Sibylle Berg ist mit "Hauptsache Arbeit!" eine harte und pessimistische Bestandsaufnahme

Sibylle Berg ist mit "Hauptsache Arbeit!" eine harte und pessimistische Bestandsaufnahme der Welt der Angestellten gelungen. Am Samstag im Schauspielhaus Stuttgart sah man in Hasko Webers Inszenierung zwar lächerliche, aber doch bemitleidenswerte Opferwesen.

Von Nicole Golombek

Sie zappeln und zucken, sie gehen in die Knie. Sie schreien, sie beißen die Zähne zusammen. Sie sind benommen, aber sie zucken noch, die Menschen an den Stromstoßgeräten. "Sie können den anderen ausschalten. Für immer", wird den Angestellten einer Versicherungsfirma auf dem Betriebsfest erklärt. Alle haben Angst, unangenehm aufzufallen, also weigert sich keiner, mitzumachen beim "Angsthasenspiel oder Der Schwächere fliegt raus". "Was war das Widerlichste, was Sie einem Kollegen angetan haben?", fragt einer. "Ich habe ihm einen so heftigen Stromstoß verpasst, dass er tot umfiel", blafft die Frau zurück, tritt auf einen roten Ballon - der Mann strampelt, dann fällt er um.

"Wie weit würdest du gehen, um deinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren?", fragt Sibylle Berg in ihrem Stück "Hauptsache Arbeit!", und sie lässt die Antwort offen, auch die heftigste. Jedenfalls nicht so weit, Kollegen umzubringen, entscheidet Hasko Weber. Die Stromstöße sind in seiner Uraufführungsinszenierung im Schauspiel Stuttgart nur Teil eines Spiels. Eines geschmacklosen, aber eben keines tödlichen, keines grauenvollen kapitalistischen Spiels. Hasko Weber begreift das Stück als Farce, er betont die Ironie, die Pointen, den wunderbaren Sprachwitz Bergs. Aber er nimmt dem Stück seine Härte. Weber blickt freundlich auf die Angestellten. Er sieht Opfer. Jonas Fürstenaus Sportfanatiker wirkt immer auch etwas täppisch. Der Typ, der den Hund einer Kollegin vergiftete, bekommt in Martin Leutgebs Spiel etwas Bemitleidenswertes, weil er ja auch den Tod seiner lieben runden Frau beweint. Einzig Anja Brünglinghaus, die den Selbsthass einer Frau mit bemerkenswerter Kälte vorträgt, und Ernst Konareks rechtskonservativer Angestellter lassen ahnen, welch eine atemstockende Schärfe das Stück entfalten könnte.

Bei Sibylle Berg ist keiner nur böse, keiner nur gut, in dichten selbstreflexiven Passagen konstatieren die Menschen aber, dass sie ihrer Arbeit komplett entfremdet sind, dass sie nur noch konsumieren. Sie reden über Bürowahnsinn, Alltagshölle, Angst, Sehnsüchte und über Hoffnungen, die sie längst aufgegeben haben. Hass und Selbsthass verflacht Hasko Weber, die Sehnsucht betont er. Die Erkennungsmelodie des Abends ist "La Paloma" - der subversive Hit über Sehnsucht und Hoffnung auf Frieden, den Hans Albers in "Große Freiheit Nr 7" sang und den die Nazis verboten. Nein, diese Angestellten sind latent widerständig (sollten es sein). Sie erleiden das Totalitäre, es kann, es darf aber nicht sein, dass sie das Reaktionäre in sich tragen und ausleben.

Im Schauspielhaus tragen die Männer und Frauen, gespielt von sieben Darstellern, sonderbar zusammengewürfelte Klamotten (Kostüme: Annette Hachmann) - also das Gegenteil dessen, was Berg laut Regieanweisung vorschwebte: "Sie sind gut gekleidet, unauffällig, aber nicht elend oder komisch." Sie verausgaben sich in einem Indianerclub, oder sie führen ihre Kollegen lustig in die Kunst des Squaredancing ein (Applaus für Marietta Meguids schrille Schreie und herrlich zackige Schrittfolgen).

Schräg sind sie, aber nicht wirklich böse. Was können sie dafür, dass sie weniger Energie haben, weniger intelligent sind? "Dass uns ganz wohl ist im Halbschlaf", wie einer sagt. Böse ist das System, der Chef, die Motivationsratte auf dem schlingernden Schiff. Der Chef (Florian von Manteuffel) speit seinen Hass auf die Versager, auf die faulen Angestellten heraus und bejammert sein Dasein als "High Potential". Wozu die exzellente Ausbildung, plärrt er. "Ich bin verdammt überqualifiziert für das Leben."

Immerhin raffen sie sich bei Hasko Weber einmal auf und, auf ihn mit Gebrüll, prügeln auf ihren Chef ein. Gemeinsam wärt ihr stark, die Botschaft ist klar. Die meiste Zeit verbringen sie aber halt doch einzeln in ihren Kabinen. Stéphane Laimé hat eine Bühne gebaut, die aus mehreren Ebenen besteht. Das Unterdeck wird nur angedeutet, Murat Parlak, eine von zwei Motivationsratten, sorgt da für chillige Musik, Bijan Zamani, ulkig nagetierhaft sich kratzend und schmatzend, gibt die Motivationstrainerratte mal auf der Bühne, mal verzieht er sich auch zu uns, ins Publikum, und ruft von dort aus zu mehr Engagement in Sachen Überlebenstraining auf. Oben auf Deck prostet sich der Chef zu, wenn er nicht fernab des Treibens im Liegestuhl fläzt.

Da außer dem Spiel und einer Runde mit Selbstanpreisungsreden kaum etwas passiert, aber viel gesprochen wird, begnügt sich die Regie mit Bebilderung der Monologe. Es dominieren Körperverrenkungen und Maskerade. Die Schauspieler wechseln Kleider, turnen manchmal von Kabine zu Kabine. Man raucht, sieht fern, während der andere Reden hält, um seinen Arbeitsplatz zu sichern.

Auf Bergs zusätzliche Kommentatorenebene, die das Geschehen noch mal in einem anderen Licht zeigen könnte, verzichtet Hasko Weber. Er streicht oder verknappt einige zynische Passagen der Motivationsratten, in denen sie das Treiben kommentieren, wenn die Angestellten sich im Kampf um den Joberhalt kloppen. Und während Berg alle sterben lässt - außer einem Paar, das zwar nicht in Liebe entbrennt, aber doch so einiges Hoffnungsvolles vor sich hin redet -, mutet Hasko Weber dem Publikum keine Angestellten-Leichenberge zu, mit denen die Autorin ihr Stück eröffnet und beendet. Was bei Berg Gift war, wird bei Weber Galle. Keine Spur von frösteln machender Titanic-Großkatastrophe. Wer hier an Bord geht, muss sich mit einer schlichten Sehnsuchtsdampferfahrt begnügen.