Ursula K. Le Guin (1929 -2018) war eine der wichtigsten Stimmen der fantastischen Literatur. Foto: dpa

Ob Raumschiffe, ob Magie, der Amerikanerin Ursula K. Le Guin war alles recht, was ihre Figuren und Leser an andere Orte versetzen konnte. Die malte sie mit völkerkundlicher Cleverness und wachem Interesse an irdischen Problemen aus. Es ging ihr darum, alles Vertraute in Frage zu stellen.

Stuttgart - Die Welt könnte auch ganz anders aussehen – dieser mal erschreckende, mal hoffnungsfrohe, mal mit wertfreier Neugier herumbohrende Gedanke bildet den Kern der Romane und Geschichten der Amerikanerin Ursula K. Le Guin, einer der wichtigen Stimmen der fantastischen Literatur. Deren Verstummen nach 88 Jahren hat nun eine selten zu erlebende Flut gerührter, dankbarer Referenzen von Kollegen in den sozialen Netzwerken ausgelöst. Kaum eine Größe der fantastischen Literatur von Stephen King über Neil Gaiman und John Scalzi bis zu N. K. Jesemin und Nnedi Okorafor, die nicht aus Le Guins Werk Anregungen und Vergnügen gesogen hat.

Die als Ursula Kroeber am 29. Oktober 1929 im kalifornischen Berkeley Geborene war die Tochter einer Schriftstellerin und eines Anthropologen. Ihr Vater beschäftigte sich mit den indianischen Kulturen Nordamerikas, mit dem Wissen um deren andere Weltbilder, Lebensformen, Rituale und Wertvorstellungen wuchs auch Ursula auf. Diese Vorbildung schlug durch, als Le Guin Mitte der Sechziger Science Fiction zu schreiben begann.

Andere Welten

Irdische Raumfahrer stoßen in der Tiefe des Alls auf andere Intelligenzen, versuchen, deren Gesellschaften, Denken, Normen und Grundsätze zu verstehen, scheitern daran beinahe und müssen dann wagen, durch eigene Veränderung dem Fremden entgegen zu kommen. Dieses Grundmodell prägt viele Bücher Le Guins. Das informierte, durchdachte, respektvolle, Denkgrenzen Überschreitende der Weltentwürfe war von Anfang an beeindruckend, und wurde von ihr stetig weiterentwickelt.

Le Guins Bücher waren nicht die erste oder gar einzige SF, die von ethnologischen und kulturwissenschaftlichen Kenntnissen geprägt wurde. Aber Le Guin war nie in Versuchung, diese Ressourcen Action-und Spektakelmustern unterzuordnen. Sie sah die Weltentwürfe nicht als schönen Zusatzstoff, der unbedingt von einer schnaubenden Plot-Lokomotive gezogen werden musste. 1969 kam ihr Durchbruch mit „Die linke Hand der Dunkelheit“, die Geschichte der Begegnung mit menschenartigen Wesen, die ihr Geschlecht wechseln können. Völlig andere Konzepte von Geschlechtern, Rollen, Herrschaftsteilungen waren nicht nur Hintergrund, sondern Spannungskerne der Romane.

Missachtung der Grenzen

Immer wieder griff die vielfach preisgekrönte Le Guin Themen der Frauen-, der Ökologie- und der Friedensbewegung auf, half in nicht zu unterschätzendem Maß mit, sie überhaupt jenseits von Universitäten zu verbreiten. Sie missachtete dabei die in akademischen Zirkeln akribisch definierten Grenzen von Fantasy und Science Fiction. Technik, Soziologie, Mystik, Naturwissenschaften und Taoismus: Für Ursula K. Le Guin waren das keine unvereinbaren Widersprüche, sondern Elemente, um in Romanen und Stories grundsätzlich in Frage zu stellen, was wir für gegeben halten.

Ihre Bücher des zwischen 1964 und 2014 entstandenen „Erdsee“-Zyklus etwa werden der Fantasy zugeordnet, Magie und Drachen spielen eine Rolle. Aber es geht nicht ums behagliche Hineinversinken ins Exotische, es geht ums Neujustieren unseres Blicks, um die Zuweisung von Rollen und den Gebrauch von Sprache.

Die Suche nach Alternativen

Fantasy und Science Fiction kennen viele Tonarten, die raubeinige, die technokratische, die spröde, die sarkastische etwa – diese Literatur ist vielfältiger, als ihre Verächter ahnen. Ursula K. Le Guin wagte oft einen lakonisch poetischen, entspannten Ton, der von Wehmut, von Bitternis, von wohlwollender Ironie geprägt sein konnte. „Freie Geister“ etwa, einst auch unter dem Titel „Planet der Habenichtse“ auf Deutsch erschienen, ist die Beschreibung einer kapitalistischen und einer anarchistischen Welt. Und so wichtig Le Guin der Systemvergleich auch ist, die souveräne Knappheit ihrer Beschreibung macht das fast zu einem Buch für Leseeinsteiger, zur gelungenen Verführung zu den ganz großen Gedanken: Wie leben wir eigentlich, und welche Alternativen gibt es?