„Leute“-Moderatoren Stefan Siller (li.), Wolfgang Heim Foto: SWR-Pressestelle/Fotoredaktion

Ob die Hellseherin Frau Semira gedacht hat, dass es so lange gehen wird? Sie war am 7. Januar 1985 der erste Gesprächsgast in der Radiosendung „Leute“, die anfangs noch „Von 10 bis 12“ hieß. Wir sprachen mit den Moderatoren Stefan Siller und Wolfgang Heim.

Stuttgart - Herr Siller, Herr Heim, fangen wir mit einer typischen „Leute“-Einstiegsfrage an: Wie geht’s?
Siller: Stimmt, das frage ich manchmal.
Ist das ein Zungenlöser?
Heim: Manchmal vielleicht, wenn einem nichts Besseres einfällt.
Siller: Kommt drauf an. Bei dem querschnittsgelähmten Samuel Koch habe ich das bewusst gemacht, als freundliche Provokation. Im Grunde aber geht es darum, dass sich die Gäste wohlfühlen.
Ist das die Strategie: Erst wohlfühlen, dann aus der Reserve locken?
Heim: Das hört sich an, als wollten wir jemand in die Pfanne hauen. Wenn ein Mensch sich öffnet und Dinge sagt, die er in anderem Zusammenhang nicht sagen würde, ist ein Hauptzweck der Sendung erfüllt.
Siller: Oder wenn die Hörer hinterher mehr wissen über unseren Gast als davor, egal, ob das nun positiv oder negativ ist.
Als Zuhörer nervt manchmal die Unterbrechung durch die Musik.
Siller: Wir nehmen das erst mal als Kompliment. Und dann sagen wir: Wir haben einen Spagat zu bewältigen. Wir sind Teil des Programms SWR 1. Das ist eine populäre Welle mit Informationsanspruch, die auch von Leuten gehört wird, die auf Musik stehen. Das Format hat den Vorteil, dass wir Hörer gewinnen können, die nicht wegen des Gasts einschalten würden.
Heim: Das Problem ist insofern gelöst, als man uns auf SWR info und nachts im Fernsehen am Stück hören kann. Oder man kann sich den Wortteil per Podcast herunterladen.
Wie viele Menschen hören Ihnen zu?
Siller: Eine halbe Million pro Sendung.
Was ist das Erfolgsrezept?
Siller: Dass wir die richtigen Gäste einladen und die Gespräche so führen, dass es die Leute interessiert.
Heim: Offenbar gibt es bei etlichen Leuten das Bedürfnis, einem Gespräch zuzuhören, in dem sich zwei Menschen halbwegs gesittet unterhalten.
Siller: Das unterscheidet uns von den ganzen Gesprächsrunden mit vier, fünf Leuten, bei denen die Gäste kaum ausreden können.
Wer sucht die Gäste aus? Hilft der Intendant?
Siller: Es gibt viele nette Kollegen, die uns Empfehlungen geben, aber der Intendant gehört nicht dazu. Außerdem gehen wir mit offenen Augen und Ohren durchs Leben, da fällt uns immer wieder jemand auf, der für zwei Stunden gut ist.
Wer ist besser: Ein Promi oder jemand, der etwas zu erzählen hat?
Siller: Kann man so nicht sagen, für uns sind nur Gäste interessant, die etwas zu erzählen haben. Die einen sind prominent, die anderen halt nicht. Der Promi hat den Vorteil, dass man ihn nicht lang vorstellen muss.
Was macht man, wenn man sich mit einem Gast vertan hat?
Heim: Das passiert so gut wie nie. Wir klären vorher ab, ob man mit jemand über zwei Stunden kommt. Das ist heute einfacher als noch vor zwanzig Jahren. Die kannst googeln, es gibt Mediatheken, You Tube. Man bekommt schnell raus, ob jemand passt.
Wie motivieren Sie sich?
Siller: Wir sind immer noch neugierig. Ich habe eine Art Traumjob, den ich nach 30 Jahren noch gern mache.
Heim: Mich reizt nach wie vor die Herausforderung, in eine Live-Sendung zu gehen und die Sache gut über die Runde zu bringen.
Ist wirklich alles live?
Heim: 80 Prozent schon, der Rest wird aufgezeichnet.
Welcher Gast war am häufigsten da?
Siller: Es gibt viele Gäste, die sind so gut, dass man sie immer wieder einladen kann. Zu den Spitzenreitern gehören BAP-Chef Wolfgang Niedecken und Harald Schmidt, von denen war jeder sicher schon zehn- bis zwölfmal in der Sendung.
Weil Sie die beiden so mögen?
Siller: Nö, weil die so gut sind. Aber ich gebe zu, das sind auch nette Menschen. Mit Schmidt kannst du über alles reden, das letzte Mal war er bei der Fußball-WM da.
Gehen Politiker bei Live-Interviews mit angezogener Handbremse ins Rennen?
Siller: Das kann schon passieren, aber dann versucht man eben, sie aus der Reserve zu locken. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Aber man kann nicht aus jedem Ministerialdirigenten einen Entertainer machen.
Einmal hatten Sie die Schauspielerin Hannelore Elsner in der Sendung, die wollte nur über ihren neuen Film sprechen.
Heim: Das ist schon elend lang her, aber ich erinnere mich. Die war zuerst Gast bei meinem Kollegen Michel Ries. Offenbar mochte sie den nicht, sie hat ihn ständig angemacht, obwohl er ganz freundlich war. Insofern war ich schon munitioniert. Das Gespräch hat funktioniert, aber leicht war es nicht.
Aber Sie haben es durchzogen.
Heim: Ja. Abgebrochen habe ich nur eine Sendung, das war das Gespräch mit einem Typen, der sich als Nazi geoutet hat. Ich wusste, dass der politisch rechts steht, aber nicht, dass er ein Nazi war. Irgendwann waren die Sprüche so schlimm, da blieb mir nichts anderes übrig, als abzubrechen.
Siller: Was die Hörer goutiert haben.
Wie schaut es mit Hörerreaktion aus?
Siller: Er gibt erstaunlich viele Leute, die Zeit haben, zwischen zehn und zwölf Mails zu schreiben. Manchmal sind auch Anregungen dabei, die wir in der Sendung aufgreifen.
Heim: Es gibt Sendungen, die polarisieren, da gibt es heftige Reaktionen. Das ist so, wenn man Tilo Sarrazin ins Studio holt. Die einen finden den gut, die andere Hälfte findet ihn furchtbar. Oder das war so bei Jörg Kachelmann, nach dessen Freispruch.
Aber Polarisieren ist nicht das „Leute“-Konzept.
Siller: Nein, aber manchmal gibt es Themen, da lässt es sich nicht vermeiden. Zum Höhepunkt des Stuttgart-21-Streits hatte ich zuerst Bahn-Chef Rüdiger Grube in einer Sendung, dann den Projektgegner Gangolf Stocker. Jedes Mal wurde ich hinterher verklopft, einmal als Gegner, einmal als Befürworter des Projekts. Die Hörer haben es manchmal nicht leicht, zwischen der Meinung und der Funktion eines Moderators zu unterscheiden.
Was war Ihr unangenehmster Gesprächsgast?
Siller: Der inzwischen verstorbene Republikaner-Chef Franz Schönhuber. Das war ein geschulter Mann und kluger Kopf, dem nicht leicht beizukommen war. Ich war nicht mit mir zufrieden, weil ich ihn nicht da hinbekommen habe, wo ich ihn gern gehabt hätte.
Heim: Mir fallen zwei ein, der eine war der Nazi. Der andere Karl-Eduard von Schnitzler, der Chefpropagandist der DDR. Da turnst du zwei Stunden lang an der Abbruchlinie entlang. Solche Gespräche haben ihre Berechtigung, aber du kannst sie nicht jeden Tag machen. Es gibt auch Sendungen, da können Gast und Moderator nicht miteinander. Passiert nur selten, aber wenn es passiert, dann schaut man auf die Uhr und weiß: Auch heute ist irgendwann zwölf.
Die Journalistin Elke Heidenreich sagt, Helmut Schmidt sei ein schlimmer Gesprächspartner.
Heim: Das kann ich unterschreiben. Ich habe Schmidt mal in seinem „Zeit“-Büro in Hamburg besucht. Ich bin nicht anspruchsvoll, aber der ist schon unfreundlich.
Der mag keine Journalisten.
Heim: Ich habe gehört, es sei so eine Art Test, dass er Leute erst mal unfreundlich behandeln. Wer einknickt, kann im Grunde gehen. Ich hatte wohl die Prüfung bestanden, zumindest hörte er mir zu. Ich habe das daran gemerkt, da er mich bei der ersten Frage zweimal korrigierte.
Was wird gesprochen, während die Musik läuft?
Heim: Das ist das eigentlich Spannende.
Siller: Und deshalb erzählen wir das auch nicht. Wir führen das Gespräch natürlich nicht fort. Sonst kommt man hinterher noch durcheinander und weiß nicht, was man in der Sendung und was man in den Pausen gesprochen hat.
Herr Siller, man hört, Sie gingen bald in Rente?
Siller: Ich kann dem Gerücht leider nicht widersprechen. Es wird Ende 2015 sein.
Macht Sie das traurig?
Siller: Es macht mich nicht glücklich. Ich mache den Job nach wie vor gern, verstehe aber auch, dass mal frisches Blut rein muss.
Was ist die größte Angst des Moderators?
Heim: Dass ich mal einen Namen vergesse. Das ist mir sogar bei Kollegen passiert, die ich seit Jahren kenne. Also schreibe ich mir inzwischen alle Namen auf einen Zettel.
Was passiert, wenn ein Gast Sie versetzt?
Siller: Dann greifen wir auf eine Aufzeichnung zurück. Aber immer geht das nicht, wie im Fall des Schauspielers Martin Lüttge. Als klar war, dass er nicht kommt, habe ich mir den Wolfgang ins Studio geholt, und wir unterhielten uns über seine Schauspielerfahrungen. Später durften noch andere Kollegen was zum Thema beisteuern. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass mein damaliger Chef mal einen Tannenbaum gespielt hat. Inhaltlich war das eher flach, aber unterhaltsam. Über die Sendung wurde mit Sicherheit länger geredet, wie wenn Herr Lüttge gekommen wäre.