In Freiberg am Neckar wird eine Energiezentrale gebaut, bei der auf teils ungewöhnliche Wärmequellen zurückgegriffen wird – wie das Abwasser. Klingt vielleicht eklig, ist aber hochmodern und umweltschonend.
Manche Kommunen brüten noch über Ideen, wie ihr Beitrag zur Energiewende ausschauen könnte. Andere drehen schon am großen Rad. Zu letzterer Kategorie gehört die Stadt Freiberg am Neckar, die bei der Kläranlage eine Energiezentrale bauen lässt, von der aus städtische Liegenschaften und Privathäuser umweltfreundlich mit Wärme versorgt werden sollen. Stand einer Berechnung von 2023 muss die Kommune dafür alles in allem rund neun Millionen Euro investieren. Bis zu 40 Prozent der Kosten könnten über Zuschüsse gedeckt werden.
Höhere Temperatur als Neckar
Dass die Zentrale auf einem Grundstück in der Verlängerung der Kläranlage entstehen wird, ist kein Zufall. Denn man macht sich zunutze, dass sich die Temperatur des Abwassers selbst im Winter noch bei acht bis zwölf Grad bewegt, wie Klärwerksmeister Knut Sternkiker erklärt. Aktuell erreiche man sogar Werte von rund 18 Grad. Das ist deshalb wichtig, weil eine Großwärmepumpe installiert wird, die dem Wasser aus den beiden Nachklärbecken die Wärme entzieht. Man habe auch erwogen, den Neckar als Energiequelle anzuzapfen, sagt der Erste Beigeordnete Stefan Kegreiß. „Wir haben aber festgestellt, dass unser Abwasser höhere Temperaturen hat und die Entnahme aus dem benachbarten Altneckar aus Sicht des Naturschutzes sehr problematisch wäre“, erklärt er.
Zum Konzept gehört ferner, eine Freiflächen-Photovoltaikanlage mit einer Leistung von ungefähr einem Megawatt Peak zu installieren. „Damit könnten ganz grob überschlagen etwa 250 Haushalte mit Strom versorgt werden“, sagt Kegreiß. Tatsächlich soll der Strom aber für den Betrieb der Wärmepumpe verwendet werden. Rund 50 Prozent des Bedarfs ließen sich so decken. Als weitere Komponente sind zwei Pufferspeicher geplant, die beide circa 15 Meter hoch sein und ein Fassungsvermögen von jeweils 200 Kubikmetern haben werden. Dort kann das erhitzte Wasser gesammelt und dann auf die Reise zu den Abnehmern geschickt werden.
Zum Konzept gehört ferner, das Klärgas aufzufangen und zur Gewinnung von Wärme einzusetzen. „Unser Ziel ist, in der Energiezentrale pro Jahr circa fünf bis sieben Millionen Kilowattstunden Wärme zu erzeugen. 80 Prozent sollen am Ende über die Wärmepumpe hergestellt werden, der Großteil des Rests über das schon bestehende Klärgas-Blockheizkraftwerk und nur noch drei Prozent über Gas-Blockheizkraftwerke“, fasst Kegreiß zusammen.
Aus vier Kreisläufen soll einer werden
Klar ist, dass die Wärme auch irgendwie zu den Abnehmern gebracht werden muss. Deshalb hat die Stadt bereits angefangen, das Leitungsnetz entsprechend aufzubauen – beziehungsweise umzurüsten. Denn man fängt nicht bei null an, betreibt bereits vier Kreisläufe, die aber alle unabhängig voneinander sind und an je eigenen zumeist mit konventionellem Gas betriebenen Blockheizkraftwerken (BHKW) hängen. Ein Netz wurde im Zentrum aufgespannt. Daran hängen unter anderem das Rathaus, das Prisma, das Hallenbad, die Oscar-Paret-Schule, aber auch etliche private Gebäude. An den Kreislauf im Gebiet Kasteneck sind beispielsweise die dortige Schule und das Kleeblatt-Pflegeheim, in der Kugelbergstraße private Immobilien angedockt. Dazu kommt ein in sich geschlossenes System am Wasen rund um die Kläranlage, von dem die Tennishalle, das Jumpinn, die Stadiongaststätte und andere Einrichtungen mehr profitieren.
Primäre Heizquellen sind hier das Klärgas und Holzpellets. „Das Konzept ist nun, die vier Wärmenetze miteinander zu verbinden und den Großteil von der neuen Energiezentrale aus zu versorgen“, erklärt Kegreiß.
Die meisten BHKW sollen im Gegenzug schrittweise abgeschaltet werden, nur ein Teil zum Abdecken von Spitzenlasten erhalten bleiben. Voraussetzung ist aber, das Leitungsnetz entsprechend aufzuspannen und zu verknüpfen. Die Bauarbeiten laufen schon. Der Spatenstich für die Energiezentrale soll parallel dazu im nächsten Jahr erfolgen, die Fertigstellung ist für Ende 2026 anvisiert. Perspektivisch könne das Netz, wo sinnvoll, erweitert werden. „Wir hätten die Möglichkeit, hier bei der Kläranlage Brunnen zu bohren, um als zusätzliche Wärmequelle das Grundwasser zu nutzen“, sagt der Erste Beigeordnete. Wobei man schon mit der Umsetzung der ersten Stufe und der neuen Großwärmepumpe mindestens 200 Haushalte mehr als aktuell ans Netz andocken könnte. „Nach meinem Kenntnisstand gibt es nicht viele Städte unserer Größenordnung, die ein solches Projekt initiiert haben und die Wärme des Abwassers ihrer Kläranlage für ein Wärmenetz nutzen. Im Landkreis ist mir gar kein vergleichbares Modell bekannt“, sagt Stefan Kegreiß.
Neue Anlage filtert Mikroplastik heraus
Startschuss
Als erste Kommune im Landkreis Ludwigsburg hat Freiberg seine Kläranlage um eine vierte Reinigungsstufe erweitert. Über eine Tuchfilteranlage in Kombination mit granulierter Aktivkohle sollen fortan auch Mikroplastik, antibiotikaresistente Keime oder Arzneimittelrückstände aus dem Abwasser gefischt werden. Ende August soll der Betrieb voraussichtlich starten, sagt Klärwerksmeister Knut Sternkiker.
Schutz
Damit soll nicht zuletzt der Altneckar geschützt werden, in den das geklärte Wasser abgeleitet wird. Die Kosten liegen bei rund acht Millionen Euro, vom Land sind bisher etwa eine Million Euro an Zuschüssen bewilligt. Die Ausgabe wird auf die Haushalte umgelegt, die deshalb ganz grob seit Januar 30 Cent mehr pro Kubikmeter Abwasser zahlen müssen. Eine weitere Kläranlage, die eine vierte Reinigungsstufe bekommt, steht in Markgröningen-Talhausen. Das System wird das gleiche wie in Freiberg sein.