Er war Vorsitzender im spektakulärsten Prozess der deutschen Rechtsgeschichte: dem Stammheimer Baader-Meinhof-Prozess. Nun ist Theodor Prinzing im Alter von 99 Jahren gestorben.
Als Gerichtsvorsitzender sah er sich in der Rolle des Verteidigers bürgerlich-rechtsstaatlicher Normen gegen den Linksterrorismus. Das war von Anfang an auf Konflikt angelegt und hat den Stammheimer Baader-Meinhof-Prozess zu einem der spektakulärsten in der deutschen Rechtsgeschichte gemacht. Dabei unterliefen dem Vorsitzenden auch Fehler, und letztlich ist Theodor Prinzing an den rechtsstaatlichen Vorgaben, für die er so vehement eintrat, selber gescheitert. Nun ist bekannt geworden, dass Prinzing am 26. Februar 2025 im Alter von 99 Jahren in Stuttgart gestorben ist.
Nach 192 Verhandlungstagen, am 28. April 1977, verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart im Stammheimer Verfahren die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wegen mehrfachen Mordes und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Doch nicht Theodor Prinzing verkündete das Urteil, sondern sein Nachfolger Eberhard Foth. All das geschah vor einer leeren Anklagebank. Die Angeklagten wie auch ihre Wahlverteidiger waren schon seit längerer Zeit nicht mehr erschienen. Mit diesem Urteil, das übrigens niemals rechtskräftig wurde, denn die Verurteilten waren ein halbes Jahr später tot, ging ein Verfahren der Superlative zu Ende. Nie zuvor hatte es im Gerichtssaal eine so erbitterte Auseinandersetzung zwischen Gericht und den Angeklagten gegeben, die eine „Klassen- justiz“ nicht anerkennen wollten.
Theodor Prinzing bestand auf Vorschriften
Das hätte so nicht kommen müssen. Es hat in der Auseinandersetzung mit der Außerparlamentarischen Opposition den einen oder anderen Gerichtsvorsitzenden gegeben, der die Strafprozessordnung flexibel handhabte, ohne damit das Recht zu verletzen. Doch Richter Prinzing bestand auf strikter Auslegung der Vorschriften. Auf der Suche nach einem geeigneten Vorsitzenden für das Stammheimer Mammut-Verfahren wählte der baden-württembergische Justizminister Bender unter achtzehn Kandidaten Theodor Prinzing aus.
Als Berichterstatter, Beisitzer und zuletzt Vorsitzender in großen Prozessen, in denen es um Judenmord ging, hatte er Ehrgeiz, Durchblick und Durchsetzungswillen bewiesen und konnte auf eine reiche Schwurgerichts-Erfahrung zurückblicken. Nun machte Prinzing einen Karrieresprung: Er wurde Vorsitzender Richter des Großen Strafsenats am Oberlandesgericht Stuttgart.
Der Höhepunkt in Theodor Prinzings Lebenslauf
Das war ein Höhepunkt in seinem Lebenslauf: Prinzing wurde 1925 in Ulm geboren. Nach Militär- und Kriegszeit studierte er Jura und promovierte über das Thema: „Die rechtliche Behandlung ungetrennter Bodenfrüchte im bürgerlichen Gesetzbuch“. Zunächst war er Staatsanwalt in Stuttgart, dann Amtsrichter, drei Jahre später Richter am Landgericht und acht Jahre darauf Landesgerichtsdirektor. In vier NS-Prozessen, unter anderem dem Tarnopol- und dem Lemberg-Prozess, hatte er bewiesen, wozu er als Richter fähig war und hielt sich für den geeigneten Mann im Stammheimer Verfahren das Recht , das nicht wenige der jungen Leute als „faschistisch“ ansahen, zu verteidigen.
Der damalige Oberlandesgerichtspräsident Horn hatte gewisse Zweifel und lud Journalisten, die in West-Berlin in einschlägigen Prozessen ihre Beobachtungen gemacht hatten, zu einer Kaffee-Runde ein, an der auch Prinzing teilnahm. Die Empfehlung, die Angeklagten, die das Gericht als politisches Forum benützen wollten, erst einmal reden zu lassen und dann erst auf die „Vernehmung zur Person“ einzugehen, schlug Prinzing in den Wind. Er werde, so sagte er, beweisen, dass man mit dem Rechtsstaat nicht Schindluder treiben könne. Und mit dem Apo-Anwalt Otto Schily, der sich in Berlin einen Namen gemacht hatte, werde er schon fertig werden. Nur es gab einen Unterschied, den Prinzing nicht bedachte: Die Angeklagten in den NS-Prozessen waren an Gehorsam gewöhnt, die Angeklagten, die aus der Apo kamen, lehnten sich massiv gegen die Ordnung auf. Und Verteidiger wie Otto Schily, die sich in der Strafprozessordnung blendend auskannten, bestärkten sie darin. Deshalb lief der Stammheimer Prozess von Anfang an schief.
Stammheimer Prozess wurde zur Materialschlacht
Mit vierzigtausend Asservaten und 150 prall gefüllten Ordnern stand eine Materialschlacht an, aber Stammheim wurde eine politische, eine ideologische Auseinandersetzung. Das endete oft in lautstarkem Streit, noch nie wurde in einem Prozess so viel herumgebrüllt wie hier. In gewisser Weise war Prinzing für die RAF ein idealer Gegner, weil er sich so oft provozieren ließ. Aber es waren weniger die Angeklagten, die dem Vorsitzenden zusetzten, es war der Ensslin-Verteidiger Otto Schily, der Prinzing Nerven kostete. Er führte mit Prinzing einen verbissenen Kampf um prozessuale Fragen und stellt viele Befangenheitsanträge. Lange stand der Senat zu seinem Vorsitzenden, aber es war dann der 85. Befangenheitsantrag, an dem Prinzing schließlich scheiterte. Obwohl streng verboten, hielt Prinzing Kontakte zur Revisionsinstanz, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Mit einem befreundeten Richter tauschte er sich aus. Als das bekannt wurde, musste Prinzing aufgeben. Schily hatte ihn ohnehin an den Rand seiner Kräfte gebracht.
Prinzing ging nicht, wie erwartet, strahlend aus diesem Prozess hervor. Der Prozess insgesamt, so sagte er später, sei das Verfahren für ihn eine „ununterbrochene Belastung gewesen. Als Präsident des Landgerichts Tübingen konnte er dann bis zu seiner Pensionierung ruhigere Jahre verbringen. Aber seine Bekannten erhielten noch lange Briefe, die bewiesen, dass „Stammheim“ in ihm rumorte und dass seine Erbitterung über Otto Schily noch wuchs, der durch den Prozess populär geworden war und das als Sprungbrett für seine politische Karriere nutzte.