Das Broadway-Musical über Michael Jackson feiert am Sonntag Deutschland-Premiere – in Hamburg. Seit Jahren spielt Stuttgart bei den Starts neuer Shows keine Rolle mehr. Mit einem Hit aus London könnte sich dies ändern. Auch OB Frank Nopper äußert sich dazu.
Wer es positiv sieht, freut sich: Weil Stuttgart seit Jahren nur noch in den Genuss von Zweitverwertungen bei Musicals kommt, sind auf den Fildern exzellente Shows zu sehen, die meist besser sind als bei den Premieren. Denn aus Fehlern lernen die Kreativteams, feilen immer weiter daran. Negativ dagegen schlägt zu Buche, dass eine Musicalstadt – als solche wird Stuttgart mit zwei Theatern gerne angepriesen – an Bedeutung verliert, wenn das Neue an ihr immer vorbeizieht.
Ob bei der Oper, beim Ballett, beim Modern Dance (dank Eric Gauthier), bei den Jazz Open (allein das Kraftwerk-Konzert mit Teilnahme aus dem All!) oder in der Welt der Artisten (vor dem Wettstreit um die Goldenen Clowns in Monte Carlo feiern die Besten der Besten Premiere beim Weltweihnachtscircus auf dem Wasen) – überall ist Stuttgart Spitze. Mehrfach wurde Stuttgart zur Kulturhauptstadt Deutschlands gewählt. Die Stadt geht mutig und kreativ voran, was in der Wirtschaftsmetropole Stuttgart obendrein als Standortvorteil gilt. Wenn Kultur und Co. stimmen, ziehen gute Fachkräfte gerne hierher.
Und bei den Musicals? In der Stadt, aus der einst Rolf Deyhle mit Büro im obersten Stock des SI als Entertainment-Pionier ganz Deutschland aufgemischt hat, ist man bei Musicals hingegen zweite Wahl. Der Marktführer Stage Entertainment hat seinen Sitz in Hamburg. Die neuen Shows werden bevorzugt in Hamburg gefeiert. Die letzte Deutschland-Premiere in Stuttgart liegt sechs Jahre zurück. Seit „Anastasia“ von 2018 haben die Musicalfans im Süden das Nachsehen, weil seitdem alle wichtigen Produktionen, wie jetzt am 1. Dezember „MJ“ über Michael Jackson, im Norden starten.
OB Nopper findet, dass Stuttgart ein Deutschland-Premiere verdient hat
Auch OB Frank Nopper (CDU) setzt sich dafür ein, dass die Stage Entertainment Stuttgart aufwertet. „Als Stern des deutschen Musical-Südens hätte Stuttgart eine deutsche Erstaufführung durchaus verdient“, sagt er unserer Redaktion. Die beiden Spielstätten auf den Fildern seien ein „wichtiger Standortfaktor“ und hätten „eine große Bedeutung für Tourismus, Hotellerie und Gastronomie“. Nach seinem Besuch von Disneys „Eiskönigin“ im Apollo-Theater sagt Nopper: „Zwar wurde die Show zuerst in Hamburg aufgeführt, aber wir haben eine sehr überzeugende Premiere erlebt, mit einer ganz besonders schönen Stuttgart-Variante der ,Eiskönigin’.“ Dennoch wünscht sich Nopper, dass eine Deutschland-Premiere in seine Stadt kommt.
Früher gab es regelmäßig Erstaufführungen in Stuttgart
Wie Frank Nopper loben fast alle: Die Stuttgart-Premiere der „Eiskönigin“ sei „großartig“ gewesen, die Disney-Show hat das Publikum hellauf begeistert. Aber Stuttgart hat darauf drei Jahre warten müssen – drei Jahre, in denen die Musicalwelt über Hamburg spricht, nicht über Stuttgart. Früher gab es regelmäßig Deutschland-Premieren in Stuttgart – von „Miss Saigon“ über „Tanz der Vampire“ bis zu „Mary Poppins“. Doch das ist mittlerweile Vergangenheit.
„Als größter Musical-Standort in ganz Süddeutschland hätte Stuttgart mit seinem treuen Publikum definitiv mal wieder eine Deutschland-Premiere verdient“, sagt Timo Steinhauer, der Intendant des Friedrichsbau Varietés. Als Theaterchef wisse er aber auch, dass man nicht immer so könne, wie man gern wolle. „Es gibt oft Umstände, nach denen man sich richten muss und die für das Publikum nicht augenscheinlich sind“, betont er. Die Stage kaufe zu einem Großteil bereits existierende Produktionen vom Broadway oder aus dem Westend ein, da müsse man auch mit anderen Größen wie etwa Disney verhandeln.
Steinhauer sieht es so: „Was in Hamburg schon gut ist, wird für Stuttgart noch verbessert. Ganz so, wie wir es hier in Schwaben verdienen.“ Philipp Fischer, seit Jahren ein Musical-Insider, der für Künstler arbeitet, findet, dass „eine wirkliche Premiere einer großen Produktion für die gesamte Region etwas Tolles ist“ und auf Süddeutschland ausstrahle.
Sind die Möglichkeiten für Touristen in Hamburg größer?
Liegt es nicht allein an der Vielzahl der Stage-Häuser in Hamburg, sondern auch an der größern Attraktivität für Touristen dort? Darauf weist Frl. Wommy Wonder hin, ein Stammgast bei Musical-Premieren in Stuttgart: „Möhringen liegt etwas abseits vom Schuss im Gegensatz zu Hamburg, wo man Musicalbesuche mit Stadtbummel, Sightseeing und Co. verbinden kann.“ Die „Eiskönigin“ habe gezeigt, so Wommy: „Die Zuschauer in Hamburg sind nur die Vorkoster, wir bekommen die überarbeite Deluxe-Variante, sind also die Premiumverwalter der Musicals.“
Was sagt die Stage Entertainment zu der Kritik aus Stuttgart?
Stephan Jaekel, der Sprecher der Stage Entertainment, reagiert auf die Kritik, dass das Hamburger Unternehmen Hamburg bevorzuge, mit einem Lob: „Wir lieben Stuttgart und das hiesige Publikum, das seit so vielen Jahren immer wieder neugierig auf unser Musical-Angebot in beiden Theatern ist“, sagt er. Stuttgart sei „ein starker Standort für uns, und wir haben immer auch die Stuttgart-Brille auf der Nase“. Tatsache sei, dass das Publikum in Stuttgart mehr als positiv auf Stücke reagiere, die man zuvor in Hamburg gespielt habe.
„Fakt ist sogar auch, dass diese fast immer die Besucherzahlen von Stuttgarter Erstaufführungen übertreffen“, erklärt Jaekel und glaubt, „dass die meisten Menschen in Süddeutschland es gar nicht so schlimm finden, keine deutsche Erstaufführung zu sehen, solange und sofern unser Angebot für sie attraktiv und relevant ist.“
Geht es in Stuttgart zurück in die Zukunft?
Noch verrät die Stage Entertainment nicht, welches Musical im Herbst 2025 nach Stuttgart kommt, wenn sich „Tarzan“ aus Möhringen verabschiedet. Nach den Informationen unserer Zeitung könnte es vielleicht doch im nächsten Jahr mit einer Deutschland-Premiere klappen, doch dann müsste sich eine Reihe von Voraussetzungen dafür erfüllen. Dies ist – Stand jetzt – noch offen.
Die Stage bestätigt es nicht. Doch unsere Redaktion hat erfahren, dass es intern folgende Überlegungen gibt: Sollte das Pop-Musical „& Julia“, das in Hamburg im Oktober gestartet ist, floppen wie zuvor „Herkules“ und „Hamilton“, würde die Show „Back to the Future“, die nach dem Film „Zurück in die Zukunft“ gerade in London und am Broadway gespielt wird, wohl an der Elbe beginnen.
Wenn aber die neue Version von Romeo & Julia mit den Hits der 1990er und 2000er Jahre einschlägt, soll sie in Hamburg verlängert werden – und der Weg wäre frei nach Stuttgart für eine echte Deutschland-Premiere. Die Stage hat sich nach unseren Informationen das 2020 in London uraufgeführte Stück „Back to the Future“ für den deutschen Markt gesichert. Sollten alle Theater in Hamburg im nächsten Herbst blockiert sein, könnte es tatsächlich im Palladium-Theater heißen: Zurück in die Zukunft!