Windschief, aber voller Geschichten und Traditionen: Die Walz-Mühle unweit von Burladingen Foto: Krause

Deutschland geht es gut. Zu gut? Immer wieder klagen Firmen, dass geplante Investitionen durch Vorschriften des Staates erschwert werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Walz-Mühle auf der Alb.

Burladingen - Es ist kalt, richtig kalt. Da mag das Frühjahr im Kalender schon begonnen haben. Aber hier oben auf der Schwäbischen Alb, wo das Flüsschen Lauchert dahinplätschert, ist noch Winter. Ein beißender Wind fegt über die Wiesen, auf den Baumwipfeln liegen noch Schneereste.

Wenn die Walz-Mühle nicht schon über 600 Jahre stehen würde, man müsste die Sorge haben, dass sie jeden Moment wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Aber die Angst scheint unbegründet. Das historische Gebäude hat bisher allen Wetterkapriolen stets Stand gehalten. Nach dem Willen von Gunter Heinzmann, im Alltag erfolgreicher Steuerberater in Reutlingen, soll das auch so bleiben. Allein, wenn es so einfach wäre. Heinzmann erlebt dieser Tage, wie es ist in Deutschland, wenn jemand aus Lust und Laune und ausgestattet mit dem nötigen Kleingeld, der Gesellschaft etwas Gutes tun will, dabei aber einen langen, ermüdenden Kampf mit den Behörden führen muss.

Heinzmann, ein Hobby-Historiker. „Mich haben solche alten Gebäude schon immer interessiert“, sagt er über die Albmühle, die voller Geschichte steckt. Wenn die dicken Mauern nur erzählen könnten. Keiner weiß, wie viele tausende Festmeter Holz die schweren Sägeblätter hier zerteilt haben. Niemand mag abschätzen, wie viele Säcke voller Weizen, Schrot, Schwarzmehl und Weißmehl hier abgefüllt wurden. Die beiden riesigen Wasserräder, die schweren Mühlsteine, die Masse an Werkzeugen lassen trotz dicker Staubschichten und eng gewobener Spinnweben erahnen, dass hier oben über Jahrhunderte hinweg reger Betrieb herrschte – auch wenn man in diesem entlegenen Winkel der Erde den Mond mit der Stange weiterschieben kann.

Viele Erinnerungen hängen an der Mühle

Was also tun mit einem solchen Juwel, in dem die Uhren stehen geblieben sind. Abreißen? „Das würde einen Sturm der Entrüstung bei vielen Bürgern auslösen“, warnt einer im nahen Dorf Hörschwag. Warten, bis der nächste Sturm das windschiefe Gebäude umbläst? „Aber nein, dafür sind mit der Mühle zu viele Erinnerungen verbunden“, meint ein Ortskundiger im benachbarten Örtchen Stetten. Also als Denkmal pflegen, interessierten Besuchern auf diese Weise das alte Gewerbe des Mahlens und Sägens näher bringen? Genau das will Heinzmann. Und er handelt damit ganz im Sinne der beiden Walz-Schwestern, die hier bis vor ein paar Jahren gearbeitet, gelebt und damit die Tradition der Familie gepflegt haben.

Und das alles ohne komfortable Wasserversorgung. Ohne Zentralheizung. Ohne Fernsehen und Radio. Mit selbst hergestelltem Strom. Mit einem Casettenrecorder, um sich die Predigten der Gottesdienste anzuhören. Alles ganz spartanisch und geprägt vom tiefen Glauben an Gott. Der kleine Altar in der guten Stube steht noch heute. Die Bibeln liegen auf dem Nachtisch, als sei noch gestern drin gelesen worden. Dazu passt der Titel eines Buches, das über die Walz-Schwestern Marie und Klara erschienen ist: „Der Herrgott weiß, was mit uns geschieht.“

Über Jahrzehnte haben die beiden tagein, tagaus gearbeitet und regelmäßig nach links und rechts aus der Mühle geschaut. Immer in der Hoffnung, dass ihre Brüder heim kehren, dass der Joseph und der Wilhelm das schwere Alltagsgeschäft wieder übernehmen. Aber so oft die beiden Frauen auf den Schotterweg auch hinausschauen, ihre Brüder kommen aus dem Krieg nicht mehr heim. Und so führen die beiden Frauen – Markenzeichen: breites Schwäbisch, Kopftuch, tief gegerbte Haut – die Mühle weiter.

Die Mühle wurde nicht aufgegeben

2001 stirbt Marie mit 87. Ihre jüngere Schwester Klara hört deshalb nicht auf, wirft noch 2006 mit 82 die Säge an. „Da konnte es schon mal passieren, dass sie einen mit energischer Stimme verseggelt hat, wenn man nicht ordentlich mitarbeitete“, erinnert sich ein schmunzelnder Friedemann Mutschler. Er war einst Sparkassendirektor in Burladingen und ist inzwischen Betreuer von Klara Walz. Am Ostersonntag wird sie 91. Die Schlange der Gratulanten im Pflegeheim in Burladingen wird lang sein. Jeder kennt sie hier.

Das Schicksal ihrer alten Heimat hat Klara Walz stets umgetrieben. „Sie wollte immer, dass die Mühle an jemanden verkauft wird, der das Anwesen für die Nachwelt erhält. Das war ihr wichtiger als ein paar Euro mehr zu bekommen“, erzählt Mutschler. Dass die Mühle überhaupt verkauft werden musste, sei ihr schwer genug gefallen. Aber mit 133 Euro Rente im Monat lässt sich ein Platz im Pflegeheim nicht bezahlen.

„Wir sind voller Euphorie an die Sache rangegangen“, berichtet Neu-Besitzer Heinzmann im Rückblick auf die erste Zeit, in der man kistenweise Gerümpel aus dem historischen Gebäude trägt. Seit 1925 ist hier nichts mehr weggeschmissen worden. Eine Schublade steckt voller Süßigkeiten, das Haltbarkeitsdatum teilweise jahrzehntelang abgelaufen. Der Grund: Die Walz-Schwestern bekamen solche Nervennahrung oft geschenkt, verzehrten sie aber nie, weil dies nicht zu ihrer Lebensphilosophie passte. Stattdessen gibt’s Brot ohne Butter, nur mit etwas Marmelade bestrichen.

Die Leidenschaft ist gebremst

Inzwischen ist die Leidenschaft zum Aus- und Aufräumen freilich gebremst worden. „Das wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen“, ahnt Heinzmann. Nicht etwas, dass er, sein Vater und manche freiwilligen Helfer an dem Staub und den Spinnweben verzweifeln. Es ist eher die Enttäuschung darüber, dass es die Behörden den engagierten Freizeit-Forschern nicht leicht machen. „Alle wollen mitreden, der Wasserschutz, der Naturschutz, der Straßenbau, das Landesdenkmalamt“, sagt Heinzmann leicht genervt und räumt ein: „Wir sind mit den Behörden nicht immer einer Meinung.“

Ein Beispiel von vielen: Heinzmann tüftelt mit einem Architekten an Plänen für den Bau eines Nebengebäudes inklusive Cafe, Toiletten und anderen Selbstverständlichkeiten, die ein Ausflugsziel nun mal braucht. Denn ihm wird schnell klar: Wenn die Mühle dem dahinsiechenden Tourismus hier oben auf der rauen Alb bei der Auferstehung helfen soll, wollen sich die Besucher nach dem Bestaunen der mannshohen Sägen, Mahlsteine, Waschzuber und der Bewunderung alter Werkzeuge vielleicht ein wenig bei Kaffee und Kuchen stärken.

Doch das Landesamt für Denkmalpflege winkt ab. Frei nach dem Motto: Ein solcher Bau unweit der Mühle schadet dem Gesamteindruck. Auch an anderer Stelle muss Heinzmann einsehen, dass Behörden oftmals anders ticken als es die Praxis vor Ort erfordern würde. So schlägt der Investor vor, den Schotterweg zur Mühle ein wenig zu verbreitern und zu befestigen, auf dass die Zufahrt für Besucher nicht mehr einem Himmelfahrtskommando gleicht. Aber auch dafür gibt’s ein Nein.

Kein Schotter-Parkplatz: Eingriff in die Natur zu groß

Drittes Beispiel: Heinzmann möchte eine Wiese unweit der Mühle schottern lassen, um bei Veranstaltungen ein Zelt aufbauen zu können und Parkplätze zu schaffen, damit Besucher künftig nicht mehr wild in der Landschaft parken. Antwort der Behörden: Nein, der Eingriff in die Natur wäre zu groß. So ringen Heinzmann und die Beamten in den Amtsstuben um Paragrafen, um Kleinigkeiten, um Gutachten, was sie bringen sollen und vor allem wer sie bezahlt.

Apropos Geld: Die Sparkassenversicherung mag den Vertrag mit dem neuen Gebäudebesitzer nicht mehr verlängern und schickt die Kündigung zu Jahresbeginn 2015. Heinzmann traut seinen Augen nicht, als er den Bescheid liest. „Jetzt steht das Gebäude schon mehrere Jahrhunderte, und dann so ein Theater.“ Ist es Willkür der Behörden? Ist Deutschland für Investoren noch ein gutes Pflaster? Oder erstickt die Bürokratie nicht längst manches bürgerschaftliche Engagement schon im Ansatz?

Für Mühlenfan Mutschler ist die Vorgehensweise der Behörden jedenfalls „völlig unverständlich“, wie er sagt: „Jetzt hat man jemanden, der sich um die Mühle kümmert und sie vor dem Verfall bewahren will. Und dann werden dem solche Steine in den Weg gelegt.“

Lauchert-Tal lechzt nach neuen Anziehungspunkten

Dabei lechzen solche Gegenden wie das Lauchert-Tal regelrecht nach neuen Anziehungspunkten, damit sich hier nicht mehr nur Fuchs und Hase gute Nacht sagen. „Die Mühle als Ausflugsziel würde der Region sehr gut tun“, sagen Kommunalpolitiker der Region. An Ideen fehlt es dem neuen Mühlen-Besitzer nicht. Der Plan für einen Bau aus Holz und Glas – passend zur Natur und mit Blick zum Bach – hat Heinzmann bereits. „Das Haus könnte man für Tagungen und Seminare nutzen“, da könnte man Schülern die Natur und Traditionen wie das Mühlengewerbe näher bringen. Nur, er darf es (noch) nicht bauen.

Günther-Martin Pauli, CDU-Landtagsabgeordneter aus Balingen und Landrat im betroffenen Zollernalbkreis, reagiert auf das Vorgehen der Behörden ähnlich verärgert – und liefert die Begründung: „Der regionale Grünzug steht solchen Projekten im Weg.“

Im Klartext: In der Regionalplanung des Landes und des Regierungspräsidiums Tübingen sind Eingriffe in die Natur an dieser Stelle nicht erlaubt. Einen Bebauungsplan, wie das nahe Burladingen ihn aufstellen wollte und womit man der Walz-Mühle geholfen hätte, wurde abgelehnt. „Die Gesetze eines Grünzugs aufzubrechen und ein Projekt durchzusetzen, ist extrem schwierig“, weiß Pauli, wiewohl er liebend gerne diesem etwas anderen Museum und damit dem Tourismus zu neuem Leben verhelfen würde.

Zollernalbkreis ging leer aus

Aber auch der jüngste Versuch, das Projekt über das Leader-Programm des Landes – eine Art warmer Geldregen zur Stärkung des ländlichen Raums – voranzutreiben, scheiterte. Grün-Rot genehmigte 18 andere Projekte im Land, der Zollernalbkreis ging leer aus. „Wir sind etwas irritiert und können die Entscheidung nicht nachvollziehen“, sagt Pauli über das Verhalten von Landwirtschaftsminister Alexander Bonde. Ein Schelm, der glaubt, der Grünen-Politiker würde nun alte Rechnungen begleichen, weil Pauli zuletzt wiederholt die Politik der Landesregierung kritisiert hatte.

Beim Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart ist man sich jedenfalls keiner Schuld bewusst. Man habe 2014 landesweit diverse Mühlen untersucht – auch die Walz-Mühle, so eine Sprecherin der Behörde. Einzelheiten nennt sie nicht. Nur so viel: „Wir wissen von dem Eigentümer, dass er einen Neubau als Anbau für gastronomische Zwecke errichten wollte. Dazu gab es auch einen Ortstermin.“

Seitdem habe man „dazu nichts mehr gehört. Die Sache ruht wohl derzeit.“ Alles also ein Kommunikationsproblem? Kommentar der Behördensprecherin: „Wenn der Investor beabsichtigt, tätig zu werden, kann er sich beim Landesdenkmalamt melden und sich besprechen, wie die weiteren Schritte aussehen können.“ Ein Satz wie ein Schneeschauer im Sommer. Aber Heinzmann bewahrt Haltung und tritt hinaus vor die Mühle. Die Sonne ist rausgekommen, der Frühling liegt in der Luft, Aufbruchstimmung macht sich breit. Zumindest bis zum nächsten Behördengang.