Seit dem 1. Oktober werden die elektronischen Patientenakten mit Gesundheitsdaten befüllt. Foto: IMAGO/Bihlmayerfotografie

Die neue elektronische Patientenakte (ePA) startet holprig. Zwar gibt es nur wenige Widersprüche von Versicherten, doch das Interesse ist gering. Die Ärzteschaft übt Kritik.

Die Erwartungen an die elektronische Patientenakte (ePA) sind groß: Niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken und Psychotherapeuten sollen Befunde, Diagnosen, therapeutische Maßnahmen, Behandlungsberichte oder Medikationspläne künftig an dem zentralen Ort hinterlegen. Durch diese digitale Vernetzung soll das Gesundheitswesen einen Riesenschritt vorankommen. So sollen etwa Doppeluntersuchungen vermieden werden und Behandlungen insgesamt gezielter erfolgen.

 

Seit dem 1. Oktober sind die Leistungserbringer verpflichtet, die ePA mit aktuellen Daten zu befüllen. Eine wichtige Voraussetzung dafür dürfte dabei erfüllt sein: Der größte Teil der Patienten hat offenbar eine ePA. So hat die AOK Baden-Württemberg, wie alle gesetzlichen Krankenversicherungen, für ihre Mitglieder nach einer Informationskampagne eine elektronische Patientenakte (ePA) angelegt, sofern diese dem nicht ausdrücklich widersprochen haben. Von den rund 4,5 Millionen angeschriebenen Versicherten hätten von ihrem Widerspruchsrecht „bisher nur etwa 4,3 Prozent“ Gebrauch gemacht, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage.

Was nicht heißt, dass auch schon alle Beteiligten in der Lage sind, Daten in die ePA einzustellen. Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg, schätzt, dass „80 bis 90 Prozent der Praxen“ über die technischen Voraussetzungen dafür verfügen. Der Sprecher der Stuttgarter Ärzteschaft, Markus Klett, geht davon aus, dass etwa 90 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen dies können.

Aber auch wo dies der Fall ist, laufen die System noch nicht rund. So hat das Deutsche Ärzteblatt bei einer Umfrage noch „deutliche Lücken bei der Implementierung der elektronische Patientenakte (ePA) in Praxen und Krankenhäusern“ festgestellt. So sei die ePA „nur in 7,5 Prozent der Praxen und 2,4 Prozent der Kliniken problemlos nutzbar“. Offenbar sind unter der Vielzahl der Anbieter von Praxisverwaltungssystemen nicht alle in der Lage, das nötige Softwaremodul bereitzustellen. Dirk Heinrich, der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, kritisiert denn auch: Ärzte, die ihre Praxis digitalisiert hätten, müssten bei mangelnder Umsetzung der ePA mit Strafzahlungen rechnen, „während Technikanbieter sanktionslos versagen können“. Überdies sei „der gesamte Krankenhausbereich noch gar nicht an das System der ePA angebunden“, betonte der Vorsitzende der niedergelassenen Ärzte in Deutschland.

Auch der bundesweite Ärzteverbund Medi Geno stellt eine große Unzufriedenheit in der Ärzteschaft mit der Umsetzung der neuen Patientenakte fest. Diese betreffe vor allem die Datensicherheit. Christian Messer, stellvertretender Vorsitzender des Verbunds und Facharzt für Psychosomatische Medizin, erklärt, als Psychotherapeut habe er es „täglich mit besonders sensiblen Patientendaten zu tun“. Aufgrund seiner Bedenken rate er seinen Patienten, „der ePA zu widersprechen, weil ich nicht ausschließen kann, dass sensible Daten durch den breiteren Zugang, beispielsweise durch sämtliche Mitarbeitenden in Apotheken, nicht mehr geschützt sind“. Er sehe damit seine „ärztliche Schweigepflicht bedroht.“ Der Verbund fordert deshalb „Nachbesserungen der elektronische Patientenakte hinsichtlich Praktikabilität und Datensicherheit“.

Interesse von Patienten bisher gering

Ähnlich argumentiert Markus Klett. Auch er sieht seine „ärztliche Schweigepflicht gefährdet“ und rät seinen Patienten deshalb zum Widerspruch – in deren eigenem Interesse. Dem Vorsitzenden der Stuttgarter Ärzteschaft missfällt an der Regelung zur ePA aber genauso „die Rechtsungleichheit zwischen Arzt und Patient“. Während er als Arzt einem strengen Reglement unterliege, könne der Patient damit „machen, was er will“. Über eine App hat der Versicherte Zugang zur Patientenakte und kann dort selbst Informationen hochladen, aber Daten „auch rausnehmen und löschen, wie er will“, betont Klett. Dadurch könne er als Arzt, Klett betreibt seit Jahrzehnten eine Hausarztpraxis in Bad Cannstatt, nicht mehr sicher sein, aus der Akte auch ein „umfassendes Bild“ des Patienten zu bekommen.

Viele Patienten aber interessierten sich bisher ohnehin nicht für die ePA. „Den meisten ist das wurscht“, hat Markus Klett festgestellt. Nach einer Umfrage von Pharma Deutschland wird die bereits im April eingeführte ePA bisher nur von 15 Prozent der Patienten auch genutzt. Dies dürfte vor allem auf Unkenntnis der neuen Möglichkeit zurückzuführen sein. Dem sollen Ombudsstellen entgegenwirken, die bei den gesetzlichen Krankenkassen im Zuge der Einführung eingerichtet werden mussten. Hier können sich die Versicherten auch über Widerspruchsmöglichkeiten informieren, etwa wer auf die Gesundheitsdaten zugreifen darf und wer nicht, und ob dies auch für Apotheken oder für Forschungszwecke gilt.