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Bürgerstiftung Stuttgart, Bad Cannstatt: Frauen und Kinder sollen gestärkt werden

Die neue Anlaufstelle für Roma-Mütter und ihre Kinder in der Cannstatter Marktstraße mit Fokus auf Bildung: Alphabetisierung, Sprachunterricht und Nachhilfe für Kinder gehören zum Angebot.

Bürgerstiftung Stuttgart, Bad Cannstatt: Frauen und Kinder sollen gestärkt werden

In der Marktstraße 10 liegt der Fokus auf der Bildung: Die Alphabetisierung der Frauen ist ein wichtiges Ziel des Projekts. Fotos: Eva Herschmann

Hinter den bunten Scheiben des Hauses Marktstraße 10 an der Ecke zur Spreuergasse in Bad Cannstatt tut sich was. Wer einen Blick hineinwirft, der sieht im Erdgeschoss einen großen Raum mit Theke, einem Sofa und ein paar Sesseln.„Die Möbel sind alle gespendet worden, unser Geld steckt in der Bildung“, sagt Irene Armbruster, die Geschäftsführerin der Bürgerstiftung Stuttgart, die hier im März eine Anlaufstelle für Roma-Mütter mit Kindern eröffnen - und finanzieren - wird. Es sei keine klassische Beratungsstelle, erklärt Irene Armbruster. „Wir wollen dort Roma-Frauen helfen, so fit zu werden, dass sie ihre Kinder hier in die Schule schicken können.“

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19 Prozent der Deutschen haben negative Einstellungen gegenüber Menschen, die der Minderheit Sinti und Roma angehören. Das zeigt eine Studie, die der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben haben. Gegenüber keiner an Bevölkerungsgruppe deren zeige sich „ein so durchgehendes Bild der Ablehnung“ heißt es darin. Die Kommission Antiziganismus zieht in einem Bericht von 2021 das Fazit, in das Antiziganismus ein „massives gesamtgesellschaftliches Problem Deutschland“ sei. Daran ändert auch der Gedenktag am 8. April, dem internationalen Tag der Roma, nichts, an dem vor allem ihrer Verfolgung durch das Terrorregime der Nationalsozialisten gedacht wird, der eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer fielen.

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In Bad Cannstatt sind überwiegend Roma unterwegs, die Mehrzahl von ihnen kommt aus Rumänien. Im Stadtbild sind sie kaum zu übersehen. Bevorzugt am Wilhelmsplatz und rund um den Bahnhof sind sie in Gruppen unterwegs und betteln. Für Irene Armbruster setzt hier eine gesellschaftliche Aufgabe an, der sich die Bürgerstiftung stellen will. „Und unser Ansatz dafür ist die Bildung“, sagt Irene Armbruster. Denn in dieser Welt habe kein Kind, kein Jugendlicher und keine Frau eine Chance ohne ein Mindestmaß an Bildung.

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Leider klappe die Beschulung der Roma-Kinder nicht immer, so die Geschäftsführerin. Die Gründe dafür seien vielschichtig. „Sie kommen nicht regelmäßig, und sie sind oft auch schwer zu integrieren, weil sie keinen Kindergarten durchlaufen haben.“

Doch die Roma-Frauen aus Rumänien und der Slowakei, mit denen die Bürgerstiftung schon seit rund eineinhalb zusammenarbeite, Jahren wollten an ihrer Situation und an der ihrer Kinder etwas ändern, erklärt Irene Armbruster. „Sie wollen selbst etwas lernen, um für ihre Kinder etwas zu erreichen. Also wollen wir die Alphabetisierung vorantreiben, denn die Mütter können oft kein Deutsch und nicht lesen oder schreiben.“

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Sprachunterricht sei ein wesentlicher Teil des Angebots -ebenso wie Nachhilfe für Kinder - und da seien auch andere Institutionen im Boot, so die Geschäftsführerin der Bürgerstiftung. „Die Zusammenarbeit mit dem Schulamt ist gut, und es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die sich engagieren.“

Bisher mussten die bis zu 15 Mütter, die schon regelmäßig die Angebote nutzen, verschiedene Treffpunkte ansteuern.„Jetzt wollen wir alle Angebote in der Cannstatter Marktstraße zusammenfassen, denn es geht uns darum, die Frauen zu stärken, die sich auf den Weg machen wollen“, sagt Irene Armbruster. Drei Sozialarbeiterinnen in unterschiedlichen Deputaten werden sich im „M10“, wie das Haus genannt wird, um die Frauen und die Kinder kümmern. „Eine spricht Rumänisch, und die Hausleiterin hat schon in diesem Bereich gearbeitet.“ Im Haus gibt es ebenerdig einen großen Raum und im ersten Stock kleinere Zimmer, die als Kursräume und Büros dienen. Nach den Erfahrungen der vergangenen eineinhalb Jahre ist Irene Armbruster„sehr positiv“ gestimmt. „Die Kinder sind wahnsinnig neugierig und lernbegierig, und wir arbeiten mit Frauen, die was erreichen wollen und sich nach den Hausrechten und Regeln verhalten.“ Und es gehe auch darum, dass sie bereit sind, sich zu engagieren, so wie eine der Roma-Frauen, die im M10 putze, erzählt die Geschäftsführerin. „Wir wollen auf den Stärken der Frauen aufbauen, sie begleiten, aber wir wollen auch, dass sie bereit sind, für ihre Entwicklung und die ihrer Kinder zu arbeiten.“ Und natürlich hofften sie auf einen Schneeballeffekt, damit mehr Roma-Frauen die Chance wahrnehmen.

Die möglichen Vorurteile aus der Nachbarschaft will die Bürgerstiftung mit Offenheit und Transparenz abbauen.
Die möglichen Vorurteile aus der Nachbarschaft will die Bürgerstiftung mit Offenheit und Transparenz abbauen.

Cannstatts Bezirksvorsteher Bernd-Marcel Löffler und der Bezirksbeirat wurden in der Sitzung Ende November ausführlich über das Vorhaben informiert – und der Stadtteilchef und die Bürgervertreter haben ihre Unterstützung signalisiert. „Die Frauen, die herkommen, wollen diese Chance nutzen. Sie sind sicherlich nicht diejenigen, die dann dort herumlungern, wie die Geschäftsleute in der Marktstraße befürchten“, sagt Bernd Marcel Löffler.

Den Vorurteilen und Befürchtungen aus der Nachbarschaft will die Bürgerstiftung mit Offenheit und Transparenz entgegentreten. „Wir werden alle einladen, sich die Räume und die Arbeit dort anzugucken“, sagt Irene Armbruster.

Von Eva Herschmann


Hintergrund

Dass Charlie Chaplin als Roma geboren wurde, war lange unbekannt. Laut seiner Enkelin Carmen Chaplin, die als Regisseurin und Produzentin tätig ist, war sich ihr Großvater seiner Roma-Wurzeln sehr bewusst.„Es war etwas, auf das er stolz war.“ Auch Rapper Sido macht aus seiner Sinti-Herkunft kein Geheimnis. Im Gegenteil. Sido fand es lustig, dass ausgerechnet er im Film„Eine Braut kommt selten allein“, der 2017 in die Kinos kam, einen Deutschen spielt, der sich in eine Roma-Frau verliebt.