Feintool will das Werk in Sachsenheim (Kreis Ludwigsburg) schließen und 200 Arbeitsplätze abbauen. Der Bürgermeister Holger Albrich ist entsetzt.
Die Nachricht vom Aus des Feintool-Werks hat sich am Dienstag schnell in Sachsenheim herumgesprochen. Die Geschäftsleitung informierte die Mitarbeiter über die geplante Schließung 2027 und den Verlust von etwa 200 der 450 Arbeitsplätze an den beiden Standorten in Sachsenheim und Vaihingen/Enz.
Der Schweizer Konzern hatte erst vor drei Jahren die alteingesessene Firma Kienle+Spiess übernommen. Die Krise der Automobilindustrie schlägt jetzt beim Zulieferer Feintool durch. Eine angespannte Auftrags- und Ertragslage macht dem Konzern zu schaffen. Das Unternehmen kündigte an, die Produktion von Stanzblechen („Stamping“) nun endgültig von Sachsenheim ins moderne und profitablere Werk im ungarischen Tokod zu verlagern.
Am Standort in Vaihingen an der Enz sollen nach Unternehmensangaben verschiedene Geschäftseinheiten wie die Forschung, Entwicklung und der Werkzeugbau sowie die Automotive-Produktion gebündelt werden. Eine Verlagerung von Arbeitsplätzen von Sachsenheim nach Vaihingen ist offenbar im Gespräch. Dort sollen nach Angaben des Betriebsrats 250 Personen weiterarbeiten: 130 seien bereits dort, 120 sollen noch aus Sachsenheim dorthin wechseln. Gestrichen werden sollen 200 Arbeitsplätze. Feintool kündigte eine „sozialverträgliche Umsetzung der Verlagerung“ an.
Gewerkschaft spricht von einem Skandal
Der Betriebsrat wusste es bereits am Abend vorher. Die Drähte zur Gewerkschaft IG Metall liefen heiß. Tags darauf wandte sich die Gewerkschaft mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit: „Als erste Reaktion auf eine wirtschaftliche Schieflage die Standortfrage zu stellen, ist aus unserer Sicht ein Skandal“, teilt Markus Linnow, Gewerkschaftssekretär des IG Metall-Bezirks Ludwigsburg und Waiblingen mit.
Linnow bezeichnete die Vorgehensweise der Geschäftsführung als „hemdsärmelig“. Man sei einfach vor die Belegschaft getreten, ohne vorher mit dem Betriebsrat Möglichkeiten von Lösungen auszuloten. Dass die Automobilkrise das Unternehmen in Schieflage gebracht hat, bestreitet Linnow nicht. Er wünscht sich aber eine Kommunikation, die dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne einer Mitwirkung entspreche: „Wir fordern die Geschäftsleitung auf, ernsthafte Verhandlungen zu führen und an einer Zukunftssicherung für Sachsenheim zu arbeiten.“
Das mögliche Aus für den größten Arbeitgeber in der 19 000-Einwohner-Stadt im Nordwesten des Landkreises Ludwigsburg ist auch für den Sachsenheimer Bürgermeister Holger Albrich ein schwerer Schlag. „Die Pläne zur Schließung des Feintool-Standortes sind schlechte Nachrichten für Sachsenheim“, teilt er am Dienstag der Presse mit. Leider seien die Erwartungen und Hoffnungen zur Sicherung und Weiterentwicklung des Standortes nach der Übernahme von Kienle + Spiess durch Feintool enttäuscht worden.
Werkschließung und Verlust von Arbeitsplätzen „strukturell“ bedingt?
Die Ursachen für die schwache wirtschaftliche Entwicklung, die zu dieser Entscheidung geführt hat, liegen laut Albrich aber nicht in Sachsenheim und auch nicht in der Hand von Feintool. „Zusätzlich zur schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage ist der Bereich der Elektromobilität in eine schwere strukturelle Krise geraten.“ Dass ausgerechnet hier der Wirtschaftsstandort Deutschland, wo das Auto erfunden wurde, seinen technischen Vorsprung und damit seine Wettbewerbsfähigkeit verliert, wäre, so Albrich, früher nicht vorstellbar gewesen.
Die Firma Kienle + Spiess war früher in Sachsenheim tief verwurzelt. Sie spendete unter anderem einen Brunnen, durch den die Verbundenheit mit allen Teilorten der Kommune ausgedrückt wurde. Der Bürgermeister zeigt sich auch menschlich berührt: „Das angekündigte Aus des Unternehmens in Sachsenheim nimmt mich auch persönlich sehr mit, da ich aus einer klassischen Kienle + Spiess-Familie stamme.“
Bürgermeister hat in dem Werk selbst gearbeitet
Er sei neben dem „Blechle“ aufgewachsen, und seine ganze Familie habe dort gearbeitet, erzählt Holger Albrich. Als Ferienarbeiter habe er dort fast alle Abteilungen kennengelernt. Kienle + Spiess sei seit der Firmengründung 1931 ein stolzes und erfolgreiches Traditions- und Vorzeigeunternehmen gewesen. „Ganze Generationen von Sachsenheimern haben dort gearbeitet und sich voll und ganz mit dem Unternehmen identifiziert.“
Aus Sicht von Holger Albrich ist es „sehr bedauerlich und ungerecht, dass die Beschäftigten und ihre Familien, die mit ihrer Arbeitskraft alles für den Fortbestand des Unternehmens getan haben, nun die unternehmerischen und politischen Fehler von anderen ausbaden müssen“. Die Stadt Sachsenheim werde mit einer aktiven Wirtschaftsförderung weiterhin alles tun, um die Stadt als attraktiven und erfolgreichen Wirtschaftsstandort zu erhalten und auszubauen. „Dass wir hier auf dem richtigen Weg sind, zeigt etwa die Erfolgsgeschichte des Gewerbeparks Eichwald.“
Sozialverträgliche Lösungen für Mitarbeiter im Gespräch
Albrich appelliert an den Arbeitgeber: „Ich erwarte, dass Feintool die Zeit bis zur Schließung des Werks in Sachsenheim nutzt, um die Verlagerung der Arbeitsplätze nach Vaihingen/Enz für die Beschäftigten gut vorzubereiten und den Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verlieren werden, sozialverträgliche Lösungen anzubieten.“
Was steckt hinter Feintool?
Internationale Holding
Feintool International beschäftigt weltweit 3200 Mitarbeiter an 18 Standorten. Im Jahr 2023 lag der Umsatz, so die Holding, bei etwa 848 Millionen Euro. Das Unternehmen gilt als führend beim Stanzen von Elektroblechen („Stamping“).
Sparkurs
In der Einheit Stamping will Feintool in den nächsten Jahren 15 Millionen Franken pro Jahr einsparen, um sich zu konsolidieren. Auch 70 von 200 Stellen im schweizerischen Lyss seien gestrichen worden, gab das Unternehmen bereits im Mai bekannt.