Joseph Vilsmaier hat sich auf sein Bauchgefühl und sein gutes Auge verlassen. Foto: imago//Ralf Mueller

Der „Herbstmilch“-Regisseur Joseph Vilsmaier ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Im November kommt sein letzter Film in die Kinos.

Stuttgarter - Ein Anpacker war er, ein Begeisterungsfähiger, der sich mehr auf sein Herz und seinen Bauch verließ als auf den nüchternen Verstand: Der Filmemacher Joseph Vilsmaier war immer davon überzeugt, dass etwas, das ihn tief rühren konnte, auch Millionen Zuschauer rühren werde. Robust, unprätentiös, verschwenderisch freundlich war er im Umgang, und weil er aus München kam und das ein Leben lang nicht in einer Silbe zu verstecken versuchte, sah man ihn gern als bayrisches Urvieh: „Der Sepp“ hieß er in der Branche, darin steckte Anerkennung für das Unverbogene an ihm, manchmal aber auch ein wenig Herablassung.

Musiker und Kameratechniker

Aber Integrität ist etwas anderes als Urviehnaivität. Vilsmaier, der am Dienstag im Alter von 81 Jahren gestorben ist, glaubte innig an bestimmte Stoffe, Bilder, Herangehensweisen und Menschen: Zum einmal als gut und richtig Erkannten stand er dann. So traf er manchmal das Publikum dort, wo der Weitererzählreflex sitzt – „das musst Du gesehen haben“ –, bei „Herbstmilch“ (1988), bei „Rama dama“ (1991), bei „Schlafes Bruder“ (1995). Und manchmal rauschte er ganz weit am großen Publikum vorbei, mit „Bergkristall“ und „Der letzte Zug“ (2006) etwa. Und fast immer enttäuschte er die Kritiker, die Vilsmaiers schönen Bildern und unkompliziert fassbaren, oft impulsiven Figuren misstrauten.

Studiert hatte er Musik, aber dieser Leidenschaft war er erst nachgegangen, als er etwas Solides gelernt hatte: Er war bei einem Kamerahersteller in die Lehre gegangen. Tatsächlich ließ sich für den jungen Pianisten mit Jazz, keine sichere Existenz aufbauen. Also jobbte er beim Film als Kameraassistent, und diese Beschäftigung schlug ihn immer mehr in Bann. Vilsmaier wurde hauptberuflich Kameramann, einer, der das sauber aufgebaute Bild liebte, den klaren Zugriff auf die Welt, nicht das düstere Rätselspiel mancher Autorenfilme. Er drehte „Tatorte“ und Kinoklamauk mit Dieter Hallervorden, und der Drang, ganz eigene Geschichten zu erzählen, quälte ihn dabei nicht. Wohl aber das Bedürfnis, fremde Stoffe, die ihn selbst anfassten, besser umzusetzen als er das manchem anderen zutraute.

Der liebende Blick

Die ergreifenden Lebenserinnerungen der Bäuerin Anna Wimschneider hat er so zum Spielfilm „Herbstmilch“ gemacht, und um von den Nazijahren auf dem Land zu erzählen, hat er viel Hakenkreuzfahnen flattern lassen. Das hat er ganz ehrlich als Mahnung gemeint,auch wenn es manchen Kritikern zu lieblich, zu hell, zu anekdotisch geriet. Das Publikum aber liebte diesen immer klarer Orientierung bietenden Film. Der war auch eine Liebeserklärung mit der Kamera an Dana Vavrova, die 28 Jahre jüngere Ehefrau des Regisseurs, die er immer wieder in Hauptrollen einsetzte.

Dabei hat er die 2009 früh Verstorbene in ihren Möglichkeiten schon mal überschätzt, aber das geriet nie zynisch, nie schmierig protektionistisch, sondern war auf eine Art das Schönste an Vilsmaier-Filmen. Die bezeugten, dass Liebe ein bisschen blind machen kann, auch wenn man den geliebten Menschen kritisch durch den Kamerasucher betrachtet.

Ein letzter Film über den Tod

Was Vilsmaier auch gepackt hat, waren die Briefe deutscher Soldaten aus der Hölle von Stalingrad. Daraus wollte er etwas machen, das von Elend und Grauen erzählt, von Not und Leiden derer, die weniger Täter als von der Geschichte Überrollte waren. Weil er die Abseiten und Gefahren seiner Methode nicht bedachte, ist „Stalingrad“ (1993) ziemlich missraten: In ein großes Herz nisten sich schnell auch viele Irrtümer ein. Dafür ist Vilsmaier mit „Comedian Harmonists“ (1997) ein Unterhaltungsstück gelungen, das nicht nur der Gesangsgruppe ein Denkmal setzt, sondern besser vom Schrecken der Nazis erzählt als seine anderen Filme.

Im November soll nun der letzte Vilsmaier-Film ins Kino kommen, „Der Boandlkramer und die Liebe“ mit Hannah Herzsprung, Bully Herbig und Hape Kerkeling, die Fortsetzung der „Geschichte vom Brandner Kaspar“ aus dem Jahr 2009. Außer Vilsmaier hätte sich das damals keiner getraut, ein altes bayerisches Volksstück in Mundart auf die Leinwand zu bringen über einen Sensenmann, mit dem man verhandeln kann. Aber vom Tod, hat sich Vilsmaier gedacht, lassen sich die Menschen immer erzählen, der ist so schrecklich, dass man über ihn lachen will. Und er hat wieder einmal recht behalten.