Die Zombies belagern die Lebenden in „The Night of the living Dead“ aus dem Jahr 1968. Foto: Splendid Film

Als die Hippies 1968 von der Liebes- und Friedens-Ära träumten, ließ der Filmemacher George A. Romero die Zombies los und veränderte die Popkultur. Im Alter von 77 Jahren ist er nun gestorben. Er hinterlässt vitale Untote.

Stuttgart - Dürfen die Toten ruhen? Nicht mehr in der Popkultur. Hordenweise müssen sie allüberall gegen die Welt der Lebenden anstürmen, im Kino, im Fernsehen, in Comics, Romanen und Computerspielen. Die Zombieseuche, die das Weltende bringen soll, ist der letzte Boommarkt, hier herrscht Vollbeschäftigung. Wer immer stirbt, wird sofort eingereiht in die Armee der Untoten. Es sei denn, er wird vorher aufgefressen. Mit den Zombies hat unsere zynische Postmoderne ihre Untergangsgewissheit, die bei allem ironischen Getue letztlich so fest verankert ist wie die Jüngste-Gerichts-Furcht im Mittelalter. Keiner kommt hier lebend raus, denken wir längst über das Anthropozän, die Herrschaftsepoche des Menschen auf der Erde.

Der Mann, dem wir diese Schockbilder einer an ihrer eigenen sinnlosen Wut und Gier zugrunde gehenden menschlichen Zivilisation zu verdanken haben, der amerikanische Filmemacher George A. Romero, ist am Sonntag nun selbst im Alter von 77 Jahren gestorben. Er muss vorerst aber nicht zum Wiedergänger werden. Er bleibt in seinen Filmen präsent.

Gamechanger lautet der schöne englische Ausdruck für einen, der auf irgendeinem Feld der Gesellschaft oder Kultur den Spielverlauf drastisch ändert, vielleicht sogar die Spielregeln. Romero war ein Gamechanger, auch wenn das 1968 zu Beginn seines mit wenig Geld in Schwarz-Weiß gedrehten Debüts „The Night of the living Dead“, das Kino und Popkultur verändern sollte, noch nicht so ganz ersichtlich war.

Ein seltsamer Friedhofsgärtner

Das Geschwisterpaar Barbara und Johnny absolviert hier den jährlichen Besuch am Grab des Vaters. Die beiden bringen wie immer einen Kranz, und Johnny argwöhnt, die Friedhofsgärtner würden den alsbald wieder abräumen, frisch aufputzen und ihnen im nächsten Jahr erneut verkaufen. Diese Stichelei gegen das Pietätsgewerbe passt wohl noch ins bürgerliche Kino. Der seltsame Mann, der bald heranwankt, obwohl er längst unter der Erde sein sollte, schon nicht mehr. Aber auch dieses untote Ungeheuer ist noch nicht die Revolution, nur ein Atömchen von ihr.

Denn was Romero in diesem Film, in dem eine kleine Gruppe Menschen in einem Farmhaus von Zombies belagert wird, ins Werk setzt, ist der Aufstand der gesichtslosen Masse. Die gab es auch zuvor im Horrorkino, aber es gab zentrale Bösewichte, die solche Hilfstruppen steuerten. Das Monster war noch ein klares Gegenüber, mit dem man sprechen konnte – wie Graf Dracula – oder das zumindest gern gesprochen hätte, wie Frankensteins Kreatur. Oft war das Ungeheuer sogar durch seine Einzelstellung, seine deformierte Individualität gekennzeichnet, wie das Phantom der Oper.

Aber bei Romero ist am einzelnen Zombie nichts Individuelles, er ist nur Teil einer Horde. Und diese Horde ist weder ansprechbar noch kann man hinter ihre Stirnen Gedanken projizieren. Diese Zombies wollen nur mit der sturen, geistlosen Zielfixierung, mit dem sich Unkraut durch Asphalt stemmt, dass alles andere so wird wie sie oder ganz zu existieren aufhört.

Neuartige Nervenfetzer

Wie viel und was der junge Romero tatsächlich beabsichtigte, ist in Jahrzehnten der Deutungsdebatten und der Selbstauskünfte verloren gegangen. Jedenfalls hatte der am 4. Februar 1940 in der Bronx Geborene mehr im Sinn, als ein wenig herumzublödeln, als er seinen ersten Langfilm in Angriff nahm. Aber er besaß kein Geld, hatte keine nutzbaren Beziehungen nach Hollywood und musste mit Freunden und Bekannten an den freien Wochenenden drehen, an denen er nicht mit Werbearbeiten und Lehrfilmen beschäftigt war. Mit einem normalen Verleih konnte er nicht rechnen, allenfalls eine Schmuddelklitsche würde seinen Film als Billigschocker in Autokinos bringen.

So kam es auch – und doch ganz anders. „The Night of the living Dead“ wurde ein Geheimtipp, die Interessierten nahmen lange Wege in Kauf, neugierig Gewordene bedrängten ihre örtlichen Kinos, diesen angeblich ganz neuartigen Nervenfetzer doch auch zu spielen. Romero hat später oft betont, dass in seinem Film die Unruhe der Vietnam-Ära, der Studentenproteste, der Bürgerrechtsbewegung gärten, das Gefühl, das junge, lebendige Amerika sähe sich mit einer aggressiven Kultur der Zukunftsvernichtung konfrontiert.

Das Publikum hat diesen Zeitgeistaspekt früher gespürt als die Kritik, die zunächst brüsk ablehnend reagierte. Erst Romeros nächster Zombiefilm, „Dawn of the Dead“, der die Invasion der Untoten 1978 in ein Einkaufszentrum verlegte, machte dann unwiderlegbar klar, dass hier einer Zivilisationskritik übte. Zu diesem Zeitpunkt war die Kinolandschaft schon eine ganz andere, und George A. Romero hatte auf seine Art viel zum Wandel beigetragen.

Die Wirklichkeit kann schlimmer sein

Er war der archetypische Außenseiter ohne Infrastruktur gewesen, und sein Triumph ermutigte viele andere Independent-Filmer – auch, aber nicht nur im Horrorbereich. Die Karrieren von Wes Craven und John Carpenter sind ohne Romeros Vorbild kaum denkbar. Wobei es innerhalb eines umfangreichen Werks nur ein kleines Grüpplein ist, das Romeros Status und Vermächtnis ausmacht: eben die Zombie-Filme, zu denen auch „Day of the Dead“ von 1985 zählt. Dass er lange brauchte zwischen den einzelnen Zombie-Werken, erklärte er mit seiner Frustration über den Rechtsruck in den USA: als mache eine vorsätzlich hässliche Wirklichkeit es überflüssig, ihr einen Spiegel hinzuhalten

In der TV-Serie „The Walking Dead“, in Filmen wie „24 Days later“ und in vielen anderen modernen Erzählungen sind die Zombies eine Apokalypse. Kein Sieg gegen sie kann endgültig sein, sie verkörpern den unausweichlichen Untergang. Auch mit diesem Pessimismus hat Romero das Horrorkino angereichert. In „The Night of the living Dead“ setzte er zwar, auch das ein Novum im Genre, eine afroamerikanische Hauptfigur ein. Aber das wurde nicht zur Ermächtigungsfantasie einer neuen, egalitär gesinnten Regenbogen-Generation in den USA, das wurde nur ein Bild der Ohnmacht. Den Zombies war völlig egal, ob sie ihre Zähne in schwarzes oder in weißes Fleisch schlagen konnten. Bei George A. Romero kommt die Zombiehorde nicht, weil sie etwas androhen will, sondern weil es für Prophezeiungen, für Reue und für Umkehr nun zu spät ist.