Karl Haidle, bekannt als ältester Mann Deutschlands, ist wenige Wochen nach seinem 110. Geburtstag verstorben. Foto: Allmende Stetten

Wenige Wochen nach seinem 110. Geburtstag ist der älteste Mann Deutschlands verstorben. Die Gemeinde Kernen reagiert mit einem Nachruf auf den Tod des prominenten Bürgers.

Die Gemeinde Kernen trauert um Karl Haidle. Der als ältester Mann in Deutschland geltende Remstäler ist wenige Wochen nach seinem 110. Geburtstag verstorben. „Mit ihm verliert Kernen einen außergewöhnlichen Mitbürger, der über ein Jahrhundert deutscher Geschichte erlebt hat und in seiner Heimat fest verwurzelt blieb“, heißt es in einem am Montagabend veröffentlichten Nachruf aus dem Rathaus der knapp 16 000 Einwohner zählenden Gemeinde.

 

Geboren am 2. September 1915 hatte der noch in der Kaiserzeit zur Welt gekommene Karl Haidle die tiefgreifenden Umbrüche des 20. Jahrhunderts persönlich erlebt – vom bäuerlichen Leben seiner Jugend über die schweren Kriegsjahre bis in eine Zeit, in der die Welt digital zusammengewachsen ist.

Bürgermeister: „Er hat uns mit Herzlichkeit und Bodenständigkeit berührt“

„Sein wacher Blick, seine Ruhe und die Gelassenheit, mit der er auf ein langes Leben zurückschaute, beeindruckten alle, die ihm begegneten. Karl Haidle war ein Mensch, der uns mit seiner Herzlichkeit und Bodenständigkeit berührt hat“, schreibt Kernens Bürgermeister Benedikt Paulowitsch über den prominenten Jubilar.

Noch mit 99 Jahren war Karl Haidle mit seinem Auto durch den Flecken gefahren und hatte sich täglich in seinem Weinberg um seine Reben gekümmert. Auch mit 105 führte der Witwer, der seine einzige Tochter überlebt hat, ein selbstbestimmtes Leben, versorgte sich noch weitgehend selbst und übernahm eigenständig den Abwasch.

Karl Haidle bei einem Termin zum Projekt Dorfgedächtnis mit Lokalhistoriker Ebbe Kögel. Foto: Brigitte Hess

„Er hat körperlich etwas abgebaut und läuft ein bissle wackeliger, aber geistig merkt man gar nichts“, sagte sein Schwiegersohn Manfred Gerlich seinerzeit über den rüstigen Senior, der täglich ausgiebig in der Zeitung las, einen Rollator als Gehhilfe ablehnte und drei Jahrzehnte lang quasi nicht beim Arzt war.

Erst in den vergangenen Jahren wurde immer deutlicher, dass das biblische Alter des Seniors aus Stetten seinen Tribut fordert. Ein Besuch des Methusalems aus dem Remstal war zuletzt nicht mehr möglich, weil sich Karl Haidle trotz zweier Hörgeräte nicht mehr mit fremden Menschen verständigen konnte. Auch an den einst geliebten sonntäglichen Frühschoppen im Sängerheim war nicht mehr zu denken, wegen Schmerzen musste sich der Senior starke Medikamente verschreiben lassen.

Bei der Premiere des Films reichten die 180 Plätze in der Glockenkelter nicht aus

Seine Lebensgeschichte konnte der Stettener, übrigens nur ein Namensvetter des bekannten Weinguts und selbst auch nicht im Turnsport aktiv, deshalb niemand mehr erzählen. Mehr über den ältesten Mann Deutschlands war in einem Film zu erfahren, den der Heimatverein Allmende Stetten vor Jahren im Rahmen des „Projekts Dorfgedächtnis“ gemacht hat. Bei der Premiere in der Glockenkelter reichten 2017 die vorhandenen 180 Sitzplätze für den Publikumsandrang nicht aus.

Aus Sicht des Altersforschers Dr. Thomas Breining handelt es sich bei den von Karl Haidle erreichten 110 Jahren um einen absoluten Ausnahmefall. „Es ist extrem selten, dass Männer dieses Alter erreichen“, sagt der im Uniklinikum in Ulm tätige Mediziner, der im Nebenamt für die Gerontology Research Group über die Langlebigkeit im deutschsprachigen Raum forscht.

Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Erfassung und Validierung von sogenannten Höchstbetagten – also Menschen, die die magische Marke von 110 Lenzen überschritten haben. Bei Frauen kommt Langlebigkeit deutlich öfter vor, der 110er-Club hat nicht nur eine einzige Vertreterin. Beim vermeintlich starken Geschlecht ist das anders, als zweitälteste Mann des am vergangenen Samstag friedlich eingeschlafenen Karl Haidle gilt ein 109-jähriger Pfarrer namens Bruno Kant.

„Er hat in seinem langen Leben viel gesehen und vieles getragen – ohne Bitterkeit, aber mit großem Respekt vor dem Leben. Für viele von uns war er ein Vorbild an Besonnenheit und Wertschätzung“, schreibt Kernens Bürgermeister Benedikt Paulowitsch in seinem Nachruf auf den berühmten Stettener. Karl Haidle war nach seiner Ausbildung zum Mechaniker während der NS-Diktatur zum Reichsarbeitsdienst gekommen und nahm 1936 als „Soldat der Arbeit“ am Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg teil. Nach einem einjährigen Intermezzo als Revolverdreher beim Daimler in Untertürkheim wurde er 1937 zu den Gebirgsjägern nach Garmisch eingezogen.

„Jetzt geht es wieder los mit dem Krieg“ war sein Kommentar zum Ukraine-Überfall

Ab September 1939 machte er als Meldefahrer auf seinem BMW-Motorrad sämtliche Feldzüge der deutschen Wehrmacht mit – von Dünkirchen am Atlantik bis zum Fuße des Elbrus im Kaukasus.Den Krieg überlebte Karl Haidle wie durch ein Wunder unverletzt und ohne gesundheitliche Schäden – obwohl er 1944 in jugoslawische Gefangenschaft kam und erst vier Jahre später nach Stetten zurückkehrte. Seine beiden Brüder waren im Feld geblieben, der Heimkehrer musste die elterliche Landwirtschaft übernehmen. „Jetzt geht es wieder los mit dem Krieg“ soll Karl Haidle resigniert gesagt haben, als vor drei Jahren die Nachricht vom russischen Überfall auf die Ukraine um die Welt ging.

„Seine Tatkraft, seine Bescheidenheit und sein trockener Humor bleiben vielen Menschen in Erinnerung“, heißt es im Nachruf. Die Gemeinde Kernen im Remstal spricht der Familie und allen Angehörigen ihr aufrichtiges Mitgefühl aus.