Die Idee, auf dem Haigst an die Opfer der Militärdiktatur zu erinnern, nimmt Gestalt an. Lokalpolitiker stehen dem Ansinnen zumindest einmal aufgeschlossen gegenüber. Die Finanzierung ist offen.
Seit 2006 heißt die Aussichtsplattform auf dem Haigst in Degerloch Santiago-de-Chile-Platz. Zwei Skulpturen verweisen hier auf das südamerikanische Land: die Büste der chilenischen Literaturnobelpreisträgerin Gabriela Mistral und eine Moai-Statue der Osterinseln. Das wirkt nicht nur etwas beliebig. Auch dass auf dem Platz bisher nichts an das dunkle Kapitel der chilenischen Militärdiktatur und deren Opfer erinnert, gilt vielen als Versäumnis. Das könnte sich nun ändern.
4000 Chilenen flohen nach Deutschland
Als sich General Pinochet 1973 mit Gewalt an die Macht putschte, flohen in der Folge rund 4000 Chilenen in die Bundesrepublik, rund 2000 in die DDR. Tausende fielen der Verfolgung durch die Militärdiktatur zum Opfer, wurden verschleppt und nachweislich ermordet. Andere blieben verschwunden. Bis heute.
Zu diesen gehören auch der Vater und der Bruder von Juan Rojas-Vásquez, der seit 1980 in Stuttgart lebt und seither nicht müde wird, nach seinen Angehörigen zu suchen. Ermordet wurden sie mutmaßlich auf dem Areal der berüchtigten deutschen Sektenkolonie Colonia Dignidad.
Rojas-Vásquez Wunsch und Idee, auf dem Santiago-de-Chile-Platz in Degerloch an die Opfer der Militärdiktatur gedenken zu können, haben im vergangenen Jahr die Naturfreund Heslach aufgegriffen. Deren Rote-Socken-Wanderweg führt an dem Platz vorbei, wie Werner Schmidt, Vorsitzender der Naturfreunde Heslach erklärt.
Seitdem hat das Projekt im Wortsinn Gestalt angenommen: Im Auftrag der Naturfreunde haben die Stuttgarter Bildhauer Joachim Sauter und Wolfram Isele Skulpturentwürfe ausgearbeitet und jetzt im Bezirksbeirat Degerloch präsentiert. Wie Schmidt betont, stehe er diesbezüglich mit der chilenischen Community in Stuttgart in Kontakt.
Sauters Plastik, die im Original rund zwei Meter groß wäre, nimmt die Metapher vom „schmalen Blütenblatt“ auf, mit der der Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda Chile verglichen hat. „Ein Turm der Empörten“ steht für die Freiheitsbewegung und kontrastiert in der Skulptur mit einer heraufdrängenden Szene aus Gräueltaten, so Sauter.
Stadion war zentraler Schauplatz
Der Bildhauer Wolfram Isele bezieht sich in seinem Entwurf auf das Stadion in Santiago de Chile, das als Massengefängnis zentraler Schauplatz des Militärputschs war. Auf einer Betonmauer mit Einschusslöchern, die den Ort des Schreckens symbolisiert, sind reliefartig Gefangene abgebildet. Auf einer zweiten Stele blickt Neruda „nachdenklich zurück auf die Mauer“. Nicht thematisiert wird von beiden die Beteiligung Deutscher an den Morden.
Im Bezirksbeirat Degerloch stößt das Ansinnen eines Gedenkortes für die Opfer der chilenischen Militärdiktatur im Grundsatz auf Zustimmung. So begrüßt etwa Gremiumsmitglied Michael Huppenbauer (Grüne) die Initiative. Er unterstreicht jedoch, dass sich noch zeigen müsse, „in welcher Form“ das Gedenken stattfinden soll. Schmidt erklärt, dass auch die Finanzierung des Denkmals bisher nicht geklärt sei.
Dass ein Denkmal von „großer Bedeutung“ sei, betont auf Anfrage Juan Rojas-Vásquez. „Nicht nur für die chilenische Gemeinschaft, sondern auch für alle, die in Baden-Württemberg und darüber hinaus nach Wahrheit und Gerechtigkeit suchen.“ Dass dieses Denkmal in Stuttgart stehen würde, sei „besonders bedeutungsvoll“, sagte Rojas-Vásquez, „da viele Chilenen, die vor der Diktatur geflüchtet sind, in Deutschland ein neues Zuhause fanden“. Die Forderung nach Gerechtigkeit müsse weitergetragen werden. „Das Denkmal ist Ausdruck dieser fortwährenden Suche.“ Zu den konkreten Entwürfen äußerte er sich nicht.
Gedenkstätte auf dem Gelände der Colonia Dignidad
Unterdessen scheint es auch in Chile mit einer seit langem geforderten Gedenkstätte auf dem Gelände der Colonia Dignidad voranzugehen. Vor dem mehrtägigen Besuch Frank-Walter Steinmeiers in Chile Anfang März hatte Rojas-Vásquez in einem Brief an den Bundespräsidenten noch einmal seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass er sich für eine zeitnahe Umsetzung einer Gedenk- und Bildungsstätte in der Colonia Dignidad einsetze.
Tatsächlich erklärten Steinmeier und sein chilenischer Amtskollege Gabriel Boric im Zuge des Besuchs, dass Chile hierfür nun einen großen Teil des Geländes der ehemaligen Sekte enteignen werde.