Protestplakat an der Haußmannstraße Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Um Leerstand zu beseitigen, wollte die Stadt Immobilieneigentümer dazu bewegen, Büros in Wohnungen umzuwandeln. Das Zweckentfremdungsverbot wurde eingeführt. Seit Oktober 2016 versuchen zwei Frauen vom Baurechtsamt, der Zweckentfremdung auf die Spur zu kommen.

Stuttgart - Seit Herbst 2016 kann es passieren, dass eine Wohnung oder ein Haus in Stuttgart, das so wirkt, als stünde es leer, genauer unter die Lupe genommen wird. Eine Frau wird dann dort erscheinen, an der Türe klingeln, schauen, ob die Jalousien zugezogen sind, der Garten verwildert ist oder das Eigentum verwahrlost wirkt. Die Dame kommt vom Baurechtsamt. Sie ist eine von zwei Frauen, die seit Oktober 2016 die neuen Planstellen besetzen, die eigens geschaffen wurden, um das Zweckentfremdungsverbot auch praktisch durchsetzen zu können.

Sollten die Frauen bei einer Immobilie feststellen, dass sie leer steht, nähmen sie Kontakt zum Besitzer auf und versuchten, beratend auf ihn einzuwirken, sagt Sven Matis, Sprecher der Stadt Stuttgart. Sollten diese Versuche ohne Erfolg bleiben und das Objekt vom Zeitpunkt der Erstbesichtigung an sechs Monate leer stehen, sei ein Bußgeld von bis zu 50 000 Euro möglich.

Bürger sollen Leerstand melden

Doch wie werden die Frauen auf leer stehende Immobilien aufmerksam? „Wir haben eine Mailadresse eingerichtet, über die Bürger Objekte melden können, oder sie rufen an“, sagt Matis. Um Ferienwohnungen zu finden, durchforsten die Damen Online-Portale nach entsprechenden Anzeigen. Darüber hinaus bearbeiten sie Anträge auf Gebäudeabbruch, stellen also sicher, dass Ersatzwohnraum geschaffen wird.

Wie viele Leerstände und Ferienwohnungen im vergangenen Jahr aufgedeckt und werden konnten, könne er indes nicht sagen – zumindest noch nicht, so Matis: „Die Jahresbilanz muss im Frühjahr erst offiziell im Gemeinderat verkündet werden.“

Doch auch nach gut einem Jahr, in dem das Zweckentfremdungsverbot nun greift, reißt die Kritik daran nicht ab. Ulrich Wecker, Geschäftsführer von Haus und Grund Stuttgart, wirft der Stadt vor, „zwei Schnüffler“ eingestellt zu haben. „Das ist nicht das Bild, das ich von unserer Stadtgesellschaft habe“, sagt er. Wecker wehrt sich gegen den Generalvorwurf, dass „Eigentümer haufenweise Immobilien bewusst leer stehen lassen“. Das seien Einzelfälle – schließlich sei ein Eigentümer auch unternehmerisch tätig und an Einnahmen interessiert. Die Stadt hingegen geht laut Matis von 3000 Wohnungen in Stuttgart aus, die mehr als sechs Monate leer stehen.

„Kuhn hat uns für seine Kampagne missbraucht“

Wecker unterstellt Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zudem, das Zweckentfremdungsverbot ohne tatsächliche Not und vor allem ohne eine statistisch verifizierte Grundlage forciert zu haben. Der Hintergrund: Anfang 2015 – vor der Einführung des Zweckentfremdungsverbots – hatte die Landeshauptstadt mit einer Flyerkampagne sowie einer Plakataktion auf das Thema Leerstand aufmerksam gemacht. Auch Haus und Grund war bei dieser Aktion mit im Boot – der Verein sollte und wollte in beratender Funktion für Eigentümer tätig sein.

Bei der Aktion sollten etwa städtische Mitarbeiter als Mieter in bisher leer stehende Objekte vermittelt werden. Die Umwandlung von Gewerbe- zu Wohnraum wurde als eine Lösung angepriesen. Hierbei sollte das Baurechtsamt beratend tätig werden.

„Unsere Beratung haben damals etwa 40 Eigentümer wahrgenommen“, sagt Wecker, „die Aktion war ein Erfolg.“ Zwar wisse er nicht, wie viele Eigentümer die Tipps dann auch umgesetzt hätten. „Aber das weiß der Herr Kuhn auch nicht“, sagt Wecker. Dennoch sei die Stadt im Sommer 2015 ohne Vorwarnung und ohne Absprache mit den Akteuren aus dem Bündnis ausgestiegen. „Der Oberbürgermeister sagte damals, man habe nun alles probiert, aber nichts habe geholfen, deshalb müsse nun das Zweckentfremdungsverbot her“, sagt Wecker. „Kuhn hat uns für seine Kampagne missbraucht – und diese war zudem ein reiner Vorwand.“

Großes Interesse an Umwandlung von Gewerbe- zu Wohnraum

Das sieht die Stadt anders. Der Auswertung der Kampagne durch das Amt für Liegenschaften und Wohnen zufolge habe sich gezeigt, dass diese zwar eine Sensibilisierung für das Thema bewirkt habe, jedoch den dauerhaften, strukturellen Leerstand von Wohnimmobilien nicht beheben konnte. Der Stadt seien mehr als 50 Wohnungen für die städtische Wohnungsbörse angeboten worden. Daraus hätten sich 15 Vermietungen ergeben, allerdings sei „davon auszugehen, dass die Wohnungen nicht einem längerfristigen Leerstand zuzuordnen sind, sondern durch einen Mieterwechsel frei waren“. Das größte Interesse hat der Auswertung zufolge an der Umwandlung von Gewerbe- zu Wohnraum bestanden. Das Baurechtsamt registrierte etwa 20 Anrufe pro Woche. Doch seien „die Voraussetzungen für eine Umwandlung schwierig“: So machten gesetzliche Vorgaben und Baunutzungsverordnungen „eine aufwendige Einzelfallprüfung erforderlich, die aufgrund der engen gesetzlichen Spielräume kaum positive Ergebnisse bringen“. Die Stadt kam zu dem Schluss, dass „die Materie Laien nur schwer vermittelbar ist.“ Das Baurechtsamt schlug vor, sich bei künftigen Vorhaben dieser Art an die Planer als Zielgruppe zu wenden.