Bildwitz und Wortwitz paaren sich in der Bildwelt von Romane Holderried Kaesdorf. Das Kunstmuseum Stuttgart wagt eine Übersicht. Lohnt sich das Entdecken?
Wohlwollend konnte man den Blick von Romane Holderried Kaesdorf als prüfend wahrnehmen. Da war nichts außer der pure Ernst des Kunstwollens. War eben dies aber nicht humorvoll, war dies nicht hintersinnig – und immer wieder überraschend? War da also nicht viel, das ein Lächeln wert war? Schon, aber es musste standhalten. Wie die Frauen, die von Mitte der 1970er Jahre an ohne viel Aufhebens die Männer aus Holderried Kaesdorfs „Malerei des dringenden Motivs“ (wie ein Bild von 1987 betitelt ist) drängten.
„Haltung bewahren“ ist nun eine Annäherung an das Werk der 2007 gestorbenen Zeichnerin und Malerin Romane Holderried Kaesdorf im Kunstmuseum Stuttgart überschrieben. Ein Hinweis schon, dass hier eine Künstlerin zunächst einmal solide ins Rampenlicht geholt wird und das Entdecken noch folgen kann?
Mit Arbeiten um 1960 setzt die von Eva-Marina Froitzheim (der auch die bisher umfassendste Holderried Kaesdorf-Schau 2007 in der Städtischen Galerie Böblingen zu verdanken ist) erarbeitete Schau ein. Zu sehen im linken Erdgeschoss-Flügel des Kunstmuseums, entwickelt sich rasch ein Schlagabtausch der Figuren. Wirklich gut weg kommen männliche Figuren dabei bald nicht mehr. Und 1971 deutet die Szenerie „Jäger üben für die 4. und letzte Dienstprüfung“ (und pirschen sich dabei deutlich ungelenk über ein eigenwilliges Konstrukt aus Stuhl und Sofa) schon an, dass das männliche Handlungsfeld bald kaum mehr Anlass zum Nachdenken bietet.
Vier Jahre später ist es passiert – die Frauen sind in Romane Holderried Kaesdorfs Szenerien weitgehend unter sich. Und sie verschärfen die Logik dessen, dass zu sehen ist, was geschrieben steht. Bis hin zu dem großartigen Bild „Das Halten des Brettes mit einer Hand, das Halten des Brettes mit 2 Händen“ von 1989. Es ist dieses konzeptuelle Moment, das Romane Holderried Kaesdorfs Werk herausholt aus der Betrachtung einer Künstlerin, die in oberschwäbischer Eigenwilligkeit den Alltag in Biberach kommentiert.
Gesehen und vorsichtig vermittelt wird der kühle Kern zunächst von dem Stuttgarter Galeristen Rainer Wehr, bald auch von in den 1980er und 1990er Jahren jungen Künstlerinnen und Künstlerinnen. Zuvorderst Georg Winter ist hier zu nennen, der aus möglichen Handlungsanweisungen eine parallele Dingwelt aufbaut. Aber auch im Verständnis von Kunst als Begrüßung beziehungsweise Begrüßung als Kunst im Werk der jungen Simone Westerwinter scheinen Momente aus Werken wie „Vorführung der Gegenstände für die Luft“ von 1992 auf.
Als Konzept-Souveränin zeigt sich Romane Holderried Kaesdorf schließlich in „Die Arbeit mit dem Profil (II)“ von 2002. Die Ironie in der Thematisierung von scheinbaren oder tatsächlichen (Schönheits-)Idealen ist dabei bitter ernst. Nicht weniger das Anmahnen von scheinbar absurden Beschäftigungen wie die wiederholt thematisierte Szenerie „Zwei Frauen stellen Dauerlauf in der Badewanne“.
Wie ernst, unterstreicht ein Zitat von Romane Holderried Kaesdorf aus dem Katalog der damaligen Galerie der Stadt Stuttgart zur Verleihung des Molfenter-Preises der Stadt Stuttgart 1985. „Die Beschäftigungen“, schreibt Romane Holderried Kaesdorf seinerzeit mit Blick auf die von ihr entworfenen Handlungsanweisungen, „wären nur möglich, wenn sie die Gesellschaft zulassen würde“. Und sie präzisiert: „Man stelle sich vor, dass auf dem Marktplatz einer Kleinstadt in regelmäßigen kurzen Abständen Männer mit Schemeln in der Hand erscheinen würden. Und dies zum Beispiel einen ganzen Monat lang.“ Und die Künstlerin fragt: „Warum soll das nicht zu machen sein? So ist die in den Beschäftigungen enthaltene Provokation ein Anspruch auf Freiheit.“
Holderried Kaesdorfs Werk war 2022 in Galerie Friese in Berlin zu sehen
„Zeichnerei des dringenden Motivs“ nennt denn auch der Berliner Galerist Klaus Gerrit Friese im Herbst 2022 einen für die Position von Romane Holderried Kaesdorf wichtigen Wiederaufruf ihres Schaffens. Spätestens mit dieser Ausstellung rückt der Nachlass der Künstlerin unmittelbar in den Blick. Drei Töchter hat Romane Holderried Kaesdorf als Frau des Rechtsanwaltes und Malers Julius Kaesdorf geboren – „und trotzdem immer gezeichnet und immer gemalt“, wie sie gern betonte.
Und immer auch sehr genau beobachtet, wie im Kunstmuseum nun die Fotografie einer Atelierwand zeigt. Zu einer nahezu eigenwertigen Collage summieren sich Ausrisse kunsthistorischer Wegmarken des Frauenbildes, eigene Zeichnungen, Zeitungsausrisse und wesensverwandte Szenerien wie das Foto dreier Mädchen an der Tafel im frühen 20. Jahrhundert mit der feinen Unterzeile „Übung zur Schreibschrift mit beiden Händen“.
Freier Eintritt in das Kunstmuseum Stuttgart bis zum 12. Oktober
Zwanzig Werke von Romane Holderried Kaesdorf finden sich in der Sammlung des Kunstmuseums. Leihgaben aus dem Nachlass und aus Privatbesitz ergänzen das Kunstmuseums-Konvolut. 1922 in Biberach geboren und immer dort geblieben – kann man Romane Holderried Kaesdorf vorwerfen, die Rolle der Solistin gepflegt zu haben? Blätter wie „Den Zeigefinger unter die Nase schieben“ oder das den empfehlenswerten Katalog (Wienand Verlag, 20 Euro) zierende „Proben für eine Bittstellung“ verscheuchen solche Gedanken.
Und am Ende steht der zur Karikatur seiner selbst gewordene Mann inmitten einer „Anleitung zum Tragen mit 3 Elementen“. „Haltung bewahren“? Kann man: mit dem Besuch dieser Ausstellung – bis zum 12. Oktober bei freiem Eintritt.
Freier Eintritt bis zum 12. Oktober
Wann?
Geöffnet ist die Ausstellung „Romane Holderried Kaesdorf. Haltung bewahren“ im Kunstmuseum Stuttgart Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 21 Uhr. Montag geschlossen, außer an Feiertagen.
Wie viel?
Der Eintritt ist Im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Doppelkäseplatte“ bis zum 12. Oktober frei.