Der Komponist Milko Kelemen (1924-2018) Foto: privat

Milko Kelemen ist gestorben. Sechzehn Jahre lang hat er als Kompositionsprofessor das Stuttgarter Musikleben mit geprägt.

Stuttgart - Komplizierte Einfachheit. So brachte der Komponist Milko Kelemen das Paradox seiner Arbeit auf den Punkt. Für eine komplizierte Einfachheit hat er sich verkämpft, und die komplizierte Einfachheit hat ihn in seiner Zeit zu einem Solitär der Szene werden lassen. Auch als er in den siebziger Jahren neben Helmut Lachenmann an der Stuttgarter Musikhochschule lehrte, war er ein Sonderfall. „Nach dem Krieg“, hat er in einem Interview mit unserer Zeitung einmal gesagt, „hat man den Intellekt bei der Neuen Musik zu sehr betont. Man kann aber nicht immer nur mit serieller Musik den Geist befriedigen.“ Stattdessen müsse das Gefühl einen höheren Stellenwert bekommen, und dieses Gefühl funktioniere über „Strukturen, die fest im kollektiven Unbewussten verankert sind“. Die Ergebnisse dieser Positionierung, die sich vom Kalkül der Zwölftontechnik ebenso distanzierte wie von der seitens der Darmstädter Schule postulierten Vorherrschaft des musikalischen Materials, klingen vermittelt, weich, haben aber – und das macht die Sache komplex – auch mit dem nichts zu tun, was Theodor W. Adorno als „Altern der Neuen Musik“ beklagte. Nein, Vorbild für Milko Kelemen waren die tiefenpsychologischen Archetypen C. G. Jungs. Seine Musik will Grundmuster des Unbewussten spiegeln. Sie will aber auch unbedingt gehört und auch ohne Vorbildung verstanden werden, und damit dies geschieht, bedient sie sich bekannter, oft wiedererkennbarer Strukturen, Ideen und (oft tonaler) Melodien, und sie will nie nur Material durchdeklinieren, sondern vor allem Geschichten erzählen.

Musik als Kunst größtmöglicher Freiheit

Die Abwehrhaltung gegen alle Doktrinen und die innere Verpflichtung, stets etwas vollkommen Neues schaffen zu wollen, wurzelten sicherlich auch in Kelemens Herkunft: 1924 geboren im damaligen Jugoslawien (und heutigen Kroatien), empfand der Komponist Musik immer als kreativen Gegenpol zur Realität – und als eine Kunst der größtmöglichen Freiheit. Das hatte er schon bei Olivier Messiaen in Paris und bei Wolfgang Fortner in Freiburg gelernt, das hat ihn seine exzessiv ausgelebte Neugier auf die große weite Welt gelehrt, und das hat er als Kompositionsprofessor an der Stuttgarter Musikhochschule von 1973-89 an seine Studenten weitergegeben. Von den letzten Werken seines breit gefächerten Oeuvres, das Opern ebenso umfasste wie elektronische Musik, waren einige auch in Stuttgart zu hören: das Chorwerk „Daniel“ zum Beispiel oder Verspieltes wie „Escapade“ für elektrische Gitarre, Bass und allerlei Schlaginstrumente. Gefragt nach dem Unterschied zwischen seiner Musik und jener Helmut Lachenmanns, hat Kelemen schlicht geantwortet: „Ich komponiere in einem anderen Klima.“ Auch das bleibt von dem Mann im Gedächtnis, dessen Tod am 8. März jetzt bekannt geworden ist. Und noch eine Antwort hat er gegeben, eine schlichte, die zu ihm passte. Woran man ein gutes Musikstück erkenne? „An der Liebe.“