Ihr Sohn liegt seit Monaten im Koma, aber er soll nicht sterben: Hollie Dance und Paul Battersbee führen einen verzweifelten Rechtsstreit.
Das Schicksal von Archie Battersbees beschäftigt die britischen Boulevardblätter seit Wochen. Das ganze Vereinigte Königreich kennt inzwischen den Namen des zwölfjährigen Jungen aus Southend-on-Sea, im Südosten Englands.
Seit Wochen kämpfen Archies Eltern Hollie Dance und Paul Battersbee mit immer neuen gerichtlichen Eingaben darum, dass das Royal London Hospital die lebenserhaltenden Maschinen nicht ausschaltet und ihr Sohn nicht stirbt. Bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte waren sie dabei gezogen – am Ende freilich ohne Erfolg. „Absolut ausgelaugt“ und „verbittert“ fühlte sich Hollie Dance, als nach dem High Court und dem Supreme Court, dem höchsten britischen Gericht, auch das Straßburger Gericht ihr den Beistand versagte.
Nach jedem Gerichtsentscheid gab die Klinik wieder einen neuen Termin und eine Uhrzeit für die Abschaltung der Geräte, die Archie am Leben hielten, vor. Zuletzt war 11 Uhr am Donnerstagvormittag als Stunde des Abschieds von Archie in der Klinik festgelegt worden. Aber zwei Stunden zuvor hatten die Eltern noch einmal – und wohl ein letztes Mal – einen Aufschub erzwungen. Sie beantragten beim High Court in London, dass sie ihren Sohn zumindest in ein Sterbehospiz überführen dürften. Auch das hatten ihnen Ärzte und Justiz, mit Verweis auf den prekären Zustand des Jungen, verwehrt.
Begonnen hatte das Drama im April, als Archie Battersbee bewusstlos in seinem Zimmer gefunden wurde. Seine Mutter vermutet, er habe bei einer Mutprobe im Internet mitgemacht, bei der sich Teilnehmer fast bis zur Ohnmacht selber würgen und dabei filmen. Aus der Bewusstlosigkeit wachte der Zwölfjährige nicht wieder auf.
Ärzte: Es gibt keine Chance auf Heilung
Die Ärzte im Royal London kamen zu dem Schluss, dass Archie „hirntot“ sei. Es bestehe keine Aussicht auf eine Heilung. Die Ärzte wollen die lebenserhaltenden Maschinen ausschalten. Nach und nach würden seine Organe versagen, erklärten sie. Zunächst wurde der Junge am Leben gehalten, indem er künstlich beamtet wurde. Im Juni entschied ein High-Court-Richter aber, dass diese Maßnahmen eingestellt werden sollten. Damit schloss sich das Gericht der Überzeugung der medizinischen Experten an, dass dies „im Interesse des Jungen“ liege und ihm ein schrecklicheres Ende ersparen würde. Archie künstlich am Leben zu halten, würde nur „sein Sterben verlängern“, meinten die Richter. Sie sprachen Archies Eltern ihr „echtes Mitgefühl“ aus.
Hollie Dance und Paul Battersbee weigerten sich, das zu akzeptieren. Die Klinik habe „kein Recht, unserem Kind das Leben zu nehmen“, argumentierten sie. Unterstützt von christlichen Gruppen, zogen sie von einer gerichtlichen Instanz zur nächsten. Selbst einen Rechtsausschuss der Vereinten Nationen suchten sie anzurufen. Aber ein Uno-Beschluss dieser Art, belehrte sie der Supreme Court in London, habe keine Basis im britischen Recht. Keinen Erfolg hatten sie auch mit dem Hinweis darauf, dass sich Kliniken in anderen Staaten anerboten hätten, Archie am Leben zu halten. Archies Ärzte bestanden darauf, dass jeglicher Transport des Jungen, auch schon auf kurzen Strecken, die Verschlechterung seines Zustands drastisch beschleunigen würde – „selbst in einem Intensivpflegebett und mit dem nötigen Personal“. Aus diesem Grund hatte ein Gericht bereits im vorigen Monat verkündet, dass Archie nicht aus dem Royal London gebracht werden dürfe. Für seine Eltern war es „total barbarisch und absolut abscheulich, dass wir nicht entscheiden dürfen, wo Archie sich in den letzten Augenblicken seines Lebens befindet“. Erst kürzlich veröffentlichte die Mutter ein Video, um zu beweisen, dass Archie noch atme. „Ein Junge, der meine Hand drücken kann, ist nicht hirntot“, sagte sie gegenüber britischen Medien.
Nun wollen die Eltern Archie in ein Sterbehospiz verlegen. Sie bete dafür, dass der High Court wenigstens diesmal „das Richtige tun“ werde, sagte Hollie Dance.