Grenzkontrollen in Bayern: Direkte Zurückweisungen von hier aufgegriffenen Flüchtlingen nach Österreich sind nach Ansicht des Kanzleramts nicht möglich – nach Ansicht des Innenministeriums schon. Foto: dpa

Da Zurückweisungen laut Europarecht nur in Nicht-EU-Staaten möglich sind, setzt die Kanzlerin auf zusätzliche Abkommen. Mit denen ist durchaus einiges möglich.

Berlin - Angela Merkel lässt sich nichts anmerken vom Krach, der akut ihre Kanzlerschaft bedroht. Stattdessen lässt sie scheinbar ungerührt einen Plan ins Werk setzen, den zumindest der CDU-Teil der Unionsbundestagsfraktion unterstützt. Es geht um eine Alternative zu den Zurückweisungen an der Grenze, wie sie Innenminister Horst Seehofer (CSU) in seinem „Masterplan“ vorschweben. Das politische Ziel ist der Kanzlerin zufolge dasselbe. „Was passiert mit Menschen, die bereits in einem anderen europäischen Land einen Asylantrag gestellt haben und sozusagen an der deutschen Grenze ankommen?“, lautete ihre Frage bei ihrer jüngsten Pressekonferenz, die sie selbst beantwortete: „Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass dieser Asylantrag auch in dem Erstantragsland bearbeitet werden sollte.“ Es gehe im Streit mit Seehofer darum, „ob die Zurückweisung das richtige Mittel ist – das halte ich nicht für das richtige Mittel, weil das eine unilaterale Maßnahme ist“. Einseitig, ohne Rücksicht auf andere also.

Merkels Gegenmodell lautete ursprünglich, beim EU-Gipfel Ende Juni mit den anderen Staats- und Regierungschefs ein neues EU-Asylsystem aus der Taufe zu heben. Dass alle sieben Rechtsakte, aus denen es bestehen soll, bis dahin einigungsfähig sind, glaubt auch sie nicht mehr. Die Visegradstaaten – ein halboffizielles Bündnis der Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn – sperren sich weiter grundsätzlich gegen neue Regeln zur Verteilung von Asylbewerbern, was Teil der sogenannten Dublin-IV-Verordnung sein soll.

Bilaterale Vereinbarungen schließen

Nun konzentriert sich das Kanzleramt auf Artikel 36 der aktuell gültigen dritten Dublin-Verordnung. Ausdrücklich hält er fest, dass die EU-Staaten „untereinander bilaterale Verwaltungsvereinbarungen bezüglich der praktischen Modalitäten“ abschließen können. Entscheidend in Bezug auf Seehofers Zurückweisungen ist die vorgesehene Möglichkeit, „die Vereinfachung der Verfahren und die Verkürzung der Fristen für die Übermittlung und Prüfung“ zu vereinbaren.

Bislang ist es nämlich so, dass direkte Zurückweisungen nur ins Nicht-EU-Ausland möglich sind, wie das etwa zwischen Griechenland und der Türkei geschieht oder zwischen Ungarn und Serbien.

Verhandlungen mit anderen EU-Ländern nötig

Wenn ankommende Flüchtlinge bereits in einem anderen EU-Land registriert oder als Asylbewerber geführt werden, dürfen sie zwar dorthin zurückgebracht werden – aber erst nach einer Zuständigkeitsprüfung auf beiden Seiten. Die Abkommen sollen nun deren Dauer so radikal verkürzen, dass es quasi zu Zurückweisungen im Sinne Seehofers kommen könnte. Frankreich, das mit Italien bereits einen entsprechenden Pakt abgeschlossen hat, wies auf dieser Basis zuletzt 50 000 Migranten an der Grenze zurück. Können solche Abkommen mit den hauptbetroffenen Migrationsländern der EU tatsächlich schon beim Gipfel in knapp zwei Wochen vereinbart werden, wie es die Kanzlerin ihrer Partei in Aussicht gestellt hat? Ein Bündel bilateraler Abmachungen dürfte tatsächlich kaum zu stemmen sein, als Ausweg unter Zeitdruck sieht Merkels Mannschaft offenbar ein Abkommen, dem sich möglichst viele EU-Staaten entlang der Flüchtlingsrouten anschließen.

Zentrale Herausforderung dürfte dabei sein, Ländern wie Österreich, Italien oder Griechenland die schnelle, fast ungeprüfte Rücknahme „ihrer“ Asylbewerber schmackhaft zu machen. Die Dublin-Verordnung nennt dafür etwa die Entsendung von Verbindungsbeamten zur Entlastung des Rücknahmelandes. Finanziell unterstützt werden könnten auch Maßnahmen, die bereits überstellte Asylbewerber vom erneuten Erscheinen an der Grenze abhalten.