Erdogan macht Berlin für Probleme beim Bau eines Atomkraftwerks verantwortlich, dessen Haupteigner das russische Unternehmen Rosatom ist. Die Lieferung von Turbinen stocke wegen westlicher Sanktionen.
Die Türkei wirft Deutschland vor, den Bau des ersten türkischen Atomkraftwerks zu behindern. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, Deutschland halte die Lieferung von Turbinen für das Kraftwerk im südtürkischen Akkuyu auf. „Wir haben ein Problem“, sagte Erdogan. Offenbar stockt der Export der Turbinen wegen westlicher Sanktionen gegen Russland, den Haupteigner des geplanten Kraftwerks.
Erdogan sprach nach eigenen Angaben am Rande des Nato-Gipfels in Washington mit Bundeskanzler Olaf Scholz über die Turbinen für Akkuyu. Das Kraftwerk, das im Süden der Türkei für rund 20 Milliarden Dollar gebaut wird, soll nach Fertigstellung seiner vier Reaktoren im Jahr 2028 zehn Prozent des türkischen Strombedarfs liefern.
Haupteigner von Akkuyu ist das russische Staatsunternehmen Rosatom. Dessen Chef Alexei Lichatschow sagte laut der russischen Nachrichtenagentur Tass vor wenigen Tagen, amerikanische Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges behinderten die Arbeiten in Akkuyu.
Verstöße gegen Russland-Sanktionen
Verstöße gegen Russland-Sanktionen
Auch Lieferungen aus Deutschland für das Kraftwerk könnten wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Russland-Sanktionen gestoppt werden. „Generell unterliegen eventuelle deutsche Lieferungen für ein Kernkraftwerk EU-Sanktionen gegen Russland, wenn es sich bei den Vertragspartnern um russische Unternehmen handelt“, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage unserer Zeitung. „Etwaige laufende Genehmigungsverfahren“ würden jedoch grundsätzlich nicht kommentiert.
Erdogan gab Deutschland die Schuld an den Lieferproblemen. Am Rande des Nato-Gipfels habe er Scholz in einem Einzelgespräch die Verärgerung der Türkei erneut klar gemacht, sagte der türkische Präsident auf dem Rückflug von Washington vor mitreisenden türkischen Journalisten. Deutschland stelle sich auch bei Rüstungsprojekten mit dem Nato-Partner Türkei quer. So verweigere Berlin die Zustimmung zum Verkauf von 40 Eurofighter-Kampfflugzeugen und zur Lieferung von „einigen Maschinen“ für türkische Fregatten.
Vor zwei Wochen hatte Erdogans Regierung der Bundesregierung die Schuld daran gegeben, dass ein türkischer Spieler bei der Fußball-Europameisterschaft wegen des sogenannten Wolfsgrußes, eines Erkennungszeichens türkischer Rechtsnationalisten, gesperrt wurde.
Der neue Streit um die Kraftwerksturbinen hänge mit dem wachsenden Misstrauen zwischen der Türkei und dem Westen insgesamt zusammen, sagt der türkische Ex-Diplomat Ömer Murat, der in Deutschland im Exil lebt. Westliche Länder befürchteten möglicherweise, dass Russland über die Türkei an Hochtechnologie kommen könne, sagte Murat unserer Zeitung. Die Türkei beteiligt sich nicht an westlichen Strafmaßnahmen gegen Russland und treibt weiter Handel mit Moskau. Westliche Regierungen haben seit Ausbruch des Ukraine-Krieges vor zwei Jahren mehrmals türkische Exporte an Russland kritisiert.
Kein Zurück zu konfrontativem Kurs
Kein Zurück zu konfrontativem Kurs
Beim Nato-Gipfel traten auch andere Differenzen der Türkei mit ihren westlichen Partnern zutage. Erdogan sagte auf dem Heimflug, die Türkei sehe die massive Unterstützung des Westens für die Ukraine im Krieg gegen Russland skeptisch und halte stattdessen Kontakt zu beiden Kriegsparteien. Zudem sagte Erdogan, die Türkei wolle keine weitere Zusammenarbeit der Nato mit Israel. Er kritisierte auch die Kooperation der USA und anderer Nato-Länder mit der syrischen Kurdenmiliz YPG. Die Türkei besteht nach Erdogans Worten außerdem darauf, einen Stellvertreterposten unter dem designierten neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte zu bekommen.
Ex-Diplomat Murat erwartet nicht, dass Erdogan mit dem Turbinen-Streit eine neue Wende zurück zu einem konfrontativen Kurs einleiten will. Der Präsident brauche gute Beziehungen zum Westen, um die Lage der türkischen Wirtschaft zu verbessern.