Die Polizei hält mit der Kamera fest, wie Böller fliegen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Fans des Karlsruher SC ziehen zum Stuttgarter Stadion. Die Polizei schreitet nach Böllerwürfen und Angriffe auf Beamte ein und lässt eine große Gruppe nicht zum Spiel – was genau ist passiert?

Stuttgart - Nils steht vor dem Bahnhof Untertürkheim und nimmt sein Smartphone. Der Fanzug aus Karlsruhe muss jeden Moment ankommen. Nils wartet auf Bekannte, mit denen er zum Stadion laufen will. Die Route über die Benzstraße ist von der Polizei festgelegt. Die zeigt auch von Anfang an Präsenz – mit Helm und Schlagstock. Zwar hatte man im Vorfeld verlauten lassen, es sollten weniger Beamte im Einsatz sein als beim letzten Derby anno 2017, gefühlt gleichen sich jedoch die Bilder. Nach dem Spiel gibt die Polizei bekannt, dass sie mit rund 700 Leuten präsent war. Vor zwei Jahren waren es rund 1000 Beamte.

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Als die Karlsruher Busse eintreffen, kommt es zu ersten Diskussionen mit der Einsatzleitung. Man habe vereinbart, die Badener dürften direkt zum Stadion fahren, um dort kontrolliert und eingelassen zu werden. Stattdessen ordnet Thomas Berger nun an, alle müssten sich gemeinsam per pedes auf den Weg machen.

Böller und Baumaterialien fliegen in Richtung der Polizei

Martin Winter, Abteilungsleiter der Fanhilfe Karlsruhe, zeigt sich irritiert: „Wir wollten extra bis zum Stadion fahren, damit alles ruhig bleibt“, stellt er kopfschüttelnd fest. „Das hat mit der Strategie, die wir abgestimmt hatten, nichts mehr zu tun.“ Als sich der Fantross in Bewegung setzt, ist es vor allem ein Pulk von Businsassen, der sich einen Spaß daraus macht, die Polizei zu überrumpeln – nicht gewalttätig, sondern schlicht, indem die Ketten von Ordnungshütern umgangen werden. Beide Seiten demonstrieren Präsenz.

Zwei Böller detonieren. Einer am unbelebten Straßenrand, einer direkt vor einer Polizeikette. Reaktionen bleiben aus. Die Karawane zieht weiter. Abgesehen vom Zünden einiger Bengalos verläuft der Weg zum Gästeeingang des Stadions unspektakulär. Umso größer ist die Verwunderung, als eine Gruppe von mehreren Hundert Karlsruhern abgetrennt wird.

Personalien werden aufgenommen

Die Polizei spricht von der „aktiven Fanszene“ und begründet die Festsetzung mit der Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen, später auch mit Angriffen auf Beamte. „Ich habe davon nichts mitbekommen“, sagt ein KSC-Anhänger, „und selbst wenn: Wozu filmen die denn alles mit, wenn sie nachher alle pauschal in Haftung nehmen?“

Die vorab durch eine Kolonne von 20 Polizeifahrzeugen unterteilte Straße und der Wasserwerfer, der den Rückweg versperrt, wirken auf manchen blau-weißen Fußballfreund, als habe man die Situation von langer Hand geplant. Die Festgesetzen dürfen nicht ins Stadion. Alle Personalien werden aufgenommen. Jeder wird einzeln abgeführt, 16-jährige Mädchen sind darunter.

„Was hat das mit Deeskalation zu tun?“

Ein Jugendlicher weint, als ihn Beamte fortgeleiten. In einer Durchsage wird mit unmittelbarem Zwang im Fall von Verweigerung gedroht. Applaus brandet auf, als einige Karlsruher das Stadion solidarisch verlassen. „Ich bin Vater von zwei Kindern und kein Krimineller“, macht ein KSC-Fan seinem Unmut Luft, „die Polizei hat uns das Derby kaputtgemacht. Was hat das mit Deeskalation zu tun?“

Die Polizei habe mit der Festsetzung der rund 500 Personen auf Tätlichkeiten reagiert, sagte Polizeisprecher Stephan Widmann: „Es flogen pyrotechnische Gegenstände, die wurden auch auf unsere Einsatzkräfte geworfen.“ Außerdem hätten die Schlachtenbummler des KSC Baustellenmaterial, das an der Straße stand, auf Polizeibeamte geworfen. Deswegen habe sich die Einsatzleitung dazu entschieden, die Gruppe zu stoppen. Sie sei leicht von den übrigen Fans zu unterscheiden gewesen, da sie an der Spitze des Fanzuges zum Stadion ging.

Die Polizei habe gefilmt und sei nicht dazwischengegangen, als die Gegenstände flogen, um eine Eskalation zu verhindern. Man werde bei der Auswertung des Videomaterials nun versuchen, die Tatverdächtigen zu identifizieren. Der Polizeisprecher betonte, dass die Einsatzleitung im Vorfeld klargemacht habe, derlei Verhalten nicht zu dulden.