Die Reinsburgstraße 167: Wird hier Wohnraum zweckentfremdet? Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Makler Erich H. übt heftige Kritik am Stuttgarter OB. Mit seiner Wohnungspolitik sei Fritz Kuhn ein „Garant für Mietpreissteigerungen und hohe Mieten“. Doch als Immobilieneigentümer ist der Makler nun selbst in den Fokus des Baurechtsamts geraten. Das liegt an der Auswahl seines Mieters.

Stuttgart - Die Nachbarn wunderten sich nicht schlecht. Plötzlich wurden zum Gebäude Reinsburgstraße 167 in Stuttgart-West acht stattliche Betten angeliefert, nachdem zwei Wohnungen dort monatelang leer gestanden seien. Was ist da los?, fragten sie sich. Beim Blick ins Internet fanden die Nachbarn einen Teil der Antwort auf ihre Fragen. Dort bietet die Firma homefully acht Zimmer in dem denkmalgeschützten Gebäude an. Vier befinden sich in einer 120 Quadratmeter großen Wohnung und sollen pro Monat zwischen 890 und 950 Euro kosten, insgesamt 3710 Euro. Die vier anderen Zimmer liegen in einer 112 Quadratmeter großen Wohnung und werden zu Preisen von 850 bis 930 Euro angeboten, zusammen für 3570 Euro.

Die Stadtverwaltung wurde eingeschaltet und prüft

Um den Fall kümmert sich nun das Baurechtsamt, das bei der Stadt für das Vorgehen gegen illegale Zweckentfremdung zuständig ist. Vize-Amtsleiter Rainer Grund sagt – wegen des Datenschutzes – aber nur so viel: „Wir haben nach einem Hinweis ein Prüfverfahren eingeleitet.“ Da dürfte es darum gehen, ob es sich hier um eine gewerbliche Vermietung handelt. Ob gegebenenfalls eine Zweckentfremdung von Wohnraum vorliegt, wie er von Familien dringend gesucht wird. Ob da womöglich Mietwucher stattfindet. Noch ist der Ausgang der Prüfung völlig offen. Der Eigentümer verteidigt den Vorgang und ist sich sicher, dass da alles korrekt abläuft.

Der Eigentümer ist Erich H., ein Immobilienmakler. Nicht irgendeiner. Knapp 20 Jahre lang war er einmal Vizepräsident und Bundespressesprecher des Verbandes Deutscher Makler (VDM), der sich im Jahr 2004 mit dem Ring Deutscher Makler (RDM) zum Immobilienverband Deutschland (IVD) zusammentat. Dort ist H. heute sogenannter Marktberichterstatter, der die Trends auf dem örtlichen Markt aufzeigt und in die Meinungsbildung einspeist. Und der IVD Süd, der Bayern und Baden-Württemberg abdeckt, hat ihn zum Ehrenmitglied gemacht. Kurzum: Dieser Immobilienmakler ist ein honoriger Vertreter seiner Zunft. Er wählt auch gern mal deutliche Worte, zum Beispiel jüngst in einer Video-Pressekonferenz über die Immobilienpreisentwicklung 2019 in Baden-Württemberg. Dabei nahm H. wegen der Wohnungspolitik OB Fritz Kuhn (Grüne) ins Visier, der nur in Ausnahmefällen auf der grünen Wiese bauen lassen möchte und von der Immobilienbranche für das knappe Wohnungsangebot verantwortlich gemacht wird. Bei der Pressekonferenz sagte H. unter anderem, Kuhn sei wegen seiner Wohnungsbaupolitik „ein Garant für Preissteigerungen und für hohe Mieten“.

Mieteinnahmen von bis zu 7280 Euro pro Monat

Aber wie verhält sich der Immobilieneigentümer Erich H. selbst? Würden seine Wohnungen konventionell vermietet werden, müssten zwei Mietparteien zusammen wohl um die 3000 Euro bezahlen, wenn man einmal 13 Euro Miete pro Quadratmeter rechnet. So, wie homefully die Zimmer nun vermarktet, könnten 7280 Euro erlöst werden, wovon allerdings Zusatzkosten finanziert werden müssen. Bei den Mietpreisen sind nämlich Zusatzleistungen inklusive: wöchentliche Reinigung, WLAN, Ausstattung mit Bett – Format „Queen Size“ – und Schreibtisch und Stuhl, Smart-Fernsehgerät auf dem Zimmer, gemeinsame Küche, diverse gemeinsame Haushaltsgeräte, Verwaltung und Sauna. So sieht es aus, wenn der neue Trend des „Co-Living“ sich Bahn bricht. Wenn Agenturen Zimmer in Wohngemeinschaften für gutverdienende Arbeitsnomaden mit All-inclusive-Leistungen auf den Markt bringen.

Auch das Frankfurter Unternehmen homefully gehört zu diesen neuen Dienstleistern. Und denen schlägt teilweise scharfe Kritik entgegen. „Co-Living ist das Vokabular, mit dem Mietpreiswucher kaschiert wird“, ist Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, im „Handelsblatt“ zitiert worden. Und die Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher klagte, Co-Living verteuere das Wohnen ganz erheblich, von den Anbietern würden die rechtlichen Möglichkeiten aber leider exorbitant ausgereizt.

Mieterverein vermutet Gesetzesverstoß

Rolf Gaßmann, Vorsitzender des Mietervereins Stuttgart, ist auch alarmiert. Immer mehr Wohnungen in Stuttgart würden dem normalen Wohnungsmarkt entzogen, weil man mit Ferienwohnungen, Monteurswohnungen oder überhaupt mit Kurzzeitmieträumen das Zwei- bis Dreifache einnehmen könne. Aber auch für möblierte Räume dürfe man nicht nehmen, was man wolle. Der Mietspiegel werde dadurch nicht außer Kraft gesetzt, gegebenenfalls sei nur ein bestimmter Zuschlag statthaft. Gaßmann erkennt bei homefully eine Gewinnerzielungsabsicht und damit ein gewerbliches Geschäftsmodell: Anmietung relativ einfacher Wohnungen, Renovierung und Einfachmöblierung für Businessmenschen, um so „extrem hohe Preise“ zu erzielen. Das falle unter das Zweckentfremdungsverbot. Dagegen pochte die Firma homefully bisher immer darauf, der Mietspiegel sei für möblierte Wohnungen nicht relevant.

Unserer Zeitung erklärte homefully-Chef Bastian Schätzle, der am Standort Stuttgart 103 Räume für bis zu 960 Euro pro Raum vermieten lässt, man habe die Wohnungen langfristig angemietet und schließe bei der Weitervermietung Verträge „jeweils unbefristet für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten“. Anders als der Vermittler Airbnb vermiete man nicht tages- oder wochenweise. Schätzle: „Eine Zweckentfremdung von Wohnraum findet in keiner Art oder Weise statt.“ Man wolle echten Wohnraum schaffen für Menschen, die wirklich in der Stadt wohnen „und nicht nur auf Durchreise sind“.

Erich H. versichert auch, Zweckentfremdung liege nicht vor. Von Kurzzeitvermietung könne man nicht reden. Er habe die Wohnungen zu üblichen Konditionen an die Agentur vermietet. Letztlich gehe es hier auch nur um Wohngemeinschaften – wie fast immer, wenn in Stuttgart größere Wohnungen vermietet würden. Hier handle es sich eben um wichtige Mitarbeiter von Unternehmen, die ein oder zwei Jahre in der Region seien.