Der Künstler Herbert Stattler hat in der Cannstatter Galerie Wiedmann seine Kunstwerke Ende des Jahres 2022 ausgestellt, jetzt ist ein Buch daraus entstanden.
Der Berliner Herbert Stattler hat in Bad Cannstatt in der Galerie Wiedmann seine Kunstwerke Ende des Jahres 2022 ausgestellt, jetzt ist ein Buch daraus entstanden. Unter dem Titel „Spitzenwaren. Ein Album 1900 bis 1954“ erscheint es mit Texten von Martin Bauer. Es vereint Kunst und besondere Stuttgarter Firmengeschichte mit historischer Bedeutung.
Herr Stattler, was war der Auslöser respektive der Antrieb dafür?
In der Ausstellung „Spitzenwaren“ konnten die Besucher die originalen Zeichnungen sehen – doch jede Ausstellung ist an Ort und Zeit gebunden. Im Buch sind die Werke zwar keine Originale, aber in besonderer Druckqualität reproduziert, die dem eigenen Charakter der Bleistiftzeichnungen sehr nahekommen. Und: Jede der 38 Zeichnungen wird von einem begleitenden Essay ergänzt, der ihren Hintergrund beleuchtet – das ermöglicht nur das Buch.
Sie haben Spitzenwaren gezeichnet von der einstigen Stuttgarter Spitzenwarenfirma Oberdorff & Straub, sich aber auch beispielsweise mit Geschäftspost auseinandersetzt. Was hat Sie dabei erstaunt?
Beim Durchsehen der Dokumente wurde für mich deutlich, wie stark historische Umbrüche auf ein Unternehmen einwirken – und auf die Menschen, die dort arbeiten. Wir sprechen hier von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vom Ersten Weltkrieg, der Weltwirtschaftskrise und der NS-Diktatur bis zur Nachkriegszeit. Das hinterlässt Spuren – in der Geschäftskorrespondenz gleichermaßen wie in den Entwürfen für die Spitzen.
Die Firmenkorrespondenz ist im Buch künstlerisch verarbeitet, aber auch inhaltlich. Was ist für Sie inhaltlich wichtig und überraschend gewesen, können Sie ein Beispiel geben?
Nehmen wir die Adresshefte, die von den Handelsvertretern der Firma benutzt wurden. Diese reisten mit Musterkoffern durch Europa, um die Spitzenwaren an die großen Kaufhäuser und Fachhändler zu verkaufen. In so einem Adressheft waren unter den Namen der Städte die Anschriften der dort zu besuchenden Händler verzeichnet. Manchmal finden sich kleine Randbemerkungen zu den jeweiligen Kunden, etwa „ist faul“ oder „Platz zu besuchen ist nicht lohnend“. Doch dann tauchen Eintragungen auf, in denen ein Name durchgestrichen und mit einem Judenstern versehen ist. Ich sitze also im Archiv und bemerke, was diese kleine Markierung mit blauem Buntstift bezeugt, en passant, einfach beiläufig, nämlich dass eine Katastrophe geschieht. Es sind winzige Spuren der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Das musste ich unbedingt zeichnen und im Buch festhalten.
Was erhoffen Sie sich mit dem Buch, wen möchten Sie damit ansprechen?
Alle, die sich für die Verbindung von Wirtschaft und Geschichte auf der einen Seite und dessen künstlerische Umsetzung auf der anderen interessieren. Für die Lebenswege hinter einem Unternehmen – für Erfolge, Brüche, Verluste und wie man diese Entwicklung anschaulich machen kann. Das Buch richtet sich darüber hinaus nicht nur an ein Stuttgarter Publikum, sondern an alle, die einem Zusammenhang von persönlichen Geschichten und historischen Entwicklungen nachgehen wollen.
Spitzenwaren. Ein Album 1900 bis 1954, Herbert Stattler mit Texten von Martin Bauer, Spector Books, Leipzig, ISBN 978-3-95905-883-4, 168 Seiten, 86 Euro. Das Buch wird am 10. Mai in Berlin in der Galerie Vincenz Sala um 18 Uhr vorgestellt.