Urlaub in Deutschland? Bisher kann die Tourismusbranche nicht darauf bauen. Foto: dpa/Sina Schuldt

Busunternehmer und Reiseagenturen kämpfen ums Überleben. Sie fühlen sich von der Krise besonders hart getroffen – zugleich aber vom Staat im Stich gelassen. An diesem Mittwoch gehen sie auf die Straße.

Ludwigsburg - Die Reisebüros gehören zu den ganz großen Verlierern in der Corona-Krise – aber die Öffentlichkeit nehme das kaum wahr. Darum wollen sie an diesem Mittwoch demonstrieren. Um 11.30 Uhr wollen sich die Inhaber bedrohter Agenturen aus dem Großraum auf dem Stuttgarter Marktplatz treffen und auf ihre Misere aufmerksam machen. „Wir werden totgeschwiegen“, sagt Beate Mannsperger, Reisekauffrau aus Ludwigsburg, „darum protestieren wir.“

„Wir sind die einzige Branche, die eine volle Rückzahlung leisten muss“, sagt Mannsperger, die als Eigentümerin das TUI-Reisecenter in der Ludwigsburger Kirchstraße leitet. „Auch die Gastronomen leide“, sagt sie, „aber die müssen nicht die Speisen zurückzahlen, die sie nicht ausgegeben haben.“ Genau das aber sei momentan das Los der Reisebüros.

Ein großer Knall Ende Oktober?

„Wir haben zu 95 Prozent nur Stornos“, sagt auch Jennifer Jeromin, die im Bietigheimer Reisebüro am Eck arbeitet. „Wir kämpfen den ganzen Tag mit Stornierungen, nur ganz wenige buchen um.“ Die Unsicherheit sei groß, erklärt sie. Seit die Reisewarnung auf den 14. Juni ausgedehnt worden sei, gebe es noch mehr Arbeit, sagt Mannsperger. Das besonders Prekäre daran: Diese Arbeit bringt kein Geld in die Kasse. Im Gegenteil: Es geht darum, bereits angezahltes Geld zurückzuüberweisen.

„Ein großer Aufwand“, sagt Mannsperger, die ihr Reisebüro seit 28 Jahren betreibt: „Ich arbeite zurzeit praktisch umsonst und ich kann die Kurzarbeit nicht auf null fahren.“ Denn, was da an Mails, Telefonaten und Transaktionen anfalle, könne sie allein nicht leisten. „Die Reiseveranstalter zahlen uns dafür nichts und verlangen teilweise ihre Provision zurück“, sagt auch Jennifer Jeromin. „Es geht für viele Reisebüros um die Existenz.“ In ihrem Fall ginge es um weit mehr als 100 000 Euro, sagt Mannsperger. „Das heißt, ich muss Kredite aufnehmen und irgendwann an meine Altersvorsorge gehen.“ Schon jetzt habe die Krise die ersten Reisebüros in die Insolvenz getrieben. Den großen Knall werde es am 31. Oktober geben, glaubt Mannsperger. Bis dahin nämlich müssen alle Vorauszahlungen und Prämien zurückgezahlt sein.

Destination: ungewiss

Zum Glück gebe es treue Kunden, die sich im Moment mit einem Gutschein für die bereits gezahlten Reisen begnügten oder diese auf 2021 umbuchten. Aber sie könne niemandem verdenken, dass er sein Geld erstattet haben will, sagt Beate Mannsperger.“ Schließlich sei augenblicklich völlig unklar, wie es weitergeht.

Obwohl Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Lockerungen planen und auch Touristen die Einreise wieder gestatten wollen – auch das Geschäft mit Deutschlandreisen stockt. „Die Menschen wissen noch nicht, mit welchen Einschränkungen zu rechnen ist“, sagt Jennifer Jeromin. „Wir hoffen auf den Sommer und dass wenigsten für Deutschland und Österreich eine Regelung gefunden wird.“ Wichtig seien klare Ansagen vom Auswärtigen Amt. „Damit wir beispielsweise wissen: Wir müssen uns nun auf die Herbstferien konzentrieren.“

200 Kollegen haben sich angemeldet

Während der Staat Reiseveranstalter und andere große Firmen auch fördere und mit Staatsgeld unterstütze, erhielten die kleinen Agenturen nichts. „Deshalb gehen wir auf die Straße“, sagt Jeromin. „Es muss auch einen Rettungsschirm für die Reisebüros geben.“ Die Mitarbeiter des Bietigheimer Büros wollen ebenso wie die vom Ludwigsburger TUI-Reisecenter an diesem Mittwoch demonstrieren. Insgesamt hätten sich etwa 200 weitere Reiseverkehrskaufleute zu der Protestaktion auf dem Stuttgarter Marktplatz angemeldet, sagt Mannsperger. Auch in anderen Städten gehen Kollegen auf die Straße.

Auch der private Omnibusverkehr hat zu kämpfen. So gelte etwa für das Busunternehmen Spillmann in Bietigheim-Bissingen seit dem 16. März ein Berufsverbot, sagt der Geschäftsführer Bülent Menekse. Das Unternehmen sei komplett still gelegt, Betroffen sind 20 Mitarbeiter, die normalerweise etwa 800 Reisen für rund 22 000 Kunden pro Jahr organisieren.

„Die Vorausbuchungen für die Reisesaison 2020 waren so gut wie noch nie und alles deutete auf ein Rekordjahr hin“, sagt der Geschäftsführer. Viele der Reisen für Sommer 2020 seien bereits im Februar 2020 nahezu ausgebucht gewesen.

Die Saison konnte gar nicht beginnen

Seit Beginn der Corona-Krise jedoch stehen alle Fahrzeuge abgemeldet auf dem Betriebshof. „Das bedeutet einen Umsatzrückgang von 100 Prozent.“ Alle Reisen bis Mitte Juni sind abgesagt, sämtliche Italien- und Frankreich-Reisen sogar bis in den Herbst. Die Busbranche beginnt die Saison üblicherweise im März. Reserven für das aktuelle Geschäftsjahr konnten dieses Jahr also noch nicht aufgebaut werden. „Das trifft uns hart“, sagt Menekse.

Ein großes Problem in der Touristikbranche sei, dass für die gebuchten Gruppen hohe Anzahlungsbeträge an die Hotels und sonstigen Leistungsträger im In- und Ausland überwiesen wurden. Das Geld fließe zwar zurück, aber mit angezogener Handbremse. Laut Gesetz sind Hotels, Agenturen und Fluggesellschaften verpflichtet, die Beträge zurückzuzahlen. „Allerdings haben einige Länder das EU-Pauschalreiserecht ohne Zustimmung der EU geändert und bieten uns Gutscheine an“, sagt Menekse, dessen Kunden aber wiederum das Recht auf die Erstattung der Anzahlungen haben. Die Rückzahlungsbeträge liegen im hohen sechsstelligen Bereich, was die Liquidität des Unternehmens extrem belaste.

Bustouristik mit Systemrelevanz

Für die Reisegäste ist ein Notdienst eingerichtet. „Bei gebuchten Reisen im Sommer und Herbst raten wir, mit der Stornierung noch abzuwarten, um so möglicherweise unnötige Stornogebühren zu sparen. Wird die Reise abgesagt, verständigen wir die Kunden rechtzeitig, damit keine Kosten entstehen“, versichert Bülent Menekse.

Der Schaden im Tourismus sei so groß, dass kein Reisebüro oder Reiseveranstalter ohne staatliche Förderprogramme in eine sichere Zukunft blicken könne, sagt Menekse: „Das können aber nicht nur Überbrückungskredite sein, sondern echte Zuschüsse. Wenn diese nicht gewährt werden, gehen wir von sehr hohen schmerzhaften Verlusten für das Geschäftsjahr 2020 aus.“ Der Bund dürfe dabei nicht verkennen, dass die Bustouristik eine systemrelevante Funktion hat. Sie leiste einen großen sozialen Beitrag für die Gesellschaft und unterstütze Bund, Länder und Kommunen dabei, sich um ältere Menschen zu kümmern, indem sie dieser Bevölkerungsgruppe Begegnung, Austausch und gemeinsame Reisen ermögliche.

Etwas Licht im Dunkel

Da im Moment aber ungewiss sei, wann das wieder möglich ist, konzentriere sich das Unternehmen Spillmann auf das Jahr 2021. Dafür rechnet Menekse mit ungefähr 60 bis 70 Prozent des Standes von vor der Krise. „Erst ab 2022 gehen wir wieder von dem Niveau vor der Krise aus.“ Ähnliches gilt die für Reisebüros. Auch wenn sie sich über die Krise retten könnten, werde es doch zwei bis drei Jahre dauern, bis sie wieder da sind, wo sie vor der Pandemie waren.

Einen positiven Aspekt hat Bülent Menekse in der Krise aber auch schon entdeckt: „Wir sind uns sicher, dass in Zukunft das Reisen wieder eine andere Wertigkeit bekommen wird.“

Ein bisschen Tourismus

Hotspots
Das Residenzschloss ist für Besucher geöffnet, das Blühende Barock ebenso und nun auch der Märchengarten – die touristischen Hotspots in Ludwigsburg erwachen wieder zum Leben. „Die Erfahrungen mit der Besucherdisziplin in den ersten Tagen waren gut“, erklärt das Blüba. Aus diesem Grund wurde die zulässige Gesamtbesucherzahl jetzt angehoben: Statt 2000 dürfen sich jetzt 3000 Personen gleichzeitig in dem Barockgarten aufhalten.

Busse
Auch das ist eine Meldung mit hohem Symbolwert: Die Ludwigsburger Touristeninformation wird wieder in Betrieb genommen. Los geht es am Dienstag, 19. Mai, zunächst allerdings mit verkürzten Öffnungszeiten. Am 16. Mai startet der Rad- und Wanderbus Stromer in die Saison – erst einmal ohne den üblichen Fahrradanhänger. Er fährt von Bietigheim-Bissingen über Löchgau, Erligheim, Bönnigheim und Freudental ins Kirbachtal und zum Erlebnispark Tripsdrill. Der WeinKulTourer, der zweite Freizeitbus im Kreis, ist erstmals am 17. Mai unterwegs.

Corona
1720 laborbestätigte Covid-19-Fälle zählte das Landratsamt Ludwigsburg am Dienstag, zehn mehr als am Montag. 66 Erkrankte sind seit Beginn der Epidemie gestorben, 1562 sind genesen: Somit gelten aktuell 92 Personen als infiziert. In den vergangenen sieben Tagen wurden im Landkreis 8,2 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner erfasst.