Sein Markenzeichen ist ein rot geschminkter Balken über den Augen: Quer durchs Land lädt Jan Ehret zu Sexpositiv-Partys – besonders gern in Stuttgart (am 22. März erneut im Wizemann), wo die Community „wundervoll“ sei. Wir sprachen mit ihm über den Hype.
Regelmäßig werden Schlangen der Nacht vor einer Sexpositiv-Party zum Stadtgespräch. Während Clubs in Stuttgart zunehmend klagen, es werde – angesichts von steigenden Kosten und rückläufigen Besucherzahlen – immer schwerer, halbwegs ordentliche Umsätze zu machen, brummen die Läden, sobald das Zauberwort „Kinky“ (deutsche Übersetzung: verdreht oder verrückt) am Eingang steht. Jan Ehret, ein gebürtiger Freiburger, zählt bundesweit zu den führenden Veranstaltern dieser freizügigen Lustbarkeiten, bei denen die Gäste Haut zeigen sowie die Vielfalt von Körpern, sexuellen Vorlieben und Orientierungen feiern.
Am Samstag, 22. März, 22 Uhr, erwartet Ehret über 2000 Gäste zur Kinky Galore im Wizemann (es gibt nur noch wenige Karten). In Alltagskleidung komme man an den „Doorbitches“ nicht vorbei, wird auf der Homepage gewarnt und als Dresscode vorgeschlagen: „Feiere mit uns im Harness, komplett in Latex gehüllt, nur mit Goldpuder bestäubt oder lass’ dich einfach an der Leine führen.“
„Viele haben genug von sexueller Unterdrückung und Sexismus“
Durchs Schlüsselloch kann niemand in die Cannstatter Location blicken. Wir haben Jan Ehret gebeten, den Unwissenden zu erklären, was da passiert. Seine Antwort: „Es ist ein verrückter und bunter Ort, an dem die Menschen so sein können, wie sie sind, und lieben können, wie sie wollen. Genderrollen sind dabei egal, genauso wenig wie, wer du bist, woher du kommst.“
Warum Sexpositiv-Partys in Großstädten immer erfolgreicher werden, erklärt Ehret so: „Ich glaube, das liegt hauptsächlich daran, dass wir eine wundervolle und extrem liebe Community haben.“ Draußen herrsche „viel Chaos, Hektik und Hass“, da suchten viele Menschen einen „liebevollen Gegenpol“. Außerdem hätten sie „genug von sexueller Unterdrückung und Sexismus“. Stuttgart gilt als Hotspot dieses Hypes.
Wer eintaucht in diese Party, kommt in einer anderen Welt an, weit weg vom Alltag. Beim Tanzen zur einpeitschenden Musik drückt man sich mit dem Körper aus, mit Gesten, mit Bewegungen. Die Popularität von Sexpositiv-Partys quer durch Deutschland scheint ein verborgenes Bedürfnis freizulegen, aus Zwängen auszubrechen und den eigenen Fantasien zu folgen.
„Für die Community ist das keine Party, sondern Lifestyle“
Mit 24 Jahren hat der DJ mit dem roten Balken seinen ersten Club daheim in Freiburg eröffnet, den Klub Kamikaze, später machte er den Club Schmitz Katze. Als Jan Ehret wegen seiner Kinder nach Berlin gezogen ist, wurde er rasch Resident-DJ im legendären KitKat Club und entdeckte dort seine Liebe für sexpositive Partys.
Ist „sexpositiv“ für den kreuz und quer durch die Bundesrepublik reisenden Veranstalter ein Modewort oder Ausdruck einer sexuellen Befreiung? „Das weiß ich nicht genau“, antwortet er, „Begrifflichkeiten kommen und gehen.“ Darauf komme esnicht an. Für die Community sei es keine Party, sondern „Lifestyle“.
Was diesen „Lifestyle“ anders macht als das Gewohnte, erklärt Jan Ehret so: „Man kann auf der ganzen Party Sex haben. Außerdem gibt es einen speziellen Bereich für Paare, der mit speziellen Sexmöbeln ausgestattet ist. Wir haben obendrein Bühnenshows, die ihresgleichen suchen.“
Damit Spanner nicht überwiegen, werden nur Paare in die sogenannte Play-Area gelassen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Veranstalter achten darauf, dass keine Grenzen überschritten werden, nur das geschieht, was alle Beteiligten auch wollen.
„Ein gutes Awareness-Team funktioniert ähnlich wie gute Security“, findet Jan Ehret, „wenn sie gut sind, verhindern sie schlimme Dinge schon im voraus.“ Zwar müssten gelegentlich „Leute von der Party entfernt werden“, aber das Publikum sei in der klaren Mehrheit „extrem lieb und verständnisvoll“. Zu größeren Vorfällen komme es zum Glück in aller Regel nicht. Das Team sei obendrein „für gewisses Seelenwohl zuständig“ und kümmere sich „wirklich rührend“ um die Gäste, sagt Ehret.
Am Vorabend treffen sich viele Gäste in der Erotique-Boutique Frau Blum
Bevor am 22. März in der Eventlocation Wizemann auf die sexpositive Art gefeiert wird, treffen sich etliche Gäste am Vorabend bei Frau Blum, in der Erotique-Boutique, die sich bisher noch im Stuttgarter Westen befindet, aber demnächst umzieht (wo sich die neuen Räume befinden, will Chefin Mascha Hülsewig noch nicht verraten). Die Auswahl an verruchten, bunten, glitzernden Kinky-Outfits ist in diesem Laden sehr groß. Der Sexpositiv-Trend beflügelt die Umsätze.
Wenn die Gäste normale Klamotten tragen, wird nur das Normale passieren, sagen die überwiegend junge Fans der Kinky-Partys (es gibt aber auch ältere Besucherinnen und Besucher). Vielleicht ist es dabei ein bisschen wie an Fasching: Man schlüpft für eine kurze Zeit in eine andere Haut, um rauszukommen aus den Zwängen seines normalen Lebens – oder auch nur, um zu sich selbst vorzustoßen.