ins Studium ebnen“, sagte er.