Noch immer auf der Bühne zuhause: Erich Schmeckenbecher, der nun seinen 65. Geburtstag feiert. Foto: Gottfried Stoppel

In der Tradition der Romantik sieht sich der Sänger und Musiker Erich Schmeckenbecher, der im Duo Zupfgeigenhansel einst das Volkslied zum Pop erhob. Voll Sorge sieht er, wie der moderne Populismus nun versucht, die Farbe Blau in Beschlag zu nehmen.

Lorch - Wahre Romantiker, so Erich Schmeckenbecher, sind keine weltfremden Träumer, im Gegenteil, sie sind Realisten und hellwach. „Die Romantiker sind immer diejenigen, die dem Geschäftsmodell in die Suppe spucken. Und zwar jenem Geschäftsmodell, das den Regenwald abholzt oder Schummelsoftware in Autos bastelt. Jene, die versuchen, so etwas aufzudecken, das sind wahre Romantiker“, sagt Erich Schmeckenbecher mit Nachdruck.

Seit den 70er-Jahren ist der „Romantiker, Musiker und Liedermacher mit Herz und Seele“ dabei, die Miss- und Umdeutung der Romantik zurecht zu rücken, deren Beschränkung auf Idylle, Träumerei und New Age, die für ihn in Unworten wie „Sozialromantik“ gipfelt. Romantiker – und zu diesen zählt sich der Zupfgeigenhansel – sind schlicht Kritiker einer extremen Vorstellung von Rationalismus, die er Pragmatismus nennt. Und just dort, in einem solchen Pragmatismus, verortet er Aktivitäten von Rechtspopulisten, sich Attribute der Romantik anzueignen.

„Volkslied und Volksleid gehören zusammen“

„Rechtspopulismus hat am wenigsten mit Aufklärung und Romantik zu tun. Bei den Populisten geht es um Rasse und um Völkisches.“ Volkslieder seien von den Nazis missbraucht worden, als Bindeglied ihrer Vorstellung von Gesellschaft als einheitlichem Volkskörper. Das führte nach dem 2. Weltkrieg im deutschsprachigen Raum vielfach zu Misstrauen gegenüber diesen Liedern. Zu unrecht, so Schmeckenbecher, denn Volkslieder seien seit jeher Ausdruck der Gefühle von Menschen, die sich als Spielball der Mächtigen fühlen. „Volkslied und Volksleid gehören zusammen“, sagt Schmeckenbecher, der zusammen mit Thomas Friz von 1974 bis 1985 das Duo Zupfgeigenhansel bildete und intensiv zu Volksliedern geforscht hat.

„Viele dieser Lieder sind aus dem Elend und dem Leiden der Menschen entstanden. Das hat nichts mit Heimattümelei und Nationalismus zu tun. Lieder wie ,Ich bin Soldat’ wurden von der Obrigkeit damals gar nicht gern gehört.“ Auch nicht während des Kalten Krieges zwischen Ost und West, als Zupfgeigenhansel 1976 das Lied aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges 1870/71 wieder veröffentlichte.

Volkslieder gelten kaum als politische Lieder, und falls doch, dann werden sie eher rechts verortet. „Das ist wieder diese Umdeutung, auch von Germanisten, die Romantik zu etwas a-politischem gemacht haben. Am schlimmsten ist es unter Philosophen: die Politische Romantik, das können für sie nur die Nazis sein“, seufzt Erich Schmeckenbecher. Bezeichnenderweise distanzierten sich aber gerade auch neue rechte Vordenker wie der Verleger Götz Kubitschek oder der Autor Frank Lisson von den politischen Romantikern. „Die Deutung dreht sich ständig um.“

Der Parteienstreit um die Farbe Blau

Gemeinsam sei allen, immer noch auf dem Kurs des politisch höchst umstrittenen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt zu sein, der 1919 in seinem Buch über Politische Romantik zu dem Schluss kam, diese tauge nichts. „Romantiker sind unzuverlässig, die kann man nicht berechnen. Die gehen ein Stück, dann gehen sie aber nicht mehr weiter. Der Pragmatiker oder der Pragmant, wie ich die Steigerung des Pragmatikers nenne, ist natürlich nicht begeistert, wenn er so plötzlich seine Gefolgschaft verliert“, sagt der Musiker. Der „Pragmant“ sage aus Kalkül nicht die ganze Wahrheit, begründe oberflächlich mit der Vernunft einen Plan, hinter dem sich aber eigentlich ganz andere Absichten verbergen. „Die Lüge, oder zumindest, nicht die ganze Wahrheit zu sagen, ist mit dem Pragmatismus verwandt. Wahr ist, was nutzt.“

Dennoch gebe sich die Neue Rechte den Anschein, wie die Romantiker neue Wege zu beschreiten. Deshalb versuchten sie, die Farbe Blau zu instrumentalisieren, die Farbe der Romantik schlechthin. „Die AfD streitet sich sogar mit der neuen Partei Frauke Petrys, genannt ,die Blauen’, wem sie zusteht. Blau ist eine sehr positive Farbe: Der Himmel ist blau, der Enzian ist blau. Wobei die blaue Blume der Romantik etwas ganz anderes ist. Sie steht für die Sehnsucht nach einer besseren Welt.“ Für den Aufbruch in eine andere Denkweise, eine Alternative, was die Rechten für sich in Anspruch nähmen. „Das stülpen die sich über. Dabei sind sie genauso doof marktwirtschaftlich-pragmatisch wie die anderen. Das merken bloß viele nicht.“

Die Angst vor Verarmung treibe die Leute den Rechtspopulisten zu. „Die Freiheit des Marktes ist vernünftig, solange es einem selbst nutzt. Wenn die Chinesen sich aber plötzlich bei Mercedes einkaufen, dann ist die Aufregung groß und es wird AfD gewählt.“

Harte Arbeit mit den Mitteln der Fantasie

Aber der „Romantiker, Musiker und Liedermacher mit Herz und Seele“ Schmeckenbecher lässt sich nicht beirren. Er streitet lieber weiter für wahre Romantik und gegen das verlogene Treiben der Pragmanten. Nicht als verbohrter Eiferer, sondern als eloquenter Aufklärer, bei dessen Ausführungen man herzlich lachen kann. Mit Wortwitz und Musik verhilft er anderen und sich selbst zu mehr Durchblick. „Romantik ist nichts anderes als harte Arbeit an der Bedeutsamkeit der Welt mit den Mitteln der Fantasie“, zitiert er Jürgen Goldstein aus dessen Buch „Blau“.

Am Samstag feiert Erich Schmeckenbecher in Lorch seinen 65. Geburtstag. Mehr als vierzig Jahre ist es her, dass er erstmals mit Thomas Friz auftrat. Das Duo gab neun Alben und zwei Liederbücher heraus, verkaufte mehr als eine Million Schallplatten. „Friz und Schmeckenbecher waren die Sex Pistols der neuen deutschen Volksliedszene“, schrieb das Fachmagazin „Musikwoche“ einst. Und trotz mehr als 30 Jahren Solo-Karriere ist Erich Schmeckenbecher immer noch als Zupfgeigenhansel bekannt.