Im Kuhstall der Witwe Kleinknecht soll der Poltergeist im Frühjahr 1916 mit seinen Umtrieben begonnen haben. Foto: Gottfried Stoppel

1916 macht ein Spuk im Rems-Murr-Kreis Schlagzeilen im ganzen Kaiserreich. Unter Spiritisten und Geisterjägern zählt Großerlach zu den zehn bedeutendsten Orten, an denen es nicht geheuer sein soll.

Großerlach - Was hat der beschauliche Flecken Großerlach im Schwäbischen Wald mit dem Tower of London gemeinsam? Man mag es kaum für möglich halten: unter Geistergläubigen zählt die Gemeinde zu den zehn bekanntesten Spukorten (siehe „Top 10 der Gruselorte“) weltweit. Der Grund für Listenplatz neun ist ein Vorfall, der sich vor 101 Jahren mitten im Ort abgespielt haben soll. Ein Poltergeist hat im Sommer 1916 eine Witwe und ihre drei kleinen Kinder aus ihrem Bauernhof verjagt. Die schaurigen Umtriebe sorgten damals für Schlagzeilen im gesamten Kaiserreich und verhalfen Großerlach unter Spiritisten zu einem Ruf wie Donnerhall.

Von unsichtbarer Hand sollen Stricke aufgeknotet worden sein

„Eigentlich ist das eine tragische Geschichte“, sagt der Bürgermeister Christoph Jäger. „Die Frau hat nahezu ihren gesamten Besitz verloren. Bis heute ist nicht klar, was da genau passiert ist. Es gibt nur viele Spekulationen.“ Auf der Großerlacher Homepage ist die Geschichte nachzulesen, die man im exakt selben Wortlaut auf allen möglichen Seiten zu Spuk- und Geisterphänomenen wiederfinden kann.

Begonnen hat demnach alles am Morgen des 30. April 1916 im Stall des Hofes der Witwe Rosine Kleinknecht. Diese hatte nach dem Melken den Stall verlassen, als ein Kalb zu brüllen begann. Die 35-Jährige, deren Mann im November zuvor an der Westfront gefallen war, sah nach und stellte fest, dass das Tier losgebunden war. Sämtliches Vieh im Stall soll aufgeregt gewesen sein, es habe mit den Hinterbeinen getreten und „schwitzte, wie wenn es mit Wasser übergossen worden sei“. Mehrmals band die Frau die Tiere wieder fest, immer wieder waren sie kurz darauf wieder los. Ein herbeigerufener Nachbar soll dann Zeuge geworden sein, wie sich Stricke und Ketten, die mehrfach verknotet waren, wie von Geisterhand lösten und zu Boden fielen, wie das Vieh von Stricken an den Hälsen sogar stranguliert worden sei.

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Am 2. Mai soll der Spuk dann im Wohnhaus losgegangen sein. Eines der Kinder wollte einen schwarzen Geißbock neben dem Bett der Mutter gesehen haben, seine siebenjährige Schwester fantasierte, grüne Augen und Ohren zu haben. Nach einer „Ruhepause“ vom 3. bis 13. Mai soll die Situation dann eskaliert sein. Auf dem Küchenherd soll ein Holzscheit zu tanzen begonnen haben, ein Holzstück sei in der Küche herumgeflogen. Abends fielen fünf „volle Milchhäfen“ aus einem Regal. Vom 15. Mai an hätten die Vorgänge im Stall und im Haus dann parallel stattgefunden. Immer wieder flogen angeblich Gegenstände wie von Geisterhand herab oder durch die Luft, das Vieh wurde nun geschlagen.

Drei Professoren gehen in Großerlach auf Geisterjagd

Der Radau in dem innerorts stehenden Bauernhof verursachte Aufläufe von Schaulustigen. Nachbarn sollen Augenzeugen der Vorgänge geworden sein, einem sei sogar ein Milchkrug an den Kopf geflogen. Die Kunde von den Umtrieben des Poltergeists machte schnell auch außerhalb Großerlachs die Runde. Zeitungen aus der Region berichteten zuerst darüber, später Blätter im ganzen Kaiserreich – als ob nichts wichtiger gewesen wäre im dritten Jahr des Ersten Weltkrieges.

Zweifel an der Echtheit der Spukgeschichte kamen schnell auf. Drei Psychologie-Professoren aus Tübingen reisten im Juli 1916 an, um vor Ort Untersuchungen anzustellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rosine Kleinknecht bereits das Haus zusammen mit ihren drei Kindern und einem 14-jährigen Neffen verlassen. „Obwohl wir das Vorhandensein abnormer Vorgänge nicht von vornherein ausschlössen, kamen wir zu der bestimmten Überzeugung, daß ein Grund für eine solche Annahme hier nicht vorliegt“, gaben die Professores Oesterreich, Deuchler und Haering zu Protokoll, wie man im Internet auf einer Seite der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg lesen kann. Kurz, sie gingen von einem Schwindel aus.

Das Spuk-Gehöft ist bereits vor langer Zeit abgerissen worden

Tatsächlich soll sich nichts außergewöhnliches mehr ereignet haben, nachdem mehrere Landjäger, wie man die Polizei auf dem Land nannte, vor Ort waren. „Schultheiß, Lehrer, Amtsdiener, Bezirksbeamte“ seien Zeugen gewesen, wird in dem alten Bericht auf der Großerlacher Homepage trotzig als Indiz für die Echtheit der Geschichte angeführt. Nach 101 Jahren ist es unwahrscheinlich, dass die wahren Hintergründe aufgedeckt werden können. Angaben dazu existieren nur vom Hörensagen, da die Augenzeugen lang verstorben sind. Das Gehöft ist abgerissen worden, wo es genau stand, ist nicht mehr bekannt.

„Da sind wir ja in guter Gesellschaft“, meint der Bürgermeister Jäger angesichts der Liste internationaler Spuk-Orte. Interessanterweise ist der Großerlacher Spuk zwar einer größeren Gemeinde von Geister-Interessierten bekannt, örtlichen Kennern der Heimatgeschichte jedoch nicht. Im Internet herrscht ein reger Austausch zu der Geschichte. So wird Großerlach oft empfohlen, wenn jemand den Schauplatz eines „echten Spuks“ sucht.