Erst glotzt der Turmfalke in die Nistkästen des Muse-O-Gablenberg, dann schnappt er sich zwei Jungvögel. Foto:  

Die Dramen hören nicht auf: Ein Turmfalke lauert und hat schon zwei Küken mit sich geschleppt. Teil 4 unserer Serie, in der wir Mauerseglerfamilien in Stuttgart begleiten.

Wenn die Natur ihr grausames Spiel treibt, ist das für uns Menschlein manchmal schwer mitanzusehen – dabei können wir das doch selbst ganz gut, also einander Wolf sein und so. Aber was sich gerade an den Nistkästen der Mauersegler im Muse-O Gablenberg abspielt, zerreißt das Herz – zumal, wenn man die Familiengründung der Luftakrobaten wie wir nun schon eine Weile in einer kleinen Serie begleitet.

 

Ein Turmfalke hat die Nestlinge als leichte Beute ausgemacht. Auf einem Video, vom Mauersegler-Team des Stadtteilmuseums auf seinem Youtube-Kanal eingestellt, sieht man, wie der Vogel mit dem scharfen Schnabel in die Löcher mehrerer Nistkästen lugt. Dabei hält er sich am senkrechten Mauerwerk oder der Holzplatte fest, die vor den Nistkästen angebracht ist. Und dann passiert es: Aus Loch 7 streckt ein vorwitziger Nestling das Köpfchen zu weit heraus, schon hat ihn der Falke gepackt und davon geschleppt. Blitzschnell. Und so passiert es erneut einen Tag später bei Nummer 15.

Zu viele Dramen in diesem Jahr

Petra Tenzlinger, die die Nistkästen zusammen mit Stefanie Erhardt und Klaus Sturm betreut, findet es verrückt, wie viele Dramen sich in diesem Jahr bei den Mauerseglerfamilien abspielen. Zuerst starb ein Elternteil in Nummer 1 (wir berichteten), dann fiel ein Küken in Kasten 3 aus dem Nest (wir berichteten) und eines starb in Nummer 15. Ohnehin herrschte ein munteres Eierhinauswerfen und -neulegen in den vier Familien, deren Leben der Live-Stream online überträgt.

Dabei bleibt den Betreuern nur, der Natur ihren Lauf zu lassen, in der das Recht des Stärkeren gilt. „Wir dürfen den Turmfalken nicht verscheuchen“, sagt Petra Tenzlinger. Der schöne Kerl mit den blaugrau schimmernden Schwanzfedern gehört zu den streng geschützten, weil bedrohten Greifvogelarten. Außerdem hat er vielleicht selbst eine Brut, die er durchbringen muss.

In den Nistkästen jedenfalls herrscht Riesenaufregung. Nach der Räuberei in Nummer 7 flieht das verbliebene Küken panisch in die hinterste Ecke der Höhle. In Kasten 15 kehrt ein Elternteil mit vollem Kehlsack nach Hause und sucht hektisch in allen Winkeln nach dem entführten Jungen. Das hohe „Srih-Srih“ der Mauersegler klingt erst panisch, später traurig.

Der verbliebene Jungvogel flüchtet panisch ins Innere des Nistkastens 7. Foto: wel

Und all das bei dieser Hitze! Bis zu 35 Grad heiß war es in den ersten Juli-Tagen in den Kästen, hat Petra Tenzlinger gemessen. Aber wie Ökologin Stefanie Erhardt weiß, können die Vögel solche Temperaturen gut verkraften und hätten ihre Strategien dafür: Sie verteilten sich im Kasten und suchten Stellen, an denen es kühler ist. Außerdem spreizten sie ihre Flügel und öffneten die Schnäbel. So sinke die Körpertemperatur.

Erst wenn das Thermometer über 45 Grad im Kasten steige, könnten die Jungen an Überhitzung sterben, schreibt das Mauersegler-Team auf seinem begleitenden Blog. Dann würden sie mitunter instinktiv aus dem Nest fliehen und dabei abstürzen, weil sie noch nicht fliegen können. Wer so einen gefallenen, noch lebenden Vogel findet, kann ihm helfen. Folgende Tipps gibt das Muse-O-Team dafür:

  • Nicht sofort zurück ins Nest setzen, wenn Hitze die Ursache war, dort wäre es vielleicht tödlich.
  • Kühlen, aber nicht unterkühlen, zum Beispiel in den Schatten bringen.
  • Kontakt mit einem Tierarzt aufnehmen. In Stuttgart können auch das Tierheim in Botnang (Telefon: 0711/656774-0) oder der Tiernotdienst der Stadt Stuttgart (Telefon: 0711/216-919 00) helfen.
  • Nicht füttern oder mit Wasser versorgen ohne Anleitung! Mauersegler sind sehr anspruchsvoll in der Aufzucht.

Es gibt auch Gutes zu erzählen

Neben all dem Ungemach gibt es aber auch Schönes von den Mauerseglern zu erzählen. Die verbliebenen sechs Jungen in den vier Höhlen wachsen prächtig, ähneln schon ganz den Eltern – mit großen Kulleraugen im feinen Gesicht. In ein paar Tagen könnten sie die ersten Flugübungen machen. Hoffen wir, dass der Turmfalke bis dahin weiter gezogen ist.

Aktualisierung: Mittlerweile hat der Turmfalke, bei dem es sich um ein Weibchen handelt, auch das zweite Küken aus Nistkasten 7 geholt, somit gibt es keine Nestlinge in diesem Kasten mehr. Auch aus zwei weiteren Nistkästen, in denen keine Kameras installiert sind, scheint er je zwei Küken geraubt zu haben.

Stuttgarter Mauersegler beobachten

Livestream
Mit acht Digitalkameras wird das Treiben in den Nistkästen des Muse-O Gablenberg aufgezeichnet. Ein Livestream auf Youtube schaltet derzeit zwischen den vier belegten Nisthöhlen hin und her. Im zusätzlichen Mauersegler-Blog begleiten die Beobachter die Brut 2025 und stellen besonders interessante Video-Sequenzen ein: www.mauersegler-stuttgart.de. Dort findet man auch Material aus der vergangenen Saison.

Serie
In mehreren Artikeln wollen wir die Mauersegler-Familien in unregelmäßigen Abständen durch diese aufregende Zeit begleiten. Den ersten Teil der Serie finden Sie hier. Den zweiten hier, den dritten hier.