Vor der Fußball-EM im vergangenen Sommer sollte die Lage in der Klett-Passage am Stuttgarter Hauptbahnhof verbessert werden. Viel verändert hat sich dadurch nicht. Jetzt soll eine Machbarkeitsstudie Wege aufzeigen.
Ein Mann pöbelt eine Gruppe junger Frauen an. Als ein 48-Jähriger dazwischengeht, stößt der Täter ihn um und sticht mit einem Messer nach ihm – ohne ihn zu treffen. Die Polizei nimmt den 22 Jahre alten Tatverdächtigen fest. Genauso wie einen Rauschgifthändler, der drei Passanten Marihuana zum Kauf angeboten haben soll. Und einen 23 Jahre alten Mann, der einem Zivilbeamten Ecstasy-Tabletten offeriert hat. Und einen 27-Jährigen, den Zivilbeamte ebenfalls beim Dealen mit Rauschgift beobachtet hatten. Tatort in allen Fällen: die Arnulf-Klett-Passage am Hauptbahnhof. Zeitraum: eine einzige Woche Ende Februar.
So richtig vertrauenerweckend klingt all das nicht. Im Frühjahr 2024 war eine große Diskussion über die Klett-Passage entbrannt, nachdem unsere Zeitung berichtet hatte, dass dort und im benachbarten Hauptbahnhof die Zahl der Straftaten deutlich gestiegen war. Viele berichteten, wie unwohl sie sich dort gerade am Abend fühlen. Die CDU sprach sogar von einer „No-go-Area“.
Politik und Polizei reagierten, um zur Fußball-EM ein besseres Bild zu bieten: Erst wurde die Zahl der Streifen erhöht. Landespolizei, Bundespolizei und Stadt sind häufig gemeinsam unterwegs. Dann wurden viele Flächen in der Passage rechtlich umgewidmet und der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zugeschlagen. Die kann seitdem ihr Hausrecht geltend machen und einen Sicherheitsdienst einsetzen.
Zumindest der Anstieg scheint gestoppt
Und was hat all das gebracht? Wenn man die Aufzählung der jüngsten Straftaten so sieht, können Aussagen der Polizei zur aktuellen Lage erst einmal verwundern. „In der Gesamtschau hat sich die Situation etwas gebessert“, sagt der Sprecher Jens Lauer. Beim vorläufigen Blick auf die Zahlen sei festzustellen, dass es im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Anstieg gegeben habe, im zweiten Halbjahr – nach Umsetzung der Maßnahmen – dann aber nicht mehr. Die erhöhte Präsenz von Polizei und Sicherheitsdienst der SSB sei wahrnehmbar. Die Einsatzkräfte würden auch von Passanten gelobt. Man kann die Dinge also auch andersherum sehen: Festnahmen sprechen immerhin dafür, dass konsequent nach dem Rechten geschaut wird.
Problematisch bleibt die Klett-Passage dennoch. „Gerade im Winter haben wir dort immer noch ein bestimmtes Klientel“, so Lauer. Menschen, die dort lagern, illegale Geschäfte machen, ihre Notdurft verrichten und Passanten belästigen. Und auch für die Drogenszene sei der Untergrund am Hauptbahnhof noch immer ein Umschlagplatz, so Lauer. Bei allen Bemühungen: Grundsätzlich geändert hat sich die Lage also nicht.
Das liegt laut vielen Beteiligten auch an der Gestaltung und am Zustand der 49 Jahre alten Passage. Daran können auch die SSB im Alleingang zunächst wenig tun. „Der Sicherheitsdienst der SSB ist seit der Änderung der Widmung rund um die Uhr in der Klett-Passage präsent. Weitere Änderungen sind aktuell nicht geplant“, sagt deren Sprecherin Birte Schaper.
Auf längere Sicht allerdings doch. „Im Auftrag der SSB wird derzeit eine Machbarkeitsstudie zur langfristigen Zukunft der Klett-Passage durchgeführt“, so Schaper. Wie genau der Zeitplan aussieht und welche Fragestellungen beantwortet werden sollen, dazu könne man derzeit keine genauen Angaben machen. „Langfristig ist eine komplette Umgestaltung der Passage vorgesehen. In Abhängigkeit von der Verkehrsberuhigung des oberirdischen Arnulf-Klett-Platzes wird derzeit die Machbarkeit eines Umbaus geprüft“, heißt es aus dem Rathaus.
In einer Gemeinderatsvorlage vom Frühjahr 2024 stand unter anderem, es gehe darum, „den baulichen und technischen Bestand des Bauwerkes mit sämtlichen Zwängen zu erfassen“. Die Passage könnte künftig „ergänzende Angebote im Bereich Mobilität erhalten“. Der Anteil an Einzelhandelsflächen solle eher reduziert werden.
Bei der Stadtverwaltung betont man, die vor der EM eingeleiteten Schritte seien auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ausgelegt. „Dass die Arnulf-Klett-Passage etwas in die Jahre gekommen ist, ist eine Tatsache“, sagt der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier. „Durch verschiedene Maßnahmen konnten wir die Aufenthaltsqualität positiv gestalten und so auch für ein besseres Sicherheitsgefühl der dort verkehrenden Menschen sorgen. Dies wollen wir auch bis zu einer kompletten baulichen Umgestaltung der Klett-Passage in einigen Jahren beibehalten.“
Es wird häufiger geputzt
In der Aufzählung der Stadt tauchen nicht nur die erhöhte Polizeipräsenz und der Sicherheitsdienst der SSB auf. Gemeinsam mit der Polizei und dem Förderverein „Sicheres und sauberes Stuttgart“ habe man den Polizeiposten am S-Bahn-Zugang von Graffitiverschmutzung befreien lassen und besser sichtbar gemacht. Die Abfallwirtschaft Stuttgart hat größere Mülleimer aufgestellt und die Reinigungsintervalle der Passage erhöht. Die Sichtbarkeit der Toiletten soll im April durch großflächige Piktogramme an den Türen verbessert werden.
Alles Maßnahmen, die in den Augen der Beteiligten dazu beitragen, das „Eingangstor in die Stadt“ positiver zu gestalten. Ob das ausreicht, bleibt abzuwarten.