Menschenleere Strände am Mittelmeer? In Nordzypern muss man da nicht lange suchen. Die Insulaner wollen aber mehr: mehr Touristen. Foto: Dimitriadou

Nordzypern ist ein Land, das es offiziell gar nicht gibt. Dem türkischen Teil fehlt es an fast allem.

Mit einem Holzstab zieht eine Frau Furchen durch die Milch in dem kleinen Kessel. Sie setzt noch Lab zu, damit die Flüssigkeit besser gerinnt, um so den traditionellen Ziegenkäse Halloumi herzustellen. Eine andere knetet Brotteig. Währenddessen macht ein traditionell gekleideter Mann den Steinofen fürs Backen bereit und schenkt selbst gemachten Landwein ein. Ursprünglichkeit soll Touristen in ein Land locken, das es offiziell gar nicht gibt, aber auf der Landkarte trotzdem einen Platz hat: Nordzypern.

Seit 1974 ist die Insel Zypern geteiltes Land. Nur die griechische Republik Zypern ist international anerkannt. Die türkische Seite dagegen ist politisch isoliert und wirtschaftlich vollkommen abhängig von der Türkei. Das bedeutet bis zum heutigen Tage: kein internationaler Handel, keine Direktflüge, kaum Touristen. Aufgrund dieser abgeschotteten Lage sind auch wohl nirgends mehr im Mittelmeerraum solch unberührte Landschaften und unverbaute Küsten zu finden wie in Nordzypern.

Massentourismus ist unbekannt, sehr zum Leidwesen der örtlichen Tourismusmanager, denen ein boomender Fremdenverkehr lieber wäre. Die Teilung Zyperns ist vor allem in der Hauptstadt Lefkosa nicht zu übersehen. Aufdringliche Händler und eine quirlige Marktatmosphäre wird man hier vergeblich suchen. Vielmehr herrscht eine entspannte Ruhe, die Besuchern genügend Muße zum Stöbern lässt.

Die von den Vereinten Nationen überwachte Demarkationszone bildet die Trennlinie zwischen dem türkischen und dem griechischen Teil der Insel. Einheimische wie auch die wenigen Touristen überqueren die Grenze täglich – sei es, um zur Arbeit oder zum Einkaufen zu gehen. Abseits davon scheint die Zeit stillzustehen. Doch das täuscht. Nordzypern ist erwacht.

Wie ein Stachel ragt die Halbinsel Karpaz im Nordosten ins Meer. Die Straße führt vorbei an verlassenen Häusern und bestellten Kornfeldern, Olivenhainen, niedrigem Gestrüpp, Wiesen voller Schafe, ab und zu einem kleinen Dorf. Das Distriktstädtchen Dipkarpaz mit seinen 2.500 Menschen, davon 250 Zyperngriechen, die sich nach dem Krieg 1974 entschlossen, in ihrer Heimat zu bleiben, wird langsam zum Tourismusstädtchen ausgebaut. Alte Steinhäuser werden zu kleinen Hotels im Landhausstil umgebaut. Dazwischen, hoch am Hang gelegen, blinkt die weiße Kuppe der Moschee. Sie zählt zu den großen muslimischen Gebetshäusern auf der Insel.

An der Spitze von Karpaz liegt ein legendärer Wallfahrtsort: das Andreas-Kloster, das im eigentlichen Sinne nie ein Kloster war. Nach der Überlieferung soll der Apostel hier auf einer seiner Schiffsreisen im ersten Jahrhundert ein Wunder bewirkt haben: Nachdem das Trinkwasser an Bord ausgegangen war, wies er die Besatzung an, mit dem Schwert gegen einen Felsen zu schlagen, aus dem tatsächlich eine Quelle sprudelte. Heute sind dort nur noch verrostete Wasserhähne zu sehen. Kein Wasser, nirgends.

Im Dunst verlieren sich die Konturen des Pfannenstiels, wie die lang gezogene Halbinsel volkstümlich heißt, und der zwei Kilometer lange Golden Beach erscheint am Horizont mit seinen gewaltigen Dünen und dem glasklaren Wasser. Es ist sicher der schönste Strand der gesamten Insel. Eine Handvoll Liegen und Holzbungalows warten auf Besucher. Die wenigen Bungalows immerhin seien ausgebucht, sagt Reiseleiter Bülent, der sich der Gäste hier annimmt und sich so ein Zubrot verdient.

Sie ist nicht unbedingt eine Schönheit, aber im Kern nicht weniger reizvoll: die legendäre Hafenstadt Gazimagusa mit ihrem melancholischen, spätmittelalterlich grauen Stadtkern hinter gewaltigen Festungsmauern. Im 14. Jahrhundert war Gazimagusa eine der reichsten Städte im Mittelmeer, Handelsplatz für Waren aus Orient und Okzident, bis die Osmanen 1571 die Stadt eroberten. Christliche Vergangenheit und muslimische Gegenwart vermischen sich wie selbstverständlich zwischen Unkraut und Ruinen.

In Gazimagusa gibt es allerdings einen Bereich, der Touristen verschlossen bleibt: der politisch hermetisch geschlossene Vorort Varosha mit den gespenstischen Hotelbauten. Eintritt verboten. Als der sonst lockere Bülent die Klicks der Kameras hört, gerät er in Panik. Das sei streng verboten, betont er. Hier ist militärisches Sperrgebiet. Ein paar Kilometer weiter liegt die spätrömische Ruinenstadt Salamis. Bisher wurden das Theater für 15.000 Zuschauer und das Thermen-Gymnasium mit seinen prachtvollen Marmorsäulen freigelegt. Besichtigt werden können die Grundmauern und Fassadenreste von zwei frühchristlichen Basiliken mit ihren berühmten Toilettenanlagen, Thermen und Wasserspeichern.

Je weiter man nach Westen kommt, desto ursprünglicher erscheint die Landschaft. Und dann kommt den Besuchern plötzlich ein nicht ungefährliches Tier entgegen: ein Wildesel. Ein lautes "Iiaah", ein böser Blick – und schon machen sich die Besucher eiligst aus dem Staub. Mit den Tieren ist nicht zu spaßen, näher als 50 Meter lassen sie keinen Menschen an sich heran.

Die nächste Überraschung nach diesen Eindrücken aus der Wildnis lässt nicht lange auf sich warten: Mitten auf den Kornfeldern, mal links, mal rechts von der Straße stehen nagelneue, menschenleere Reihenhäuschen wie Bauklötzchen aneinander geklebt. "Ferienhäuser", erklärt Bülent. Die EU-Euphorie von 2004 habe einen Bauboom ausgelöst. Man hoffte damals auf die Wiedervereinigung der Insel und damit auch auf das Geschäft mit den Touristen. Passiert ist nichts. "Die Griechen im Süden wollen uns nicht, und so blieben die Investoren aus England, der Türkei und Israel auf ihren leeren Bauten sitzen", erzählt Bülent. Wir fahren weiter durch die fruchtbare Ebene vorbei am Besparmak-Gebirge. Da, ein großer grüner Fleck am Nordhang des Gebirges: Es ist der erste 18-Loch-Golfplatz Nordzyperns. Im Frühjahr 2007 eröffnet, in einen Wald von Pinien und Olivenbäumen integriert, mit freiem Blick zum Meer und mehr als sechs Kilometer lang. Bülent ist stolz auf diesen Auswuchs des modernen Tourismus. Nicht weit entfernt warten die ersten Bettenburgen auf Besucher.

Was für ein schöner Kontrast dazu ist doch das kleine Hafenstädtchen Girne, liebevoll das St. Tropez Zyperns genannt. Von einer gewaltigen Festung bewacht, drängen sich am Kai Cafés, Bars, Restaurants und eine Handvoll Shops. Fischer säubern ihre Netze, reparieren Boote. Einige Ausflugsyachten werben um die wenigen Touristen. An der Bergflanke über der Stadt thront majestätisch das seit Jahrhunderten verlassene gotische Kloster von Bellapais. Überall herrscht noch eine unverfälschte Gastfreundschaft. Noch. Denn der türkische Norden hat schon begonnen, dem griechischen Süden nachzueifern.

Info Anreise: Mit dem Flugzeug über Istanbul oder Antalya, keine Direktflüge. Gültiger Reisepass genügt. Der Übergang der Grenzen zwischen Süd- und Nordzypern ist seit dem EU-Beitritt Zyperns 2004 unproblematisch.

Veranstalter: Der Nordzypern-Spezialist Lupe Reisen (Telefon 02 28 / 65 45 55, http://www.lupereisen.com) hat individuelle sowie Gruppenreisen im Programm. Außerdem bietet Studiosus Reisen (Telefon 089 / 5006 00, http://www.studiosus.com) ein Fahrt in den türkischen Teil der Insel an.

Allgemeine Auskunft: Diplomatische Vertretungen der deutschsprachigen Länder gibt es in Nordzypern nicht. Infos im Internet unter http://www.nordzypern-touristik.de.