Veronika Kienzle will die erste Stuttgarter Oberbürgermeisterin werden. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Auf die Kandidaten im Stuttgarter OB-Wahlkampf warten unvermutete Fallen. Jetzt muss die Grünen-Bewerberin Veronika Kienzle erklären, ob ihr Studium wirklich eines ist.

Stuttgart - Seit Monaten touren die Bewerber um den Stuttgarter Oberbürgermeistersessel durch die Stadtbezirke. Sie lassen sich sehen, wo immer es die Coronapandemie erlaubt, sind in den sozialen Netzwerken aktiv und plakatieren, was das Zeug hält. Doch die Fallstricke lauern für manchen dort, wo man sie nie vermutet hätte. Zum Beispiel auf einem 34 Jahre alten Dokument. So wie bei der Grünen-Kandidatin Veronika Kienzle.

Die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte hat am 14. Oktober 1986 ein Diplom bekommen. „Studienabschlussbescheinigung“ ist das Papier überschrieben. Es stammt von der Schule für Eurythmische Art und Kunst in Berlin. Dort und am Stuttgarter Eurythmeum hat die heute 58-Jährige Eurythmie studiert, die eng mit der Waldorfpädagogik verbundene Bewegungskunst. Tanz, Literatur und Ästhetik sind beispielsweise Teile der Lehrinhalte.

Ein Studium, auf das Kienzle immer wieder von den Bürgern angesprochen wird, weil die sich über das außergewöhnliche Fach wundern. Und ein Studium, das jetzt noch in ganz anderer Hinsicht Redebedarf nach sich zieht. Denn in einem Bericht der „Bild“-Zeitung wird die Frage aufgeworfen, ob es sich da nicht eher um eine simple Ausbildung handelt und sich Kienzle zu Unrecht mit akademischen Ehren schmückt.

Eurythmie-Schulen sehen sich als Hochschulen

Die Kandidatin selbst spricht regelmäßig von einem Studium. Auch auf ihrer Internetseite – auf der jetzt jedoch ergänzt worden ist: „Es handelt sich dabei um eine künstlerische Ausbildung.“ Auf dem Diplom ist auch die Rede vom Abschluss der „vierjährigen Grundausbildung“. Ja was denn? Ausbildung oder staatlich anerkannte Hochschule?

Diese Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten. „Bei uns heißt das schon immer Studium“, sagt Christian Leitz vom Stuttgarter Eurythmeum, an dem Kienzle später auch für einige Zeit gearbeitet hat. Eine Kunst könne man nicht lernen, sondern man studiere sie. Formal sei man eine Berufsfachschule, allerdings längst staatlich anerkannt mit Bachelor- und Masterstudiengängen. Die gab es vor etwa 35 Jahren aber noch nicht. Und auch in Berlin ist zu hören: „Wir haben uns schon damals als Hochschule bezeichnet und nennen unsere Leute Studenten.“ Auf den Internetseiten fallen beide Begriffe – Ausbildung und Studium.

Veronika Kienzle selbst kann die Diskussion zur Unzeit nicht recht nachvollziehen. „Ich bin davon ausgegangen, was in meinem Abschlusszeugnis steht“, sagt sie. Alle Beteiligten seien damals als Studenten tituliert worden. „Ich habe nie irgendwo gesagt, dass ich eine klassische akademische Hochschulausbildung habe und will mich auch nicht akademischer darstellen, als ich bin“, so Kienzle. Sie habe fürs Leben sehr viel mitgenommen, „egal ob das jetzt Studium oder Ausbildung heißt“. Entscheidend für ihre fachliche Qualifikation für das OB-Amt seien aber die 25 Jahre Erfahrung in Stadtverwaltung und Landesregierung.

Auch CDU-Kandidat Nopper hat so seine Erfahrungen

Allein auf weiter Flur mit eher unerwarteten Problemen steht die Grüne freilich nicht. Auch CDU-Kandidat Frank Nopper musste in den vergangenen Monaten erfahren, dass die Gemeinheit im Detail steckt. Zuerst musste er im Sommer 100 Euro Strafe zahlen, weil die Stadt der Meinung war, er habe gegen Coronaauflagen verstoßen. Mit Mundschutz und auf dem Freideck hatte er an der Jungfernfahrt der neuen Stuttgarter Neckarschifffahrt teilgenommen. Das Ordnungsamt wertete das aber nicht als erlaubte öffentliche Fahrgastschifffahrt, sondern als Privatveranstaltung mit zu vielen Teilnehmern. Und zuletzt musste sich der Backnanger OB von einem Unterhaltungskünstler distanzieren, der in Noppers Instagram-Kanal auf einem Foto aufgetaucht war, aber wegen seiner fragwürdigen Äußerungen in den sozialen Medien umstritten ist.

Bei allem Ärger über die Debatte: Veronika Kienzle lässt auf ihr Eurythmie-Ausbildungs-Studium nichts kommen. „Wenn ich noch mal 18 wäre, würde ich es wieder machen“, sagt sie und lacht.