Wisst ihr noch? Drei Besucherinnen der letzten Roxy-Revival-Party im Kellerclub Toy tauschen vor dem Abriss nach vielen Jahren Erinnerungen aus. Foto: Andreas Rosar/ Fotoagentur-Stuttgart

„War das eine geile Zeit!“, jubelt eine Mutter, die mit ihrer 20-jährigen Tochter eine heiße Nacht der Nostalgie feiert. Vor dem Abriss des Hirschbuckel-Hauses ist’s bei der Roxy-Revival-Party so gestopft voll, dass um 21.45 Uhr keiner mehr rein darf.

Gut, aufbauend war’s nicht direkt, was die Tochter vor der Abfahrt von Heilbronn nach Stuttgart zur allerletzten Roxy-Party in dem Abrisshaus am Hirschbuckel gesagt hat. Irgendein Satz wie „Mama, du hast voll die Falten“ soll gefallen sein. Die Mutter überlegte für einen Moment, ob sie vielleicht doch daheim bleiben und vorm Fernseher abhängen sollte. Aber nein! Man ist nie zu alt, um nicht noch mal ein bisschen an den Erinnerungen der eigenen Jugend zu naschen!

Die einst ausdauernd tanzende Stuttgarterin, die vor 30 Jahren nach Heilbronn gezogen ist, bereut es nicht, dass sie die Tochter live in ihre Vergangenheit führt. In dem Kellerclub zwischen König- und Hirschstraße ist es in der Nacht der Nostalgie und der unglaublichen Geschichten voll und dunkel. Falten? Sieht man bei diesem Schummerlicht nicht! Und wer vom Glück der Reminiszenz, das niemals zu spät ist, überwältigt wird, strahlt sowieso von innen heraus. Ein gutes Gefühl verjüngt in aller Regel besser als jede Botox-Spritze.

Das Roxy gab’s nur von 1987 bis 1997 – und zieht immer noch die Massen an

„In meinem Film bin ich der Star“, dröhnt Annette Humpe (heute ist sie 72) von Ideal mit dem Hit „Eiszeit“ aus den Boxen. Das Lied ist 1982 erschienen. So heiß ist es mittlerweile in dem sich immer weiter füllenden Club, dass die Eiswürfel im Drink keine Chance mehr haben, cool zu bleiben. „Da unten auf der Tanzfläche hatte ich meinen ersten Zungenkuss“, erzählt ein vielleicht 50-Jähriger oben auf der Empore und amüsiert sich darüber mit seinem Freund: „Damals noch mit einer Frau.“

Ein Blick ins Jahreszahlenarchiv des Zweckbaus, den Paul Stohrer, der Rathaus-Architekt, 1953 geschaffen hat: Das 1979 eröffnete AT Podium, als Jazz-Club im Keller gegründet, gab 1987 auf. Was folgte, war das Roxy. Obwohl es nur von 1987 bis 1997 unter diesem Namen firmierte (seitdem heißt der Club Toy), strömen die Roxy-Fans for ever nun, Jahrzehnte später, da zur Last-Supper-Party aus Anlass des bevorstehenden Abrisses des Hauses getrommelt wird.

So ist das, wenn das Publikum nicht mehr ganz so jung ist: Kurz nach 20 Uhr, gleich nach Türöffnung, ist die Tanzfläche bereits voll. Heutzutage betreten die Jungen einen Club kaum vor 23 Uhr. Am früheren Domizil des Roxy aber werden bereits um 21.45 Uhr alle, die noch rein wollen, draußen abgewiesen – wegen heftiger Nostalgie, also wegen gestopft voll. Drinnen steht auf einem Schild: „Garderobe wegen Überfüllung geschlossen.“

Wie schmeckt der Ölfuß nach 30 Jahren?

Die Musik ist von den 80ern dominiert, viel Depeche Mode läuft. Auf der Tanzfläche kann keiner umfallen, so eng geht’s zu. An der Bar wird ein mit bunten Lichtern angestrahlter Ölfuß nach dem anderen gemixt. Macht zehn Euro. Den sonderbaren Namen verdankt der einstige Hausdrink seinem Erfinder, einem Mitarbeiter des Roxy, der Ölfuß heißt. Die Rezeptur bleibt bis heute ein Betriebsgeheimnis. Man sieht, wie Maracuja-Saft ins Glas kommt, dazu Rum, Sekt, Whiskey und sonst noch was mit Promille. „Hab seit 30 Jahren keinen Ölfuß mehr getrunken“, sagt eine Frau, die mit ihrer Freundin gekommen ist. Jetzt ist gleich mal einer fällig.

Ob sie früher wegen der Jungs gekommen sind? „Ach was“, entgegnet eine der beiden, „im Roxy gab’s doch keine schönen Jungs, wir waren wegen der Musik da.“ Und es gab den Ölfuß, mit denen man sich – wer weiß das schon so genau? – die Männer zur Not schön trinken konnte.

DJ Jens Herzberg hat seine Frau im Roxy kennen gelernt

Dass im Roxy die Jungs nicht so schön waren, möge Jens Herzberg, der DJ an diesem Abend und Veranstalter der Revival-Party, geflissentlich überlesen – oder besser seine Frau. Denn Herzberg hat im Roxy seine bis heut Liebste kennen gelernt. „Im Roxy kamen an einem Wochenende bis zu 2800 Gäste“, erinnert er sich, „gefeiert wurde unter wechselnden Mottos – von Techno bis Flower Power.“ Für die Bukowski-Partys wurden Fernsehgeräte aufgebaut, auf denen Pornos liefen.

Der für das nächste Jahr geplante Abriss des Hauses am Hirschbuckel hat Fans des Schocken und des Proton aufgeschreckt – beide Nachtstationen befinden sich gleich nebenan. Müssen auch die weichen? Nein, müssen sie nicht! Nicht die gesamte Häuserzeile verschwindet, nur das fast 70 Jahre alte Gebäude zur Königstraße hin mit der Hausnummer 51, in dem sich unter anderem die Fritty Bar befand. Das direkt angebaute Haus zur Hirschstraße mit der Hausnummer 36 darf bleiben. Während mit dem Roxy eine erste Abschiedsparty gefeiert wird, ist in diesem Keller noch nicht ganz Schluss. Am 6. Januar wird das Toy noch ein letztes Mal feiern.

Mitunter ist’s wie bei einem Klassentreffen

Zwischen all den erfreuten Gästen ist ein früherer Roxy-Stammgast etwas frustriert. „Wenn man sich hier umschaut, sieht man, wie alt man geworden ist“, klagt er. Unter seinesgleichen feiere er nicht so gern, lieber mit Jüngeren. Sonst verdränge man das eigene Älterwerden eher, sagt er – hier könne man es nicht. Mitunter ist’s wie bei einem Klassentreffen. Man hat sich ewig nicht mehr gesehen, rätselt, wer wer ist und lästert zwischendurch: „Ist der Kurt dick und alt geworden!“ An diesem Abend gibt’s den Original-Roxy-Stempel, der auch schon 30 Jahre alt ist, an der Tür auf die Haut. „Lass ich mir tätowieren“, entscheidet ein Gast.

Ein junger Kerl, der vielleicht 18 ist, fällt auf bei der Revival-Party. „Mein Vater meinte, ich sollte mal sehen, wo er früher gefeiert hat“, sagt er. Sein Eindruck? „Ganz nett“, lautet die Antwort. Ein anderer Vater hat seine Tochter mitgebracht, die ebenfalls 18 sein könnte. Die wohl jüngsten Gäste des Abends kommen miteinander ins Gespräch im hinteren Teil des Clubs, wo es nicht ganz so laut ist. Wie schön, jetzt können die beiden womöglich flirten an einem Ort, der sich dafür bewährt hat – wo es ihre Väter schon getan haben!