Der Unternehmer und Erfinder Artur Fischer, aufgenommen am 04.06.2014 in Waldachtal. Foto: dpa

Der Erfinder des Fischer-Dübels Artur Fischer ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Sein Leben war geprägt von Einfällen - wir erinnern an Deutschlands größten Erfinder.

Stuttgart/Tumlingen - Begegnungen mit Artur Fischer hatten stets etwas Besonderes, etwas Feines. Zum Beispiel das Treffen an einem Herbsttag 2007 anlässlich eines Interviews im Café des Schlossgartenhotels, welches er gerne besuchte, wenn er nach Stuttgart kam.

Als die Milch beim Einschenken neben die Tasse tropfte, begutachtete Fischer das Kännchen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Finger glitten über das Blech. „Eine Fehlkonstruktion!“, sagte er dann leise und mit einem milden Lächeln. Die Nase sei falsch gebogen. „Man sieht den Dingen an, ob sie mit Liebe gemacht sind.“ Es klang wie ein Kalenderspruch, eine Lebensweisheit. Davon hatte Fischer viele gesammelt. Als er das Kännchen zurückstellte, sagte er: „Man muss sich in die Dinge hineindenken, um sie zu begreifen.“

Artur Fischer hat sich zeitlebens in Dinge hineingedacht. Ein geborener Erfinder. Als Kind versuchte er aus Holzlatten ein richtiges Flugzeug zu bauen. Seine Mutter ließ ihn in dem Glauben, das könne funktionieren. Nach etlichen Fehlversuchen erkannte der Bub: Mit Holz wird das nichts. Ich muss es anders anpacken. Für ihr liebevolles Anleiten zum eigenständigem Denken war Fischer seiner Mutter ewig dankbar. „Sie ist eigentlich immer bei mir“, sagte er noch in hohem Alter.

Dankbarkeit. Dieses Wort fiel häufig. Fischer war dankbar – seiner lebensklugen Mutter, seinem Schulleiter, der seine technische Begabung förderte, der Stuttgarter Firma „Eisen-Fuchs“, die ihm einst auf Treu und Glauben Rohre lieferte, obwohl kein Geld hatte sie zu bezahlen und der er zum Dank stets die Treue hielt. Dankbar war er vor allem auch jener Kraft, die er seinen „Schöpfer“ nannte. Die größte aller Erfindungen, der beste jemals gefasste Gedanke, daran ließ er keinen Zweifel aufkommen, war für ihn der Mensch.

Deutschlands größter Erfinder

Fischers Lebens- und Erfolgsgeschichte begann am Silvestertag des Jahres 1919 in Tumlingen im Schwarzwald. Sie endete am 29. Januar im Waldachtal, wo er verstarb. Dazwischen liegen 96 Jahre. Fast ein ganzes Jahrhundert. Voller Katastrophen und Aufbrüche. An den Katastrophen litt er, an den Aufbrüchen wirkte er mit.

Deutschlands größter Erfinder stammte aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater, ein strenger Mann, war Schneider, seine Mutter besorgte den Haushalt; den Sohn versorgte sie mit Liebe. Das gab ihm das Gefühl „reich zu sein, obwohl nie Geld im Haus war“, wie er später erzählte. Der kleine Artur zahlte diese Liebe auf seine Weise zurück – er verließ vorzeitig die Realschule. Nicht weil es ihm an Begabung gefehlt hätte. Vielmehr wollte er seine Mutter entlasten, die sich mit Bügelarbeiten abplagte, um das Schulgeld zusammenzubekommen. Statt zur Schule ging Fischer in die Lehre bei einem Kunst– und Bauschlosser im fernen Stuttgart. Dort plagte ihn das Heimweh und gelegentlich der Meister. Einmal verspottete der Lehrherr ihn vor versammelter Mannschaft als „Schirmschlosser“, weil er mit Regenschirm zu Reparaturarbeiten aufgebrochen war. Solche Kränkungen setzten sich fest. Fortan lehnte Fischer es ab, einen Regenschirm zu benutzen – ein Leben lang.

Dennoch bereute er die Lehrzeit nicht. Die handwerklichen Fertigkeiten, die er bei dem Stuttgarter Schlosser erwarb, besonders auch die Fähigkeit zu unkonventionellem Denken, sollten sein späteres Startkapital bilden.

Lehrreich empfand er auch die Jahre beim Militär. Fischer, der aus der Hitlerjugend ausgetreten war, weil Hitler – wie er erfahren hatte – „ein gottloser Mensch war“, interessierte sich für die Luftwaffe. Er wollte Offizier werden. Vor allem wollte er fliegen. Doch dafür war er eineinhalb Zentimeter zu klein, zudem war er Brillenträger. Weil er kein Abitur hatte, blieb ihm auch die Offizierskarriere verwehrt. Als der Krieg losbrach, wurde Fischer als Flugzeugtechniker eingesetzt. Der Ort, wo er Flugzeuge reparierte, hieß Stalingrad . . . Mit einem der letzten Transporte verließ er den Kessel.

Das erste Werkstättle in Hörschweiler

Das Ende des Kriegs erlebte Fischer in Italien. Er geriet in englische Kriegsgefangenschaft, floh und kehrte im Februar 1946 nach Tumlingen ins heimatliche Waldachtal zurück. Der Vater empfing ihn mit den Worten: „Ach du bischt’s, Artur, komm no rei. Mir hend grad g’metzget.“ So erzählte Fischer es seinem Biografen Helmut Engisch, der 1998 ein Buch über „Die Fischers“ schrieb.

Was folgte, waren 1947 die Hochzeit mit seiner Frau Rita, vor allem aber Schaffer- und Gründerjahre. Zwei Jahre lang arbeitete Fischer in einer elektrotechnischen Werkstatt in Freudenstadt, dann wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit und richtete in Hörschweiler sein eigenes „Werkstättle“ ein. Dabei machte er die Erfahrung, dass es mit handwerklichen Fähigkeiten allein nicht getan war. Es galt auch bürokratische Hindernisse zu überwinden.

Für die Erlaubnis, einen selbst entwickelten Webstuhlschalter produzieren zu dürfen, musste Fischer zig Behördengänge hinter sich bringen. Am Ende siegte der Unternehmer- über den Kleingeist. Die Schalter-Produktion wurde ein Erfolg. Der Grundstein der späteren Weltmarktfirma war gelegt. Ein Stein nach dem anderen folgte. 1949 ließ Fischer erstmals eine Erfindung patentieren, den Synchronblitz, der am neuen Standort in Tumlingen in hohen Stückzahlen gefertigt wurde. Mehr als 100 persönliche Erfindungen sollten folgen; sie sind durch rund 5700 Schutzrechte abgesichert.

„König der Patente“ wurde Fischer genannt. Das Bekannteste ist der 1958 entwickelte und nach ihm benannte Fischer-Dübel, ein „über einen Teil seiner Länge geschlitzter zylinderförmiger Spreizdübel, dessen vorderes Ende mit sägezahnartigen Einschnitten versehen ist“, wie es in der Patentschrift heißt. Der Nylon-Dübel, eine Weiterentwicklung der bis dahin üblichen Metalldübel, erwies sich als bahnbrechend. Fischer vollbrachte damit sein persönliches Wirtschaftswunder. Bald wurde der Name Fischer zu einem Synonym für Befestigungstechnik und seine Firma zu einem Ausrufezeichen schwäbischen Pioniergeistes.

Die Fischer-Werke wuchsen rasch; die Neugier ihres Gründers erlahmte nie. „Der schönste Weg ist der Weg zum Patentamt“, lautete einer seiner bekanntesten Aussprüche – wiederum wie einem Kalender für Lebensweisheiten entnommen. Eine andere lautete: „Man kann aus wenig Geld etwas machen, wenn man den Kopf einsetzt.“

Qualität war Artur Fischer wichtig

Zu seinen technischen Schöpfungen entwickelte Fischer ein fast inniges Verhältnis. Ob Hinterschnittbohrvorrichtung oder Bolzenanker – immer floss Herzblut. Das Erfinden verglich er gerne mit der Geburt eines Kindes: „Wo vorher nichts gewesen ist, entsteht etwas neues.“ Wichtig war ihm die Qualität der Erfindungen. Er wollte Dinge hervorbringen, „die den Menschen nützen“ – Knochendübel zum Beispiel, die in der Chirurgie verwendet wurden. Schade, dass er kein Milchkännchen entworfen hat . . .

Viele Einfälle kamen ihm beim morgendlichen Duschen. „Ohne Dusche wäre vieles nicht erfunden worden“, sagte er einmal. Noch mit über 90 Jahren ging Fischer regelmäßig in sein kleines Büro im ersten Stock des „Entwicklungszentrums“ mit Blick auf die Fischer-Werke oder feilte einen Stock tiefer an Spezialdübeln. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Geschicke der Fischerwerke längst in den Händen seines Sohnes Klaus. 1980 erfolgte der Stabwechsel. Um das Vater-Sohn- oder Seniorchef-Juniorchef-Verhältnis stand es in der Folge allerdings nicht zum Besten. Artur Fischer beharrte darauf, dass ihn Tumlingen nur produziert wird, was dort auch erfunden wurde. Der Sohn dagegen ging neue Wege gehen, um das Unternehmen breiter aufzustellen. Neue Sparten kamen hinzu, etwa der Bereich Automotive.

Artur Fischer blieb eigen und bei seinem Leisten. Nicht der Verdienst stand im Vordergrund, sondern die Freude, die die schöpferische Arbeit begleitet. „Wenn ich die Chance habe, etwas neues zu entwickeln, muss ich mich glücklich fühlen. Dann ist der Weg zur Dankbarkeit ganz kurz.“ Wieder so ein Sinnspruch.

Wirtschaftlichkeit war nur ein Kriterium. Persönliche Neigung ein anderes. Modellhaft dafür steht das Baukastensystem Fischertechnik, das er 1963 ursprünglich für die Kinder seiner Geschäftskunden, entwickelte und in Frankreich damals zum „besten Spielzeug“ gewählt wurde. Auch Schulklassen belieferte er damit, um bei Kindern die Lust auf Technik und Tüfteln zu fördern. Für Kinder entwickelte er auch „Tip“, Bausteine aus Kartoffelstärke. Kinder, lautete Fischers Credo „müssen spielen, sonst verkümmert ihre kreative Mitgift“. Die nächste Fischer-Weisheit.

Fischer konnte sich empören

Die Liebe zu Details paarte sich bei ihm mit dem Interesse an großen Themen. Die Frage, was die moderne Gesellschaft zusammenhält, bewegte ihn. Oder wie die Wirtschaft im Zeitalter der Globalisierung ihr menschliches Maß bewahren kann. Fischer konnte sich auch empören – über den fehlenden Respekt vor älteren Arbeitnehmern, über das oberflächliche Gewinnstreben mancher Manager oder über Produkte, „die nicht mit Liebe gemacht sind“. Als Gegenmittel empfahl er Tugenden, die er für zeitlos hielt: Achtung, Geradlinigkeit, Bodenständigkeit, Fleiß, Ehrlichkeit. „Wir sind doch Menschen“, sagte er. In solchen Momenten lag etwas Flehentliches in seiner Stimme. Fischer sah sich zuvorderst als Menschenfreund.

Mit Auszeichnungen wurde er überhäuft – sie bedeuteten ihm viel. Unter anderem erhielt er, der Junge ohne Schulabschluss, den Werner-von Siemens-Ring, der auch als Nobelpreis der Technik bezeichnet wird. Professor wurde Fischer ehrenhalber. Als einen Höhepunkt empfand er die Verleihung des Ehrentitels Ingenieur durch die Universität Stuttgart: „Ingenieur“, sagte er, „das wollte ich immer sein. Darauf war mein Leben ausgerichtet.“ Lothar Späth, der frühere Ministerpräsident, nannte ihn treffend „ein Paradebeispiel für baden-württembergischen Erfindergeist, unser Symbol für das sprichwörtliche Gewusst wie“.

Fischer blieb dennoch bescheiden. „Ich bin nicht so wichtig“, sagte er. Als Wohltäter, wollte er nicht in Erscheinung treten, obgleich er einer war. Ein Preis zur Förderung von Wissenschaft, Forschung und Bildung geht auf ihn zurück, auch eine Krankenpflege-Stiftung. Von ihm stammt der Satz: „Die beste Währung ist und bleibt die Menschlichkeit“. Umso mehr traf es ihn, dass sich seine Tochter Margot von ihm abwandte und er zur Zielscheibe von Schmähungen wurde. Es ging ums Erbe. Fischer litt – so positiv er sonst in die Welt blickte. Speziell auf die Jugend: „Wir haben tolle junge Leute“, sagte er bei einem der letzten Treffen. Jetzt gelte es die Energiewende technisch zu bewältigen. Seine noch immer funkelnden Augen verrieten: Am liebsten hätte er mitgemacht.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Fischer angefangen zu malen. Neben dem Schraubstock in seiner Werkstatt stand jetzt eine Staffelei. Die Malerei – das war sein Spätwerk. „Ich ringe um einen eigenen Stil, aber ich habe noch keinen gefunden“, sagte er. Wie immer galt für ihn: Kopieren kommt nicht in Frage.

Weihnachten 2014 kam seine letzte Karte: „Viel Freude zum Weihnachtsfest und glückliche Tage“. Die Vorderseite schmückte ein Fischer-Gemälde. Was zeigt es? Einen Vogel, der die Schwingen ausbreitet? Eine Blüte im Licht? Das bleibt der Fantasie überlassen. Eines jedoch zeigte das Bild deutlich: Artur Fischer hatte seinen Stil gefunden.