Der Übergang auf weiterführende Schulen ist vom Land neu geregelt worden. Dazu gehört nun die Kompetenzmessung namens „Kompass 4“ – zwei schriftliche Tests, die im Vorfeld Schüler wie Eltern verunsichert haben. Zu Recht? Ein Besuch in Fellbach.
Die erste von zwei Prüfungen ist geschafft, und alle Beteiligten atmen durch. Die Rede ist von der sogenannten Kompetenzmessung „Kompass 4“. Dafür stehen an diesem Dienstag und Mittwoch zwei Prüfungen an in Deutsch und in Mathe. Sie sind verpflichtend an allen öffentlichen Grundschulen und sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren mit Bildungsgang Grundschule.
Auftakt war am Dienstag um Punkt 9 Uhr der Test in Deutsch. An der Anne-Frank-Schule im Fellbacher Stadtteil Schmiden wurden dafür sogar die Pausen verschoben. „Wir wollten, dass die Viertklässler nicht durch den Lärm der pausierenden anderen Schüler gestört werden, deshalb haben wir unsere Pausen den Prüfungszeiten von ‚Kompass 4’ angepasst“, erklärt Dagmar Feuerstein. Die Rektorin ging nach Ablauf der 45-minütigen Prüfungszeit durch die Reihen der Schüler, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Und was sie dabei wahrnahm, beruhigte die Pädagogin: „Es gab keine Panikattacken im Vorfeld. Zudem meinten viele, dass es voll in Ordnung gewesen sei. Manche fanden es auch schwer, aber die Mehrzahl war sichtlich zufrieden.“
Erleichterung beim Mittagessen
Das erleichterte wohl nicht nur die Schulleiterin der Anne-Frank-Schule Schmiden. Auch viele Eltern dürften am Mittagessenstisch erleichtert aufgeatmet haben, als ihr Kind gut gelaunt nach Hause kam. Denn der Druck ist bei vielen groß. „Das Ganze ist stark emotional besetzt. Viele Eltern wollen unbedingt, dass ihr Kind aufs Gymnasium kommt, sie fiebern da natürlich mit. Dass es nicht möglich war, auf die Tests zu lernen, gab vielen Eltern ein besonders unsicheres Gefühl“, sagt Dagmar Feuerstein. Dabei ist sich die Schulleitern sicher: Wenn man es als das betrachte, was es letztlich sei, nämlich eine objektive Datenbasis, um die Kinder richtig einzuschätzen, sei es „eine gute Sache“.
Doch was hat es denn eigentlich genau auf sich mit dem „Kompass 4“? Um das zu verstehen, muss man sich das komplette neue Aufnahmeverfahren in Baden-Württemberg – kurz „Navi 4 Baden-Württemberg“ – anschauen. Es setzt sich zusammen aus Informationsveranstaltungen zur Vorstellung der weiterführenden Schularten, der besagten ‚Kompass 4’-Kompetenztests für alle Schüler, dazu Informations- und Beratungsgesprächen durch die Klassenlehrer, einer pädagogischen Gesamtwürdigung der Klassenkonferenz auf Grundlage der in Klasse 4 erreichten Noten sowie der überfachlichen Kompetenzen und dem Elternwillen. „Durch das neue Aufnahmeverfahren gilt die Regelung ‚zwei aus drei’. Heißt, der Elternwunsch plus entweder die pädagogische Gesamtwürdigung der Klassenkonferenz oder das Ergebnis aus ‚Kompass 4’ sind entscheidend“, erläutert Alexander Windt vom Staatlichen Schulamt Backnang, der dort als Schulrat für den Fachbereich Grundschule zuständig ist – und dabei besonders für den Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen.
Wenn die Eltern also wünschen, dass ihr Kind aufs Gymnasium kommt, und die Lehrer in der Konferenz zum gleichen Ergebnis kommen, ist es beschlossene Sache. Genau gleich sieht es aus, wenn der Elternwunsch besteht und das Ergebnis der Kompetenzmessung dazu passt. Falls sowohl ‚Kompass 4’ als auch die Lehrereinschätzung gegen das Gymnasium sprechen, gibt es noch die Möglichkeit, dass die Schüler an ausgewählten Gymnasien einen Potenzialtest absolvieren, um den Zugang zum Gymnasium zu erhalten. „Ziel ist es, dass wir durch die Kompetenzmessung eine bessere Entscheidungsgrundlage haben, um Misserfolge zu vermeiden“, erklärt die Leiterin des Staatlichen Schulamts Backnang, Sabine Hagenmüller-Gehring. Denn auch wenn es in der Vergangenheit in der Regel nur zehn Prozent der Schüler gewesen seien, die gegen die Empfehlung der Grundschule an ein Gymnasium gegangen seien, so würden da doch immer Einzelschicksale dahinter stecken. „Das sind Kinder, die dann frustriert sind und durch den fehlenden Erfolg den Spaß am Lernen verlieren. Das soll künftig noch besser verhindert werden können“, sagt Sabine Hagenmüller-Gehring.
„Kompass 4“ sei kein „Grundschul-Abi“, heißt es
Sowohl die Amtsleiterin als auch ihr Kollege vom Staatlichen Schulamt betonen, dass Eltern nicht beunruhigt sein müssten. „Es wird nichts abgefragt, von dem die Kinder noch nie gehört haben. Stattdessen kommt ein Querschnitt dran, der gut machbar sein wird.“ Dass nicht dafür geübt werden könne und solle, sei auch dem geschuldet, dass alle die gleichen Chancen haben sollen. „Es gibt Elternhäuser, da wird geübt, in anderen ist das nicht möglich. ‚Kompass 4’ will eine objektive Einschätzung aus den Schuljahren ermöglichen, ohne gezielte Vorbereitung“, erklärt Alexander Windt und fügt hinzu, dass für die Entwicklung der Aufgaben das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg im Auftrag des Kultusministeriums zuständig war. „Ganz wichtig ist es uns zu betonen, dass es sich beim ‚Kompass 4’ nicht um ein Grundschul-Abi, sondern um ein Hilfsinstrument handelt, dem ohne Druck begegnet werden sollte“, sagt Sabine Hagenmüller-Gehring.
Mathe werden die Schüler entspannter angehen, so die Schulrektorin
Dagmar Feuerstein jedenfalls ist überzeugt, dass ihre Schüler viel entspannter in die Matheprüfung an diesem Mittwoch gehen werden. „Die wissen jetzt schon eher, was auf sie zukommt, und dass es halb so schlimm ist. Langfristig muss das neue Modell so etabliert werden, dass es am meisten bringt, um richtige Entscheidungen zu treffen, ohne Kindern Druck zu machen.“