Ozzy Osbourne – vom Leben gezeichnet, aber auf der Bühne ganz der alte Foto: Max Kovalenko

11.500 Zuschauer kamen am Mittwochabend in die Stuttgarter Schleyerhalle, um die britische Hardrockband Black Sabbath zu erleben, und sie wurden reich beschenkt.

Stuttgart - Die Halle bebt. Ein archaisch anmutendes Klangungetüm lässt Fußboden, Tribünensitze und Magengegenden erzittern. Sollte die Apokalypse mit einem Geräusch einhergehen, dieses könnte es sein. Zu drei Vierteln wiedervereinigt entfachen Black Sabbath, britische Urväter des Heavy Metal, ein wahres Höllenspektakel.

Ozzy Osbourne (65), Tony Iommi (66), Geezer Butler (64) und ihr Tournee-Drummer Tommy Clufetos (34) beginnen mit einer kraftstrotzenden Version von „War Pigs“, „Snowblind“ „N.I.B.“ und „Children Of The Grave“ werden folgen. Ozzy Osbourne, früher oft nur ein schlurfender Schatten seiner selbst, ist an diesem Abend seinem Jahrzehnte währenden Delirium entkommen: Er wirkt aufgeräumt und bei Bewusstsein, trifft mit schneidendem Organ Töne und Einsätze, animiert mit unnachahmlicher Rhetorik („I want you to go fu*king crazy!“) und Gestik das Publikum. Vom ersten Ton an kocht die Halle.

Lichteffekte und Videos verstärken die Wirkung. Stroboskop-Regen begleitet das düstere „Black Sabbath“, auf den Leinwänden gibt es thematisch Passendes zu sehen: Exorzismus, einen am Boden Liegenden in einer Zwangsjacke, den eine Ratte attackiert, freizügige Damen mit Gasmasken. Nahtlos fügen sich Stücke des aktuellen Albums „13“ ein, auf dem die Band unter Regie von Produzentenlegende Rick Rubin wieder ganz zu sich gefunden hat: Riffmonster wie „Age Of Reason“ oder „God Is Dead?“ hätten Black Sabbath genau so schon vor über 40 Jahren schreiben können. Von damals stammt das vertrackte „Fairies Wear Boots“, eine Art Klang gewordener Drogenrausch, und auch diesen intonieren Black Sabbath bravourös.

Man spürt die Herkunft der Band aus den experimentellen 1960ern, als elektrifizierte Musik in neue Dimensionen eintrat. Kaum hatten Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck und Jimmy Page Möglichkeiten der Übersteuerung entdeckt, da schmiedete Tony Iommi aus der Stahlkocherstadt Birmingham schon Gitarrenriffs wie Schwerthiebe. Bei Jethro Tull wurde er als zu hart abgelehnt, also versuchte er es mit seinen Schulfreunden Osbourne, Butler und Drummer Bill Ward. Heute nennen Bands wie Metallica und Slayer einmütig Black Sabbath als Vorbild.

Iommi und Butler bilden ein kongeniales Klangbollwerk, wobei der Bassist, in der Rockmusik eher unüblich, eine Schlüsselrolle spielt. Wie früher John Entwhistle bei The Who begleitet auch Butler nicht, sondern gestaltet: Wuchtig pumpend umspült er Iommis Riffungeheuer mit mächtigen Tieftonkaskaden, malt sie aus und verziert sie, ohne je den Fluss zu verlieren.

Butler ist es auch, der die dystopischen Geisterbahn-Texte verfasst, keineswegs nur Satansvisionen wie der Song „Black Sabbath“, der der Band den Namen gab: „War Pigs“ ist Antikriegslyrik, „Iron Man“ fragt, wie ein Roboter menschliche Ablehnung empfinden mag, „God Is Dead?“ ist nicht etwa das Bekenntnis eines Atheisten, sondern eines verzweifelten Sinnsuchers – der sich allerdings an der Schwelle zum Wahnsinn bewegt.

Extreme Texte brauchen einen extremen Rezitator mit extremer Stimme, einen wie Osbourne. Wie ein Priester breitet er die Arme aus, reißt mitunter weit die Augen auf, deklamiert mal in hypnotisierendem Singsang, mal in wütendem Bellen. Und er kann lachen wie der Leibhaftige selbst.

Wie ein unheiliges Mahnmal wirkt die Band, und während sie gegen die Anbetung falscher Idole predigt, wird sie gleichzeitig als ein solches gefeiert – ein gelebter Widerspruch des Rock’n’Roll. Wie auch die Teufelshörner, die viele Konzertbesucher mit der Hand formen. Ausgerechnet der stimmgewaltige Ronnie James Dio hat sie als Zeichen der Metal-Szene populär gemacht, Osbournes zeitweiliger Nachfolger bei Black Sabbath und bis zu seinem Tod 2010 dessen größter Rivale.

Widersprüchlich erscheinen auch die nebulösen Umstände, unter denen Bill Ward von der Wiedervereinigung ausgeschlossen blieb. „Mein Anwalt wird Ihren Anwalt anrufen!“, ruft Jack Lemmon in der Filmkomödie „Nie wieder New York“, und ähnlich scheint die Kommunikation auch bei Black Sabbath zu laufen: Von „vertraglichen Problemen“ ist die Rede.

Was wirklich war, spielt letztlich keine Rolle. Clufetos vertritt Ward so eindrucksvoll wie einst Zak Starkey Keith Moon bei The Who. Wuchtig und virtuos drischt er auf sein Instrument ein, präzise wie ein Uhrwerk, und durchsetzt mächtige Rhythmen nach Belieben mit Breaks und Fills. Clufetos fügt sich ein in den monströsen Organismus namens Black Sabbath, aus dem Iommis lyrische Soli strahlen, Butlers einst wegweisende Bearbeitung des Wah-Wah-Pedals, Ozzys Beschwörungen.

„One More Song“ sollen die Leute rufen, fordert er, und 11 500 brüllen. Noch einmal erhebt sich das Klangungetüm mit dem Hit „Paranoid“. Ob man es je wieder leibhaftig zu sehen und zu hören bekommen wird? Spätestens, wenn die Apokalypse naht.