Polizeieinsatz am Nordflügel Foto: Kern

Stuttgart 21: Zwei Polizeibeamte berichten von heiklen Einsätzen bei Demonstrationen.

Stuttgart - Am  werden wieder Zehntausende Bürger gegen Stuttgart 21 demonstrieren. Im Einsatz sind auch die beiden Polizeibeamten Sarah Schmaderer und Michael Rahm. Im Interview sprechen sie über die besonderen Herausforderungen bei den S-21-Protesten.

Frau Schmaderer, Herr Rahm, was erwarten Sie am heutigen Samstag?

Rahm: Mein Dienst beginnt am Samstag um 12 Uhr auf dem Revier; um 13 Uhr bin ich im Rahmen der Alarmhundertschaft in der Innenstadt.

Wie lange dauert Ihr Einsatz?

Rahm: Das weiß ich vorher nicht. Diese Unsicherheit haben wir bei vielen Einsätzen im Zusammenhang mit Stuttgart 21, diesen Stress bringt der Beruf eben mit sich. Sicher weiß ich nur, dass ich am Sonntag wieder Spätdienst auf dem Revier habe, der geht von 12 bis 20 Uhr.

Was erwarten Sie?

Rahm: Ich nehme an, dass die offizielle S-21-Demo für uns ein eher ruhiger Einsatz wird. Mehr Sorgen macht mir die anschließende Demo der sogenannten Aktion Bildungsstreik. Auch mit linken Gruppen, vor allem jungen Menschen, muss man rechnen. Für uns heißt das: mehr Dynamik, mehr Unberechenbarkeit.

Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an den S-21-Einsätzen?

Schmaderer: Viele Bürger wollen mit uns Diskussionen anfangen über das Projekt ...

Rahm: ... und verwechseln die Polizei mit den Bauherren ...

Schmaderer: ... und machen uns damit gegen unseren Willen zur Konfliktpartei. Das sind wir aber definitiv nicht.

Rahm: Solche Diskussionen fangen häufig so an: Kommen Sie überhaupt aus Stuttgart? Wissen Sie überhaupt, worum es geht? Und falls Sie es wissen: Wie können Sie dann hier stehen? Als würde mein Geburts- oder Wohnort über die Qualität meiner polizeilichen Arbeit entscheiden ...

Fallen böse Worte?

Schmaderer: Manchmal schon.

Rahm: Ja. Es gibt böse Worte. Und wenn mir ein Demonstrant aus nächster Nähe mit der Trillerpfeife ins Ohr bläst, ist es Körperverletzung. Mich irritiert auch das Misstrauen: Ich erinnere mich, wie ich einmal nachts im Schlossgarten auf Streife war und mit einer Gruppe S-21-Gegner ins Gespräch gekommen bin. Die Unterhaltung ist okay, da blinkt unvermittelt mein Funkgerät, weil es eine Nachricht empfängt. Da sagt mein Gegenüber: Warum fotografieren Sie mich? Ich antworte: Ich fotografiere Sie nicht, das ist mein Funk. Er sagt: Das glaube ich Ihnen nicht. Sie fotografieren mich doch. Dieser Disput dauerte bestimmt 20 Minuten.

Fußballfans gehorchen, Stuttgart-21-Gegner diskutieren

Ist es nicht Teil Ihres Jobs, solche Situationen professionell auszuhalten?

Schmaderer: Natürlich höre ich zu, wenn mich ein Bürger anspricht. Ein Gespräch kann ja dazu beitragen, die Situation besser zu verstehen oder ein Problem zu lösen. So lernen wir das auch in der Ausbildung. Aber zu meinen Aufgaben gehört nicht, mitten im Einsatz fruchtlose Debatten über Bahnhöfe, die Politik oder die Demokratie als solche zu führen. Das lenkt mich von meinen Aufgaben ab und erscheint mir wenig sinnvoll.

Rahm: Im Sommer 2010, als die Proteste beim Abriss des Nordflügels losgingen, waren teilweise noch offene, gute Gespräche möglich. Das hat sich leider geändert. Inzwischen ist sehr vieles auf Konfrontation ausgelegt. Es geht anscheinend nur darum, dass wir von der Polizei der Buhmann sind.

Schmaderer: Das erlebe ich auch so. Wenn ich einem Fußballfan vor einem VfB-Spiel sage, dass er an einer bestimmten Stelle nicht über die Straße gehen kann, dann akzeptiert es der Fan in der Regel. Der will ja zum Fußball, sonst nichts. Wenn ich dagegen einem S-21-Demonstranten sage, dass er nicht weitergehen kann, weil hier die Bannmeile um den Landtag beginnt, fängt er mit mir eine Debatte über die angebliche Willkür der Behörden an. Ist das normal?

Rahm: Ich finde es schade und bedenklich, dass viele Demonstranten aus den Augen verlieren, dass es Gesetze gibt, die ihnen die Versammlungsfreiheit garantieren und dass die Polizei mit dafür sorgt, dass öffentliche Versammlungen stattfinden können.

Welche Rolle im öffentlichen Ansehen spielt Ihrer Meinung nach der 30. September 2010? Als Wasserwerfer im Schlossgarten eingesetzt wurden und 130 Personen verletzt wurden, einige von ihnen auch sehr schwer?

Rahm: Auch wenn der Einsatz lange her ist und einmalig war - die Menschen sprechen uns immer noch darauf an. Ich hatte an dem Tag Spätdienst, kam also erst abends in den Park. Eine derart aggressive Stimmung gegen die Polizei habe ich zuvor nicht erlebt: Da stand zum Beispiel ein Mann, der hat einen Meter vor mir auf den Boden gepinkelt. Andere haben aus dem Schutz der Dunkelheit mit Flaschen nach uns geworfen.

Schmaderer: Ich war erst am 2. Oktober wieder im Park im Einsatz. Da wurde ich als "Kinderschlägerin" beschimpft; es hieß, ich müsse mich schämen.

Haben Sie die Bilder von den Verletzten berührt?

Rahm: Ja. Ich bin erschrocken. Kein Polizist will, dass jemand in seinem Bereich verletzt wird. Der Polizeieinsatz selbst wird noch von der Staatsanwaltschaft untersucht. Dazu kann ich mich nicht äußern.

Schmaderer: Ich hatte am 30.September Dienst auf dem Volksfest. Ich habe am Funk mitbekommen, dass viele Demonstranten, aber auch Kollegen verletzt wurden. Das hat mich bewegt.

Was halten Sie von der politischen Aufarbeitung der Ereignisse im Untersuchungsausschuss des Landtags?

Rahm: Ich persönlich finde das unnötig. Die Staatsanwaltschaft kann das besser.

Schmaderer: Ich habe die Hoffnung, dass der Ausschuss dem Bürger signalisiert, dass alles aufgeklärt und nichts vertuscht wird. Das könnte auch der Polizei helfen.

Was halten Sie persönlich von Stuttgart 21?

Schmaderer: Ich habe mich in der S-21-Ausstellung im Rathaus informiert. Ich glaube, ich sehe das Projekt eher positiv. Trotzdem möchte ich als Polizistin in dem öffentlichen Konflikt keine Partei ergreifen.

Rahm: Ich habe die S-21-Ausstellung im Bahnhofsturm besucht. Die hohen Kosten des Projekts sehe ich eher kritisch.

Ein Wunsch für den heutigen Einsatz?

Rahm: Ich wünsche mir, dass diejenigen Demonstranten, die friedlich demonstrieren wollen, sich von denjenigen distanzieren, die Ärger und Krawall wollen.

Schmaderer: Ich wünsche mir, dass die Demonstranten gegen Stuttgart 21 protestieren - und nicht gegen die Polizei.

Die Demonstration der Stuttgart-21-Gegner beginnt um 14 Uhr am Hauptbahnhof und endet dort um 17.30 Uhr. Erwartet werden über 25.000 Teilnehmer. Der Bildungsstreik beginnt um 16 Uhr in der Lautenschlagerstraße. Protestiert wird unter anderem gegen Studiengebühren. Ende ist um 19 Uhr auf dem Marktplatz. Erwartet werden 1000 Teilnehmer. Bei beiden Demos gibt es Umzüge durch die City.