Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll, spricht über die Probleme bei der Integration ukrainischer Schülerinnen und Schüler. Und formuliert dabei klare Erwartungen an die Politik.
Der Krieg in der Ukraine dauert an – auch mit Auswirkungen auf das deutsche Schulsystem. Laut Daten der Kultusministerkonferenz werden etwa 220 000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an deutschen Schulen unterrichtet. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll, sagt, Geld allein werde die Probleme nicht lösen.
Herr Düll, funktioniert es mit der Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen in den Schulen?
Jein.
Das wüssten wir dann doch gern etwas genauer.
Wenn Sie so wollen, gibt es drei Gruppen. Bei einem Teil der Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine läuft es gut. Sie lernen schnell Deutsch und finden sich auf gut in ihren Schulen zurecht. Dann gibt es diejenigen, die größere Startschwierigkeiten haben. Das ist auch höchst verständlich. Die Kinder sind vor einem grausamen Krieg geflohen und haben oft Schreckliches erlebt. Es kann im Einzelfall aber auch einfach an der Sprache liegen. Deutsch zu lernen, fällt nicht jedem gleich leicht.
Und die dritte Gruppe?
Es gibt Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, die sagen: „Was soll ich überhaupt in der deutschen Schule? Warum soll ich mich hier einbringen?“ Ihr Ansatz ist, dass sie ohnehin irgendwann zurück in die Ukraine gehen. Deshalb sehen sie es im Zweifel als wichtiger an, am Distanzunterricht ihrer ukrainischen Schulen teilzunehmen und den Kontakt in die Heimat zu halten. Mit all diesen Gruppen, die von Schule zu Schule unterschiedlich groß sind, müssen die Lehrer arbeiten. Das ist alles andere als leicht.
Stellt die Politik genügend zusätzliches Geld bereit?
Einerseits gibt es zusätzliches Geld. Andererseits trifft dieses Geld auf ein chronisch unterfinanziertes Bildungssystem. Die Wahrheit ist auch: Geld allein wird das Problem nicht lösen.
Zusätzliche Lehrkräfte sind – Stichwort Fachkräftemangel – gar nicht so leicht zu finden. Das gilt erst recht für solche, die speziell dafür ausgebildet sind, mit Schülerinnen und Schülern wie denen, die aus der Ukraine kommen, zu arbeiten. Oder auch mit anderen Zugewanderten oder Geflüchteten, die anfangs kein oder nur wenig Deutsch sprechen.
Sind die Lehrer überfordert?
Die Lehrkräfte in Deutschland sind herausgefordert – durch die zusätzlichen Kinder aus der Ukraine, aber auch durch die Vielfalt in den Klassenzimmern generell. Denken wir an die anderen jungen Leute mit schwachen Deutschkenntnissen, psychisch-emotionalem Förderbedarf oder Inklusionsbedarf. Viele Lehrkräfte sind auch an der Grenze dessen, was für sie leistbar ist – oder auch darüber hinaus.
Das bedeutet nicht, dass es nicht auch Kolleginnen und Kollegen gäbe, die sagen: „Gerade diese Integrationsarbeit bereitet mir Freude.“ Doch auch Sie brauchen bessere Unterstützung.
Welche genau?
Wir müssen mehr Lehrerinnen und Lehrer dafür fortbilden, mit Schülern zu arbeiten, die kein oder nur wenig Deutsch können. Dazu müssen Schulleiter aber auch in der Lage sein, diese Personen für eine längere Zeit der Qualifizierung aus der Schule herauszunehmen. Das braucht dann wieder zusätzliches Personal. Und das ist, wie ich gerade schon erklärt habe, alles andere als einfach in Zeiten des Lehrkräftemangels. Letztlich müssten auch die Lerngruppen verkleinert werden.
Wie kann der Beruf attraktiver werden?
Lehrkräfte brauchen mehr Wertschätzung. Und das nicht durch schöne Worte, sondern gerade auch durch Entlastung von Tätigkeiten außerhalb des Kernbereichs von Unterricht, Projekten und Fahrten. Nötig sind mehr Angestellte, die ihnen administrative Aufgaben abnehmen. Wichtig ist – gerade mit Blick auf die Herausforderungen durch Flucht und Zuwanderung –, dass Lehrer mehr Unterstützung durch Personal in den Bereichen Sozial- und Jugendarbeit sowie Psychologie bekommen.
Sie sagten, Geld allein löse das Problem nicht. Es klingt aber zumindest so, als bräuchten die Schulen erheblich mehr Geld.
Das Startchancenprogramm von Bund und Ländern hat einen richtigen Ansatz: Es soll mehr Geld in die Schulen gegeben werden, in denen die Probleme besonders groß sind. Veranschlagt sind aber nur 20 Milliarden Euro für zehn Jahre. Damit lassen sich, realistisch betrachtet, nicht genug Schulen erreichen.
Bund und Länder sollten das Volumen des Startchancenprogramms verdoppeln: von 20 Milliarden auf 40 Milliarden Euro. Davon könnten dann alle Schulen profitieren, die ohnehin schon besonders große Herausforderungen haben und zudem die Integration ukrainischer Schüler stemmen müssen. Aber auch weitere Schulen, in denen Deutsch für viele nicht die Muttersprache ist, wo viele aus armen und bildungsfernen Familien kommen.
Was ist – mit Blick auf die Integration der ukrainischen Schüler – Ihr wichtigster Wunsch an die Politik, jenseits von Geld?
Ich wünsche mir mehr Ehrlichkeit. Politiker müssen aufhören, so zu tun, als sei das alles ganz leicht lösbar und nur eine Frage von Geld und der Eigenverantwortlichkeit der Schulen vor Ort. Solange die Ukraine bekriegt wird und Teile des Landes zerstört sind, tragen wir Verantwortung für die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer an unseren Schulen. Die Lehrkräfte wollen diese Verantwortung durchaus tragen, werden aber über die Maße belastet – und das lässt sich nur begrenzt ändern. Wenn die Verantwortlichen in der Politik das zumindest mal zugeben würden, wäre das ein Zeichen von Respekt und Realismus. Und dann müsste sie handeln.
Schulleiter in Bayern
Beruf
Stefan Düll, geboren im Jahr 1964, ist seit gut einem Jahr Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Er arbeitet als Schulleiter des Justus-von-Liebig-Gymnasiums im bayerischen Neusäß. Seine Fächer sind Deutsch, Englisch und Geschichte. Als Lehrerpräsident ist er der Nachfolger von Heinz-Peter Meidinger, der den Verband über sechs Jahre führte.
Privates
Düll ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Augsburg.