Musikalische Berührungsängste sind dem Musiker, Dirigenten und Musiklehrer Ralf Brendle fremd. Jetzt spielt er wieder auf dem Stuttgarter Weindorf. Im Interview erklärt er, warum er keinen Lieblingssong hat und worum es ihm beim Musizieren geht.
Der Mann mit dem Akkordeon und den Liederbüchern ist längst eine feste Größe auf dem Weindorf. Seit mehr als zehn Jahren sorgt Ralf Brendle mit seinem Akkordeon bei Schmücker’s Ox für gute Stimmung.
Herr Brendle, warum musiziert ein Musikpädagoge auf dem Weindorf?
Ich bin zwar Musiklehrer, habe eine musikpädagogische Ausbildung am Konservatorium in Trossingen gemacht und dort auch das Dirigieren gelernt. Aber ich bin natürlich auch Musiker. Und das kommt auf dem Weindorf zum Tragen.
Sie spielen nicht einfach drauflos, sondern machen den Leuten ein Angebot?
Das ist richtig, ich habe meine Liederbücher dabei – und das scheint sich herumgesprochen zu haben. Natürlich kommen die Leute zum Essen, zum Trinken und zum Schwätzen in die Laube Nummer 5 zu Schmücker’s Ox. Aber manche eben auch, um zu singen. Das Ganze ist ein wenig wie Karaoke, nur eben nicht mit Teleprompter, sondern mit einem Liederbuch.
Wenn Sie an einen Tisch kommen, sehen Sie dann den Leuten an, was die sich wünschen?
Manchmal schon. Aber ich gebe natürlich auch Hilfestellung. Wenn sich einer am frühen Abend „Sound of Silence“ wünscht, dann gebe ich zu bedenken, dass die Nacht noch jung ist und der Song gegen 23 Uhr passt. Aber ansonsten geht es querbeet: „Kufsteinlied“, „Country Roads“, was von Westernhagen, „Skandal im Sperrbezirk“. Ich mache auch vor Ballermann-Songs nicht halt. Das Publikum gibt den Ton an. Wenn der Song in meinem Liederbuch drin ist, umso besser. Wer kennt schon die dritte Strophe von einem Schlager.
Sie fangen meist um halb sechs an und spielen bis zum Zapfenstreich. Klingt nach einem Knochenjob . . .
Sagen wir mal so: Es gibt Auftritte, da verdienst du dein Geld leichter. Aber Sie können mir glauben, das macht wahnsinnig Spaß. Mit kaum einem Instrument bist du so nahe am Publikum wie mit dem Akkordeon.
Wie meinen Sie das?
Mit einer Gitarre spielst du keine Melodie, mit einer Klarinette kannst du nicht singen, und mit einem Klavier bist du rein räumlich immer etwas auf Distanz. Mit meinem Akkordeon bin ich mittendrin bei den Leuten, direkt an den Tischen. Das macht viel aus, was den Kontakt zum Publikum betrifft.
Als Musiker kommt man ganz schön herum, nicht nur von Herrenberg, wo Sie wohnen, bis zum Stuttgarter Weindorf.
Das ist richtig, aber mit einer Familie und drei kleinen Kindern hat sich das etwas gelegt. Doch das wird auch wieder anders – und ich kann mich nicht beschweren: Ich bin schon in vielen europäischen Ländern aufgetreten, war in China, Südamerika, Indien und den USA.
Und Sie haben mit einem kleinen Orchester in Washington einen bedeutenden Musikpreis geholt.
Das war beim „Coupe Mondial“, dem wohl wichtigsten Wettbewerb im Akkordeonbereich. Da trat ich mit einem Quintett auf, das von meinem damaligen Professor angeleitet wurde. In der Kategorie Kammermusik holten wir den ersten Preis. Wir spielten ein Stück von Robert Schumann, aber auch was Avantgardistisches und eine Art Hip-Hop-Komposition mit Musik, Sprechgesang und Bewegung. Im Grunde gibt es nichts, was man mit einem Akkordeon nicht machen kann.
Sie spielen auch auf Beerdigungen.
Stimmt, auch da gibt es ein gewaltiges Spektrum. Meist hat es etwas mit dem Verstobenen zu tun. Die Spanne reicht vom Kirchenlied bis zu „Nothing Else Matters“ von Metallica. Ich bin gelernter Zimmermann, und am Grab meines früheren Chefs habe ich die „Amboss-Polka“ gespielt, weil wir diese immer gemeinsam auf der Weihnachtsfeier im Betrieb dargeboten hatten– er am Amboss, ich am Akkordeon. Aber natürlich habe ich das Lied bei der Beerdigung ganz anders intoniert.
Haben Sie einen Lieblingssong?
Komisch, das werde ich auch immer auf dem Weindorf gefragt. Das ist jetzt überhaupt nicht anbiedernd gemeint: Aber das Größte ist für mich, das zu spielen, was mein Publikum sich wünscht. Da gehe ich dann ganz in dem Song auf.
Auch bei der Ballermann-Hymne „Der Zug hat keine Bremsen“?
Auch dabei, es steht einfach die Gaudi im Vordergrund. Nur am Anfang eines Arbeitstags, da setze ich mich an den Rand, beobachte, wie die Leute aufs Weindorf kommen, und spiele feine Sache wie „La vie en rose“ oder „Biscaya“ von James Last. Meine Mutter kann das nicht mehr hören. Aber das ist der Song, von dem ich als Kind gesagt habe: „Den will ich unbedingt spielen können.“
Essen, Trinken, Singen, Schwätzen
Vollblutmusiker
Er spielt virtuos Klavier, Mundharmonika und Akkordeon. „Doch das Akkordeon und ich, wir sind so richtig eng verbunden“, sagt Ralf Brendle. Im Alter von acht Jahren hat Brendle, Jahrgang 1979, in Jettingen aufgewachsen, mit dem Akkordeonspielen angefangen. Nach der Schule hat er eine Lehre als Zimmermann
Talk
Gleich in direkter Nachbarschaft zu Brendles Laube Schmücker’s Ox geht auch in diesem Jahr der „Weindorf-Talk“ von SWR-Studio Stuttgart, den Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung über die Bühne. Von Montag, 2., bis Mittwoch, 4. September, begrüßen wir wieder prominente Gäste auf der Kulturbühne. Unter anderem dabei: Wirtschaftsminister Cem Özdemir, Ex-VfB-Star Hansi Müller sowie die Schauspieler Natalie O’Hara und Kollege Walter Sittler.