Walle Sayer hat den Gerlinger Lyrikpreis 2018 erhalten. Anne Nimmesgern wurde mit dessen Förderpreis ausgezeichnet. Foto: factum/Granville

Walle Sayer und Anne Nimmesgern habe den Gerlinger Lyrikpreis erhalten. In ihrer Kunst trennt sie Welten, und doch haben sie eines gemeinsam: Sie leben für das Schreiben.

Gerlingen - Die Charakterisierung der beiden Preisträger des Gerlinger Lyrikpreisesist selbst schon fast ein Gedicht: Sie seien „Perlen am Baum der Sprachkunst“. Zur Visualisierung dieses Begriffs stellte die Stifterin Petra Schmidt-Hieber am Dienstagabend in der Stadtbücherei ein Rosenquarzbäumchen auf das Pult. Da schienen tatsächlich Perlen an den Zweigen zu wachsen. Mit der Geschmeidigkeit der Sprache arbeiten beide Geehrten: Walle Sayer erhielt den Hauptpreis, Anne Nimmesgern den Förderpreis .

Sie sind so diametral unterschiedlich, wie es kaum anders geht. Zunächst rein äußerlich – eine junge Frau und ein Mann, der auf die 60 zugeht. „Ich schreibe seit 1984“, erzählt Walle Sayer. Anne Nimmesgern ergänzt sofort: „Das ist mein Geburtsjahr.“ Beide haben sich kurz vor der Preisverleihung kennengelernt, scheinen sich sympatisch zu sein. Von seinen Werken gibt es zahlreiche Bücher, sie steht am Anfang.

Beide leben für das Schreiben

Beider Schreibstil hat nur marginale Ähnlichkeit – dennoch haben beide etwas Entscheidendes gemeinsam: Sie leben für das Schreiben. Und sie haben sich dafür so eingerichtet, dass dies trotz der materiellen Anforderungen, die das Leben stellt, irgendwie geht. Sie, Grafikdesignerin mit Abschluss, lässt sich mit ihrem Partner für honorierte Aufträge engagieren. Er bietet Schulprojekte an und arbeitet seit Jahrzehnten als elegant gekleideter Kellner in einem Gourmetrestaurant im Schwarzwald. Und beide betonen, ihre Partner und Familien trügen dies mit.

Beide leben als Freiberufler. „Da brauchst du einen langen Atem“, sagt Walle Sayer und macht ein Wortspiel: „Freiberufler – Berufsfreier. Du bist nie frei, immer abhängig, auch wenn das viel mit Freiräumen zu tun hat.“ Deshalb können beide die Dotierung des Lyrikpreises gut gebrauchen. Sayers Söhne studieren auswärts, Anne Nimmesgern hat eine dreijährige Tochter. Sie betont eines: „Man braucht nicht so viel Geld, Kinder kann man am meisten verwöhnen mit Zeit und Aufmerksamkeit.“

Sie schreibe schon seit ihrer Teenagerzeit, erzählt Anne Nimmesgern, „das waren Abenteuergeschichten, nichts Hochliterarisches“. Mit ihren Gedichten von heute wolle sie Prozesse ausdrücken. Bevorzugte Themen kann sie nicht eingrenzen; ihre Texte gäben reines Gefühl wieder, ohne Versmaß. „Ich arbeite wie ein abstrakter Maler mit Pinsel und Farbe.“ Obwohl sie mit ihren Werken wiedergeben wolle, was sie gerade bewege, sei sie keine Erzählerin – „und wenn, dann aus Versehen“. Ihre Gedichte entstehen „aus dem Zufall heraus“, auch aus dem Durchsehen vieler Notizbücher. Ihre Lyrik sei „radikal zeitgenössisch wie traditionsbewusst“, würdigte ihr Laudator Henning Ziebritzki, der auch der Jury angehörte. Diese wählte aus 116 anonymen Einsendungen die beiden Preisträger aus.

Er reiht Geschehnisse aneinander

Walle Sayer wurde von Irene Ferchl beschrieben als Lyriker, der Geschehnisse aneinanderreiht, aufzählt und sammelt – in teilweise „sehr divergenten Zeilen“. Dennoch würden Sayers Zeilen „uns mit Vertrautem entgegenkommen“. Der Autor selbst beschreibt seine Suche nach Themen so: „Ich bin auf der Suche nach poetischen Augenblicken, Gegenständen, Ausblicken. Wenn ich weiß, ich will über etwas schreiben, dann braucht es Zeit, bis es sich herauskristallisiert.“ Sayer ist ein Schreiber der kurzen Form. Er nennt es „Erzählminiatur“, wenn ein Text durchläuft und keine Lyrik sein soll. Lesungen seien „die Nagelprobe“.

Auch das Technische des Schreibens beeinflusse das Geschriebene: „Es entsteht etwas ganz Anderes, ob ich, wie meist, einen Bleistiftstummel nehme oder einen Füller.“ Letzterer gebe den Worten Fluss. Und dann benutze er immer noch seine alte mechanische Schreibmaschine. Beide, so sagen die preisgekrönten Autoren, achten für die publizierte Fassung ihrer Texte auf deren Optik. „Da kommt bei mir die Grafikerin raus“, sagt Anne Nimmesgern, „ich lege Wert auf die Darstellung der Schrift.“

Sie würde ihre Werke gerne auf großen Wänden in der Öffentlichkeit sehen, oder in der Stadtbahn. Da war Walle Sayer schon vertreten. Oder in der Wilhelma am Affengehege. Oder, über den Wolf, im Rosensteinmuseum. Beider Worte schwebten dann zwischen Büchern, wurden von den Zuhörern in freudiger und gespannter Erwartung wahrgenommen. Und goutiert.