Das Gebäude Tübinger Straße 68 (mit Gerüst) steht seit rund 20 Jahren leer Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Volksseele ist in Wallung. Das von der Rathausspitze angestrebte Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum treibt die Stuttgarter um. Die Stadtverwaltung beteuert deswegen, dass keine Kontrolleure unangemeldet an Haustüren klingeln werden.

Stuttgart - Nach der Ankündigung, dass sie ein Zweckentfremdungsverbot einführen wollen, sind OB Fritz Kuhn (Grüne) und Erster Bürgermeister Michael Föll (CDU) ins Kreuzfeuer von Kritik und Beifall geraten. Drei Tage nach ihrer Ansage hagelte es am Montag dazu Meinungsäußerungen.

Der Mieterverein Stuttgart lobte, dass Kuhn mit einjähriger Verzögerung Einsicht zeige und endlich ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum anstrebe. Hätte er gleich gehandelt, wären in dem Jahr vielleicht einige Leerstände zu vermeiden gewesen, sagte Mietervereinschef Rolf Gaßmann unserer Zeitung. Man wolle aber nicht nachtragend sein, sondern sich jetzt über die Wende der Verwaltung freuen, fügte der SPD-Kandidat für die Landtagswahl hinzu.

Klaren Widerspruch meldete er gegen die Einschätzung von Kuhn an, dass effektiv nur 1000 bis 3100 Wohnungen leer stünden, obwohl beim Zensus vor vier Jahren 11.291 leere Wohnungen ermittelt worden waren. Nach Gaßmanns Rechnung standen damals mindestens 6000 Wohnungen aus Gründen von Spekulation oder Wohlstand der Eigentümer leer. Zudem seien Wohnungen als vermietet eingestuft worden, die zu Ferienwohnungen zweckentfremdet worden seien.

Gerade die geschäftsträchtige Umwandlung von Wohnungen in eine Art von Hotelzimmer nehme, unter anderem wegen aggressiver Internet-Werbeportale wie Airbnb, erschreckend zu. Als Fluktuationsreserve, die einen Wechsel in den Wohnungen zulasse, reiche ein Leerstand von höchstens zwei Prozent aus, widersprach er der Verwaltung auch in einem anderen Punkt. Die Nachfrage sei so enorm, dass den Vermietern jede Wohnung aus den Händen gerissen werde. Sie könnten sogar rückwirkend vermieten.

Mieterverein fordert Personal für Umsetzung

Damit das angestrebte Zweckentfremdungsverbot auch tatsächlich positive Folgen habe, müsse Kuhn ausreichend Personal für die Umsetzung vorsehen, forderte Gaßmann. Die Verwaltungsspitze sieht dafür bisher zwei Stellen im Baurechtsamt vor.

Die Ratsfraktionen wie CDU und FDP, die ein Verbot ablehnen, nahm Gaßmann auch in die Mangel. Ihre Stadträte hätten für die Probleme der Wohnungssuchenden in der Großstadt offenbar keinerlei Verständnis. Sie würden sich lieber schützend vor „wenige unsoziale Hausbesitzer“ stellen.

Dass sie das völlig anders sieht, unterstrich am Montag die Fraktion der Freien Wähler. In einer Pressemitteilung forderte sie eine Entschärfung des Mietrechts, damit Mietverhältnisse „unkompliziert beendet werden können“, wenn Mieter Schäden verursachten. Wegen schlechter Erfahrungen hätten sich Hauseigentümer vor Vermietungen gescheut. Gerade hier im Land der Häuslebauer sei Hauseigentum heilig, meinte Jürgen Zeeb. Man lehne „die vom OB anvisierte Leerstandsschnüffelei“ ab.

Verwaltung plant keine Schnüffelei

So eine Schnüffelei soll es aber zumindest von der Verwaltung aus nicht geben. „Die städtischen Mitarbeiter werden nicht unangemeldet klingeln und in Wohnungen gehen“, sagte Sven Matis, Sprecher der Stadt, „es wird keinen unrechtmäßigen Eingriff in Eigentumsrechte geben.“ Die Mitarbeiter würden aber Internetportale wie Leerstandsmelder.de oder Airbnb beobachten und Wohnungseigentümer um Stellungnahmen bitten.

Dass sich die Verwaltungsspitze zur Einführung eines Zweckentfremdungsverbots entschlossen habe, liege an der weiteren Verschärfung des Wohnungsmarkts durch in großer Zahl hinzukommende Flüchtlinge. Man wolle aber auch der Entwicklung entgegenwirken, dass immer mehr Wohnungen in Ferienwohnungen für Stadtbesucher umgewandelt würden, sagte Matis. Eigentümer, die trotz Satzung ihre Wohnung oder ihr Haus ohne triftigen Grund länger als sechs Monate leer stehen lassen, müssen künftig mit einem Bußgeld von 50.000 Euro rechnen.

Rückwirkend könnten Bußgelder gar nicht verhängt werden. Wer den Leerstand beende und die Wohnung vermiete, entgehe einem Bußgeld. Außerdem prüfen die neuen städtischen Mitarbeiter, ob eine Zweckentfremdung zulässig ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn in den Räumen ein Kindergarten vorgesehen ist. Auch wenn ein Neubau geplant und zulässig ist und dadurch zusätzliche Wohnungen entstehen, kann die Verwaltung ein Auge zudrücken.

Matis bestätigte, dass nicht nur im Internet und in sozialen Netzwerken die Volksseele brodelt, sondern auch zahlreiche Nachfragen bei der Verwaltung eingingen. Die Rathausspitze will den Gemeinderat aber noch im Herbst abstimmen lassen.