Stuttgart im Jahr 2045: So stellen sich Reinventing Society und das Wire Collective die Stadt der Zukunft vor. Foto: Stuttgart Marktplatz 2045 by Reinventing Society / Wire Collective, CC BY-NC-SA 4.0

Die Zukunftsthemen Energiewende und Extremwetter werfen ihre Schatten voraus. Die Klimaneutralität bis 2035 wird teuer. Dabei geht es vor allem um privates Geld.

Es gibt dieses Zukunftsbild von Stuttgart im Jahr 2045: Der Blick geht aufs Stuttgarter Rathaus, im Hintergrund pikst der Fernsehturm die Wolken. Kaum ein Dach ist zu sehen, das ohne Pflanzen oder Solarzellen auskäme, auch das Rathaus ist eingepackt in eine grüne Fassade. Auf dem Marktplatz wachsen Bäume, in der Mitte prangt ein begehbarer Springbrunnen. So könnte es dereinst in Stuttgart aussehen, haben sich das gemeinnützige Start-up Reinventing Society und das Wire Collective mit ihrer utopischen Fotodarstellung überlegt.

 

Es gibt aber auch ein anderes Bild vom Stuttgart der Zukunft. Schon in der Gegenwart gehört die Stadt im Kessel zu den heißesten Deutschlands, schon heute ist es in der City um bis zu zehn Grad heißer als oben in Sillenbuch. Die fortschreitende Erderhitzung durch den Klimawandel dürfte das Thermometer weiter nach oben treiben. Auf Basis bisher bekannter Prognosen geht die Stadtverwaltung in der City für die Jahre 2030 bis 2060 von einer Verdopplung der Hitzebelastung aus – wenn sich die Stadt nicht wandelt, saugfähiger wird und mehr Schatten bietet.

Heizungen werden in Stuttgart umgerüstet

Es ist nicht so, dass sich in Stuttgart gar nichts tut, aber es geschieht zaghaft. Der Klimawandel und seine Folgen gehören zu den größten Herausforderungen für Städte und Gemeinden. Die Zukunftsthemen Energiewende und Extremwetter sind von den Tagesordnungen der Kommunalparlamente nicht mehr wegzudenken. Die Leitplanken kommen aus Brüssel und Berlin, aber die Heizkeller, die umgerüstet werden sollen oder die überflutet werden könnten, befinden sich – auch – in Stuttgart.

Die Calwer Passage im Hier und Jetzt Foto: Archiv Lichtgut/Leif Piechowski

Für die nicht allzu ferne Vergangenheit hat sich die Landeshauptstadt ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. 2022 beschloss der Gemeinderat mit Unterstützung des OB Frank Nopper, dass die Stadt bis 2035 klimaneutral werden soll – zehn Jahre vor dem Bund. Und zwar nicht nur die Rathäuser, Schulen oder Hallenbäder, sondern die Gesamtstadt. Dafür bleiben noch zehn Jahre, der Countdown läuft. Und an manchen Stellen scheint die Uhr gegen das Groß-, ja vermutlich Schicksalsprojekt zu laufen, an anderen nicht. Fotovoltaik boomt auch in Stuttgart.

Der größte Batzen beim Klimaschutz ist die gebaute Stadt, die Gebäude in Stuttgart. Von den elf Milliarden Euro, die die Berater von McKinsey 2022 als Kosten für das Klimaziel 2035 veranschlagten, entfallen 6,7 Milliarden Euro auf Dämmungen oder Heizungen. Da der Stadt selbst nur ein Bruchteil der Immobilien gehört, geht es hier vorrangig um das Geld von Privateigentümern.

Fürs Heizen kann man sagen, dass das Stuttgart der Zukunft zur einen Hälfte an Wärmenetzen hängen soll, zur anderen an Wärmepumpen. So stellt es sich die Stadt in ihrer Wärmeplanung vor, die Ende 2023 vom Gemeinderat beschlossen worden ist. Apropos Countdown: Stand heute ist noch kein einziges der neuen Wärmenetze rechtskräftig. Und bei den zu installierenden Wärmepumpen zeigen sich die Stuttgarter – wie im Bundestrend – zurückhaltend, auch wenn zuletzt ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen war. Langsam, aber sicher braucht es konkrete Fortschritte. Dazu ein Blick nach Botnang. In dem Stadtbezirk bahnt sich eine Erfolgsstory an – aus der Mitte der Stuttgarter heraus. Aus einer ehrenamtlichen Initiative ist blitzschnell eine Genossenschaft entstanden, die schon 2026 ein eigenes Wärmenetz bauen will. Wenn das klappt, wäre es eine Blaupause.

Kohlekraftwerk in Stuttgart vom Netz

Zeichen der Zukunft finden sich in Stuttgart aber auch an anderer Stelle. Innerhalb eines Monats spielte sich am Neckar Richtungsweisendes ab. Mitte April 2025 ging das Kohlekraftwerk der EnBW in Münster vom Netz. Dort sind seither wasserstofffähige Gasturbinen im Einsatz. Nur ein paar Tage später ein Spatenstich für ein Leuchtturmprojekt in Hedelfingen: Die Stadtwerke bauen am Mittelkai den „Green Hydrogen Hub Stuttgart“. Über eine knapp sieben Kilometer lange Pipeline sollen zunächst der öffentliche Nahverkehr und die Industrie mit grünem Wasserstoff versorgt werden.

Die Frage einer möglichst emissionsfreien Energieversorgung ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Klimaanpassung, denn selbst wenn Stuttgart, Deutschland und die EU die Klimaziele erreichen, dürfte sich die Erwärmung Experten zufolge zunächst fortsetzen.

Damit sich der Kessel nicht bis zur Unerträglichkeit aufheizt, verfolgt Stuttgart seit geraumer Zeit auch das Schwammstadt-Prinzip. Gemeint ist, dass Starkregen nicht mehr die Straßen in Bäche verwandelt und Keller bedroht; sondern dass möglichst viel vor Ort versickert, um dann bei Hitze zu kühlen. Wer sich im heutigen Stuttgart umschaut, sieht, dass der Weg zur blau-grünen Stadt kein Katzensprung ist. Denn in letzter Konsequenz bedeutet es: deutlich mehr Grün und deutlich weniger Teer.

Vielleicht so ein bisschen wie auf jenem Zukunftsbild von 2045. Einen Vorgeschmack gibt es bereits an der Calwer Passage. Der Bau ist ein Hingucker. Auf 1700 Quadratmetern Fassade verteilt wachsen dort Immergrün, Winterjasmin, Strauch-Efeu und Klematis; zudem gedeiht ein kleiner Mischwald auf dem Dach. Jetzt, in der Gegenwart.