Hans Löw spielt im Kammertheater ein Stück von Kleist Foto: Peter-Michael Petsch

Hans Löw (37) hat er erstmals in Hamburg mit Armin Petras gearbeitet. Jetzt hat ihn der Intendant für „Die Marquise von O./Drachenblut“ nach Stuttgart gelockt – in die Stadt, in der Löw aufgewachsen ist.

Stuttgart - Hat er, oder hat er nicht? „Er hat.“ Dass der Graf sich an der jungen Frau vergangen hat, das steht fest für Hans Löw, der den Grafen in Heinrich von Kleists „Die Marquise von O.“ spielt. Kleists Text kommt in Kombination mit Christoph Heins Roman „Drachenblut“ an diesem Samstag im Stuttgarter Kammertheater auf die Bühne.

Ansonsten ist Hans Löw kein Mann der schnellen, einfachen Antworten. Insofern ist er schon richtig bei einem Regisseur wie Armin Petras, der das Ambivalente schätzt. Und bei einem Autor wie Kleist, dessen Arbeiten ja so manches Rätsel aufweist. Oder wie Hans Löw in einem Café nahe dem Theater sagt: „Bei Kleist spielt sich vieles zwischen den Worten ab.“

Wie aber verhält man sich zu diesen Leerstellen und auch zu dem Verhalten des Grafen? Löw, der von einer Probe gekommen ist und etwas müde ausschaut, fährt sich übers Gesicht, schweigt und sagt dann: „Ich finde es interessanter, die Schuldverteilung erst einmal nicht in Tüten zu packen, sondern zur Disposition zu stellen. Das ist ein wichtiger Vorgang und spannend: an der Schuldfrage zu drehen, zu entscheiden, wie man mit den Leerstellen umgehen will, die ja mit der Unerklärbarkeit spielen.“

Er hat für diese Suche auch alte Bekannte an der Seite. Armin Petras hat für die Produktion neben den Ensembleschauspielern Astrid Meyerfeldt und Katharina Knap einige Gäste eingeladen: Fritzi Haberlandt etwa, mit der Hans Löw in Petras-Inszenierungen in Hamburg am Thalia Theater gespielt hat. Bei aller Vertrautheit fange man aber immer wieder bei null an, sagt Löw.

Für Fritzi Haberlandt ist es seit Jahren die erste neue Schauspielproduktion. Hans Löw hat sich nicht so rigoros dem Theater fern gehalten, aber auch er hat sich aus dem Ensemblebetrieb verabschiedet. Er macht keine große Sache daraus. „Wie bei vielen kam auch bei mir das berühmte verflixte siebte Jahr. Ich hatte viel gespielt und fühlte mich erschöpft. Ich habe es gerade so über die Zielgerade geschafft und war erst einmal erleichtert, Ruhe zu haben, obwohl ich natürlich auch darüber nachgedacht habe, was wohl kommen wird.“

Das war 2009. Hans Löw war nach der Schauspielschule an der Otto-Falckenberg-Schule in München am Thalia Theater Hamburg engagiert und hat sehr, sehr viel gearbeitet, mit jungen Regisseuren, die in dieser Zeit immer bekannter wurden: Armin Petras etwa, Michael Thalheimer oder Andreas Kriegenburg. Dazwischen hat er auch gedreht und zum Beispiel Polizisten gespielt (mit Schnurrbart, charmant schüchtern in „Knallhart“ von Detlev Buck).

Er war ein bewegend hilfloser Hamlet in Thalheimers „Hamlet“-Inszenierung, die als Gastspiel auch in Stuttgart zu sehen war. Als blasierter junger Mann in Schnitzlers „Liebelei“ (Regie: Michael Thalheimer) hat er beeindruckt. Er steht mit verlorenem Blick an der Rampe und zeigt nur unmerklich, dass er womöglich doch unter seiner Gefühlskälte und Langeweile leidet und darunter, ein Mädchen zu ruinieren.

Löw sagt, der Hamlet sei ihm schwerer gefallen. Überhaupt spricht er freimütig davon, dass Kunst auch schmerzhaft ist. „Es gibt immer Aufführungen, die man voller Scham spielt, das gehört dazu. Oder dass man selber etwas nicht mag, aber die Zuschauer oder die Kritik begeistert sind und umgekehrt.“ In „Liebelei“ deckte sich Hans Löws Empfinden mit dem der anderen. Eine extreme Ästhetik zwischen Stillstand und aggressivem Körpertheater: „So eine Spielweise“, sagt Hans Löw, „funktioniert ja nicht immer. Es ist erst einmal eine ziemliche Behauptung, so lange einfach nur auf einer Stelle zu stehen. Da lauert die Gefahr der Eitelkeit, die über die Eitelkeit der Figuren hinausgeht. Wobei in diesem Stück die Eitelkeit der Figuren in dieser Ausgestelltheit völlig plausibel erschien.“

Die Arbeit wurde 2003 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Dort war er im selben Jahr mit Armin Petras’ Fritz-Kater-Inszenierung „zeit zu lieben zeit zu sterben“ vertreten, und 2004 mit Fritz Katers „we are camera/jasonmaterial“, wieder inszeniert von Petras. 2007 war er noch einmal in gleich zwei Arbeiten in Berlin zu erleben – Sartres „Die schmutzigen Hände“ (Regie: Andreas Kriegenburg) und Goethes aufgeregt Liebender „Werther“ (Regie: Jan Bosse). „Eine irre Zeit. Man fragt sich natürlich schon: Wird man so etwas je wieder erleben?“

Richtig lange pausiert hat Hans Löw aber doch nicht. Er hat am Deutschen Theater in Berlin gespielt und in Fernseh- und Filmprojekten. Und er hat mit der Regisseurin Jette Steckel eine Familie gegründet. Bis ihre zwei Kinder in die Schule kommen, dauert es noch. Wenn sie dort angenommen werden, kann es gern eine Waldorfschule sein. So eine hat Hans Löw auch besucht – eine im innersten Zentrum sozusagen, die erste Freie Waldorfschule der Welt in Stuttgart.

Hans Löw, Jahrgang 1976, ist in Bremen geboren und in Stuttgart aufgewachsen, sein Vater war am Schauspielhaus als Schauspieler engagiert. „Es ist natürlich irre, wie viele Geschichten mich gerade in Stuttgart an vielen Ecken so anwehen. Auch viele, die man schon vergessen glaubte. Was einem fremd vorkommt, ist man dann eher selbst.“

Klar sei es spannend, da zu arbeiten, wo er als junger Mensch viel Theater gesehen hat – „Kusejs ,Hamlet‘ mit Samuel Weiss, das hat mich beeindruckt, und natürlich Kusejs ,König Arthur‘“. Eine Rückkehr in ein Ensemble, womöglich sogar hier, ist kein Thema. „Ich habe meine Familie in Hamburg, und ich schätze den Hamburger Geist zu sehr.“ Was er damit meint? „Die Gelassenheit der Menschen. Der Hafen und die Möglichkeit, im Prinzip jederzeit aufs Schiff steigen zu können und wegzufahren.“

So läuft er jetzt eben immer wieder andere Theater- und Filmhäfen an, um im Bild zu bleiben. Abgedreht ist schon „Hedi Schneider steckt fest“ : „Ernst, aber skurril“ könnte der Film werden, sagt Hans Löw. Und nach der Stuttgarter Theaterproduktion geht es mit dem Filmen weiter: „Im Sommer drehen wir einen zweiten Teil von ‚Die Kirche bleibt im Dorf‘.“ Der erste Teil war eine in Mundart gespielte Komödie über verfeindete Leute in zwei Dörfern. Löw spielte in der schwäbischen „Romeo & Julia“-Variation einen Schlacks, der mit der Tochter des Feinddorf-Bürgermeisters anbandelt und in lustigen Szenen gleichzeitig Schweine hütet, mit seiner Freundin diskutiert und sie mit einem „Ach Schnegge“ zu beruhigen versucht.

„Ich war erstaunt“, sagt Hans Löw, „wie viele Schauspieler, die ich aus Hamburg kenne, Schwaben sind. Karoline Eichhorn oder auch Elisabeth Schwarz. Für uns ist das jetzt ganz lustig, dass es die Dorfgemeinschaft in der Fortsetzung ausgerechnet nach Hamburg verschlägt.“ So ganz lässt ihn die alte Heimat dann doch nicht los.