Warnschilder mit der Aufschrift „Stop-Lawinengefahr“ wie dieses im Raum Innsbruck sind derzeit überall in den österreichischen Alpen zu sehen. Foto: dpa

Drama im österreichischen Lech am Arlberg: Drei Deutsche aus dem Raum Biberach werden beim Befahren einer gesperrten Skipiste durch eine Lawine getötet. Ein Lawinen-Opfer wird noch vermisst. Wie konnte es dazu kommen?

Lech - Im österreichischen Bundesland Vorarlberg herrscht derzeit die höchste Lawinen-Warnstufe 5. Seit Tagen schneit es fast ununterbrochen. Eine kurze Wetterberuhigung wollen vier Skifahrer aus dem Raum Biberach in Schwaben nutzen. Sie planen den Langen Zug hinunter fahren, eine der zehn steilsten Skiabfahrten der Welt in Lech. Eine Rekonstruktion der Ereignisse:

Samstagvormittag, 12. Januar

Aufbruch von der Talstation der Rüfikopf Seilbahn

Die vier Skifahrer im Alter von 28, 32, 36 und 57 Jahren brechen Samstagfrüh zu einem gemeinsamen Skiwochenende nach Lech auf. Am Vormittag erreichen sie die Talstation der Rüfikopf Seilbahn in Lech (1447 Meter).

Oben auf der Bergstation auf 2344 Metern liegt der Schnee meterhoch. In der Nacht hat es 60 Zentimeter Neuschnee gegeben. Die beiden Skipisten 181 und 215, die zum Schafalplift führen, sind nicht wie sonst präpariert. Selbst Pistenbullys kommen in diesen Tagen nicht mehr voran.

Abfahrt zum Schafalplift

Die Vier fahren durch den Tiefschnee zum Schafalplift. Der Schlepplift liegt auf 1989 Meter und bringt Tourengänger normalerweise 60 Meter höher zur Skiroute Langer Zug, deren Einstieg auf 2049 Metern liegt.

Nach Angaben der Lech Zürs Tourismus GmbH ist der Lift an diesem Samstag wie schon in den Tagen zuvor wegen des heftigen Schnellfalls und der Lawinengefahr geschlossen.

Aufstieg zu Fuß

Die Skifahrer packen ihre Ski und stapfen samt den Lawinen-Notfallrucksäcken die rund 660 Meter lange Strecke zu Fuß durch den Tiefschnee hoch. Wegen der Lawinengefahr haben die Behörden ein Warnschild am Einstieg in die Rinne Langer Zug aufgestellt.

„Der Lange Zug ist derzeit gesperrt. Das war er auch zur Zeit des Unglücks“, sagt Hermann Fercher, Leiter der Lech Zürs Tourismus GmbH. „Mit einem Hinweisschild, das nicht zu übersehen ist. Die vier Skifahrer sind trotzdem reingefahren.“

Abfahrt vom Langen Zug

Der Lange Zug gilt mit einem maximalen Gefälle von 80 Prozent als eine der zehn steilsten Skipisten der Welt. Die schmale Rinne wird normalerweise täglich präpariert. Die Steigung ist so groß, dass die Pistenraupe an einem Stahlseil befestigt werden muss.

„Der Anblick der Rinne ist nichts für schwache Nerven. Der Einstieg befindet sich auf einer Höhe von 2049 Metern. Am Ausstieg beträgt die Höhe 1676 Meter. Innerhalb kürzester Zeit werden auf einer Länge von 852 Metern ein Höhenunterschied von 373 Metern überwunden“, heißt es auf der Webseite snowplaza.de.

Am Start geht es auf rund 850 Metern Strecke 400 Höhenmeter bergab. Schon unter besten Wetterbedingungen ist das nur absoluten Könnern zu empfehlen. „Wer im oberen Teil bei 72 bis 80 Prozent Steigung ins Rutschen kommt oder gar fällt, wird so schnell nicht wieder zum Stehen kommen. Erst am Ausgang der Rinne wird es mit einer Neigung von 66 Prozent wieder flacher“, heißt es weiter auf snowplaza.de.

Ab ins offene Gelände

Das Quartett verlässt Hermann Fercher zufolge schon unmittelbar nach dem Einstieg in den Langen Zug die offizielle Route und fährt ins offene Gelände Richtung Wasserschlössel. Dabei handelt es sich um den steilsten Abschnitt des gesamten Abhangs, der sich einige hundert Meter abseits der Piste befindet.

Auf rund 1700 Metern geschieht es dann: Eine Lawine löst sich und reißt die vier Skifahrer mit sich in die Tiefe. Drei von ihnen werden die Bergretter einige Stunden später nur noch tot bergen können.

Samstag, 12. Januar, 21 Uhr

Als das Quartett um 21 Uhr immer noch nicht im gebuchten Hotel in Lech eingetroffen sind, schlägt eine Angehörige Alarm und setzt die Rettungsmaschinerie in Gang.

Nach Aussage der Bergrettung Vorarlberg hatten alle vier Skifahrer eine komplette Notfallausrüstung dabei. Dazu gehört ein Peilsender für Verschüttete, eine Sonde zur etwaigen Suche im tiefen Schnee, eine Schaufel und vor allem ein Rucksack mit Lawinenairbag.

Der Airbag soll dafür sorgen, dass bei einem Lawinenabgang Skifahrer nicht allzutief verschüttet werden, sondern an der Oberfläche praktisch mit den Schneemassen mitschwimmen können. In diesem Fall war der Airbag jeweils aufgegangen – aber ohne rettende Wirkung.

Sonntag, 13. Januar

„Es schneit und stürmt, und die Lawinengefahr ist sehr, sehr groß“, sagt der Bürgermeister von Lech, Ludwig Muxel. Doch offenbar habe das Vertrauen in die Ausrüstung dazu beigetragen, dass die vier erfahrenen Skifahrer das Wagnis eingegangen und hinuntergefahren seien. Aber, so Muxel, auch die beste Ausrüstung sei bei diesen Naturgewalten nicht in der Lage, Menschenleben zu retten.

Die Bergrettung muss im Laufe des Sonntags die Suche nach dem vierten Skifahrer wegen des heftigen Schneefalls einstellen.

Bei Lawinenwarnstufe 5 hoffe er nicht, „dass sich auch nur ein Mensch wagt, in den freien Skiraum hinauszugehen“, betont Ortsvorsteher Muxel. „Und zwar aus Rücksicht auf sich selbst als auch auf die, die in suchen müssen, wenn etwas passiert.“ Jede Suche bedeute derzeit eine Gefährdung für Leib und Leben der Bergretter und sonstiger Einsatzkräfte.

Montag, 14. Januar

„Ich habe keine Ahnung, wer verbotenerweise den Langen Zug in den vergangenen Tagen schon befahren hat. Das entzieht sich meiner Kenntnis“, erklärt Herrmann Fercher. „ Fakt ist, dass die vier Skifahrern gegen das offizielle Verbot verstoßen haben.“

Nach dem ersten Schock kommt die Fassungslosigkeit über so viel Leichtsinn. „Gegen so etwas kann man leider nichts machen“, sagt Tourismuschef Fercher über den tödlich ausgegangenen Skiausflug der deutschen Urlauber. „Wir werden permanent die Urlauber auf die Gefahren im freien Gelände hinweisen solange die Lawinengefahr so hoch ist wie momentan. In ganz Vorarlberg herrscht weiterhin die höchste Warnstufe 5.“